»Und wir zählen auf Sie, dass Sie sie auf den rechten Weg führen.«
»Aber was soll ich allein überhaupt ausrichten?«, sagte Eberly.
»Sie werden Unterstützung bekommen. Wir werden einen kleinen, aber ergebenen Kader von gleich gesinnten Menschen ins Habitat einschleusen.«
»Und ich soll ihr Anführer sein?«
»Ja. Sie verfügen über die entsprechenden Fertigkeiten; das haben wir Ihrem Lebenslauf entnommen. Mit Gottes Hilfe werden Sie das Schicksal dieser zehntausend Seelen in die richtigen Bahnen lenken.«
»Werden Sie es tun?«, fragte der Elegante gespannt. »Wollen Sie diese Verantwortung übernehmen?«
Eberly musste seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um ihnen nicht ins Gesicht zu lachen. Zum Saturn fliegen oder im Knast verrotten, sagte er sich. Den Anführer geben und eine Regierung bilden oder noch weitere neun Jahre in dieser stinkenden Zelle verbringen.
»Ja«, sagte er mit ruhiger Entschlossenheit. »Mit Gottes Hilfe nehme ich diese Verantwortung auf mich.«
Die beiden Männer lächelten sich zu; doch Eberly sagte sich, zu dem Zeitpunkt, wo das Habitat den Saturn erreicht hatte, wären er und alle anderen längst dem Zugriff dieser scheinheiligen Fundamentalisten entzogen.
»Sollte es Ihnen jedoch nicht gelingen, unsere Ziele zu verwirklichen«, sagte das Schweinsgesicht, »werden wir natürlich dafür sorgen, dass Sie hierher zurückgebracht werden und den Rest der Strafe verbüßen.«
»Wir könnten Ihnen auch noch ein paar Straftaten anhängen, die die Haftdauer verlängern würden«, fügte der andere zynisch hinzu und kam sich dabei offenbar wie ein ganz toller Hecht vor. »Ihr Lebenslauf weist nämlich eine ganze Latte von Vorstrafen auf, wie wir wissen.«
45 Tage vor dem Start
James Coleraine Wilmot war der Sohn eines Peer of the Empire, ein Baron, der nach der irischen Wiedervereinigung Nordirland verlassen hatte, wo seine Familie seit über fünfhundert Jahren gelebt hatte.
Aber er verspürte keine Bitterkeit. Seine Familie war nie reich gewesen; seit fast einem Dutzend Generationen hatte sie versucht, durch Schafzucht ein Dasein in ärmlicher Würde zu fristen. Wilmot hatte indessen nicht das geringste Interesse an Tierzucht. Seine Leidenschaft galt dem Studium des Tiers im Menschen. James Coleraine Wilmot war Anthropologe. Er war außerdem ein perfekter Verwalter und ein geschickter Kämpfer auf den stillen und dennoch wilden Schlachtfeldern des akademischen Betriebs. Er hatte das Gefühl, dass seine Ernennung als Leiter dieses zusammengewürfelten Haufens von Menschen auf der Mission zum fernen Saturn die Krönung seiner Laufbahn darstellte, ein sorgfältig kontrolliertes Forschungsprogramm am lebenden Objekt, ein Experiment auf einem Feld, auf dem man noch nie zuvor Experimente durchzuführen vermocht hatte.
Eine geschlossene, strikt begrenzte Gemeinschaft in einer autarken Ökologie und einer geschlossenen Ökonomie. Jedes Merkmal ihrer physikalischen Existenz war unter Kontrolle. Menschen aus Europa, Nord- und Südamerika, Asien und Afrika. Überwiegend Freidenker, Menschen, die unter den Restriktionen ihrer Heimatgesellschaften litten, die von religiösen Eiferern regiert wurden. Und natürlich die Wissenschaftler. Der offizielle Zweck dieser Mission war die wissenschaftliche Erforschung des Planeten Saturn und dessen großen Mondes Titan.
Wilmot wusste es aber besser. Er kannte den eigentlichen Zweck dieses Flugs zum Saturn und den Grund, weshalb die Sponsoren im Hintergrund wollten, dass ihre finanziellen Zuwendungen geheim gehalten wurden.
Die Chinesen hatten es wie immer abgelehnt, sich am Experiment zu beteiligen; sie waren Isolationisten bis ins Mark und blieben lieber unter sich. Doch sonst waren die meisten ethnischen und religiösen Gruppen repräsentiert. Welche Art von Gesellschaft diese Leute wohl hervorbringen würden? Ein Feldversuch in Anthropologie! Wilmot geriet beim Gedanken daran schier in Verzückung. Obwohl der Zweck hinter diesem Experiment, der wahre Grund für diesen Flug zum Saturn, ihn zutiefst beunruhigte. Aber er verdrängte diese Überlegungen und begnügte sich damit, sich auf die Zukunftsaussichten zu freuen.
Sein Büro war ein Spiegelbild des Mannes. Er hatte es wie sein Büro in Cambridge einzurichten versucht. Er hatte den großen Schreibtisch mit den klaren Konturen im dänischen Stil mitgebracht und den eleganten Stuhl mit der ergonomischen Rückenlehne, außerdem die Bücherregale und den kleinen runden Konferenztisch mit den vier minimalistischen Stühlen. Das ganz in Weiß gehaltene Mobiliar war hell und zweckmäßig und doch warm und behaglich. Selbst der Teppich, der fast den gesamten Fußboden bedeckte, stammte aus dem irdischen Büro. Schließlich werde ich hier mehr als fünf Jahre lang leben und arbeiten, sagte Wilmot sich. Da will ich es wenigstens schön gemütlich haben.
Die einzige Neuerung im Büro war der Gästestuhl — auch im dänischen Stil, aber mit einem glänzenden Chromgestell und weichen, karamellfarbenen Lederbezügen.
Manuel Gaeta saß auf dieser Garnitur und wirkte viel entspannter, als Wilmot selbst sich fühlte. Der dritte Mann im Raum war Edouard Urbain, Chef-Wissenschaftler des Habitats: Ein kleiner, schlanker Mann mit einem dunklen Bart, dessen schütteres Haupthaar straff zurückgekämmt war. Er saß auf einem dieser filigran wirkenden Stühle am Konferenztisch in der Ecke. Urbain war Wilmot nicht gerade sympathisch; er hielt den Mann für einen typischen, ziemlich cholerischen Franzosen, obwohl Urbain in Quebec geboren und aufgewachsen war.
»Wie ich sehe, sind Sie körperlich und geistig fit«, sagte Wilmot zu Gaeta und wies auf den Wandbildschirm, der die Testergebnisse des Mannes zeigte. »Mehr noch als fit; Sie sind geradezu ein Prachtexemplar.«
Gaeta grinste zufrieden. »Das bringt der Job eben so mit sich.«
Seine Stimme war leise, fast musikalisch. Er war von kleinem Wuchs, aber kräftig gebaut und stämmig. Unter dem weißen T-Shirt zeichneten sich starke Muskeln ab. Ein schönes Gesicht hatte er allerdings nicht: Die Nase war offensichtlich gebrochen, vielleicht sogar mehr als einmal; und der massive Kiefer verlieh ihm irgendwie das Aussehen einer Bulldogge. Doch die tief in den Höhlen liegenden dunklen Augen schauten freundlich, und er hatte ein entwaffnendes Lächeln.
»Ich muss Ihnen sagen, Mr. Gaeta, dass…«
»Manuel«, unterbrach der jüngere Mann ihn. »Bitte nennen Sie