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Die wissenschaftliche Gemeinschaft und die internationale Astronauten-Behörde stimmen darin überein, dass Menschen Titans Ökologie nicht der Bedrohung durch Kontamination aussetzen dürfen.

Andere stimmen damit jedoch nicht überein.

Abteilungsinternes Memorandum

An: das Personal der Abteilung Human Resources

Von: R. Morgenthau, Amtierende Direktorin

Betreff: Gebetskreise

Mehrere Mitarbeiter haben um eine Klarstellung gebeten, wie die Abteilung die Frage von Gebetskreisen handhabt. Obwohl die Habitatsbestimmungen solche Veranstaltungen während der Arbeitszeit nicht ausdrücklich vorsehen, sind sie durch besagte Bestimmungen andererseits auch nicht untersagt.

Deshalb wird die Abteilung diese Angelegenheit so handhaben, dass die HR-Mitarbeiter während der Arbeitszeit Gebetskreise abhalten dürfen — vorausgesetzt, dass solche Veranstaltungen vorher mit der Amtierenden Direktorin abgestimmt werden und dass solche Veranstaltungen eine Dauer von nicht mehr als dreißig (30) Minuten haben.

Die Teilnahme der Belegschaft an den Gebetskreisen ist ausdrücklich erwünscht. Die Abteilung Human Resources wird außerdem alle anderen Abteilungen ermutigen, in dieser Angelegenheit ähnlich zu verfahren. Diejenigen, die gegen Gebetskreise sich aussprechen, sind offensichtlich bestrebt, ihre säkularistischen Ansichten der allgemeinen Population dieses Habitats aufzuzwingen.

Zeit, Gezeiten und Titan

Edouard Urbain stellte sich vor, am Strand von Titans Kohlenwasserstoff-Meer zu stehen.

Titan ist größer als der Planet Merkur — eine kalte und dunkle Welt, die ungefähr zehnmal weiter von der Sonne entfernt ist als die Erde. Die Wolken und der Dunst von Titans dichter, trüber Atmosphäre filtern das Sonnenlicht zu einem fahlen, schwachen Schimmer.

Urbain sah sich auf einem Eis-Vorsprung stehen und durchs Helmvisier des Raumanzugs aufs schwarze, brodelnde Meer schauen, das über das zerklüftete Eisfeld unter ihm schwappte. In der Ferne zog ein rußiger ›Schneesturm‹ auf, eine Wand aus schwarzen Kohlenwasserstoffflocken, die beim Näherkommen den Horizont ausblendete.

Dann hellte die öde, gefrorene Landschaft sich plötzlich auf. Er schaute nach oben, und ihm stockte der Atem. Die Wolkendecke war für einen Moment aufgerissen, und er sah den Saturn hoch am Himmeclass="underline" Der majestätische Himmelskörper war zehnmal größer als der Vollmond auf der Erde, und die Ringe glichen der Klinge eines Skalpells, das mitten durch den extravagant gestreiften Körper des Planeten schnitt. Es gab keinen schöneren Anblick im ganzen Sonnensystem, sagte er sich.

Nun setzte die Flut ein. Unter dem Zug der gewaltigen Gravitationskraft des Saturn geriet das Kohlenwasserstoffmeer zu einer schäumenden Flutwelle, die schnell über die zerklüftete Eislandschaft wanderte — ein kriechendes Schleim- Monster, das alles auf seinem Weg verschluckte, häusergroße Eisbrocken zudeckte und den gefrorenen Boden mit zischendem, blubberndem schwarzem Öl bedeckte, das die Welt von einem Horizont zum andern überflutete. Bald würde die Flut sogar den Vorsprung überschwemmen, auf dem Urbain stand, und sich über den halben Titan ausbreiten, bevor sie wieder zurückschwappte.

Eines Tages werde ich an diesem Meer stehen, sagte Urbain sich. Ich werde mit wissenschaftlicher Ausrüstung anrücken und in der schwarzen, öligen Flüssigkeit nach lebenden Organismen suchen. Eines Tages.

Seufzend schaute er sich beim Wiedereintritt in die Realität in seinem engen, kleinen Büro um. Er wusste, dass niemand die Oberfläche des Titan betreten würde — auf viele Jahre hinaus nicht.

Dann fiel sein Blick auf die dreidimensionale Abbildung des Landegeräts, das über seinem Schreibtisch schwebte. Es wirkte plump und träge, doch für Urbain war es ein Symbol für pragmatische Eleganz. Du wirst auf die Oberfläche des Titan hinabsteigen, meine Schöne, sagte er stumm zu der Projektion.

Die Konstruktion des Landegeräts war im Grunde ein Kinderspiel gewesen, wurde er sich bewusst. Es war unter seiner gründlichen Aufsicht von seinen Ingenieuren und Technikern gebaut worden. Dieser Teil war wirklich recht einfach gewesen.

Die eigentliche Herausforderung bestand darin, dieses Habitat zum Saturn zu bringen und in einer Umlaufbahn um den Ringplaneten zu stationieren, so dass Urbain und seine Wissenschaftler das Landegerät in Echtzeit zu steuern vermochten.

Die Zeit hatte frühere Versuche zunichte gemacht, eine Fernerkundung des Titan durchzuführen. Es dauerte mehr als eine Stunde, ein Signal von der Erde zum Saturn zu senden, selbst wenn die beiden Planeten sich am nächsten standen. Ferngesteuerte Sonden scheiterten ungeachtet der technischen Raffinesse an dieser Zeitverzögerung. Für Jahrzehnte hatten Wissenschaftler auf der Erde frustriert mit den Zähnen geknirscht, während eine Sonde nach der anderen in Bodenspalten fiel oder von öligem schwarzem Schnee überzogen wurde, nur weil es Stunden dauerte, bis die menschlichen Controller ihnen die entsprechenden Anweisungen zu geben vermochten.

Das war einmal, sagte Urbain sich. Nun werden wir das Landegerät aus einer Entfernung von ein paar Lichtsekunden kontrollieren. Notfalls können wir auch einen Befehlsstand im Orbit um Titan selbst platzieren und die Reaktionszeit auf weniger als eine Sekunde reduzieren.

Aber er wusste auch, dass kein Mensch den Fuß auf den Titan setzen würde. Nicht für viele Jahre. Der Gedanke betrübte ihn zutiefst. Er wollte selbst über diese kalte, dunkle Oberfläche aus schwarzem Eis stapfen. Im tiefsten Innern wollte Edouard Urbain der erste Mensch sein, der die Oberfläche des Titan betrat.

317 Tage nach dem Start

»Meine Güte, hier unten sieht es aus wie in einem Filmstudio.«

Holly führte Manuel Gaeta durch den Versorgungstunnel, der unterm Dorf verlief. Deckenlampen schalteten sich automatisch ein, während sie durch den Tunnel gingen, und erloschen wieder, als sie vorbei waren. Die Wände waren mit Kabelbäumen, Rohrleitungen, Ventilen, Steuerpulten und im Abstand von hundert Metern mit Bildtelefonen gesäumt. An der Decke verliefen Rohrleitungen mit Farbcodes: Blau für Trinkwasser, Gelb für Abwasser, das zur Kläranlage floss, und Rot für Warmwasser, das den Wärmeaustauschern außen am Habitat zugeführt wurde. Der Tunnel hallte wider vom Summen der Pumpen und elektrischen Ausrüstung. Holly spürte die Vibrationen der metallenen Bodenplatten durch die Sohlen der Soft-Boots.

»Was ist ein Filmstudio?«, fragte sie.

»Wo man Videos dreht«, erwiderte Gaeta und ließ den Blick über die Rohrleitungen schweifen. »Wenn man eine Szene im alten Rom spielen will, baut man eine Kulisse, die so aussieht wie das alte Rom, müssen Sie wissen.«

»Ach ja. Ich verstehe. Aber warum sieht das hier wie ein Filmstudio aus?«

Er grinste. »Schauen Sie einmal auf die Rückseite einer Kulisse. Sie ist nur eine Fassade, normalerweise aus Plastik. Beim Blick hinter die Kulissen sieht man, dass sie mit Balken und Gerüsten gestützt werden.«

»Und dieser Ort erinnert sie daran?«, fragte sie verwirrt.

»Quasi«, erwiderte er. »Ich meine, ein paar Dutzend Meter über unseren Köpfen ist das Dorf…«

»Nein, wir sind schon unterm Dorf durch«, berichtigte Holly ihn. »Wir befinden uns nun unterm Park und gehen in Richtung der Farmen.«

»Wie auch immer. An der Oberfläche wirkt alles so real, aber hier unten sieht man, dass es nur eine Attrappe ist.«

»Ist es nicht!«, sagte sie nachdrücklich. »Es ist so real wie irgend möglich. Sie essen doch die Lebensmittel, die wir auf den Farmen anbauen, oder? Sie schlafen in einem Apartment im Dorf. Wie real sollte es denn noch sein?«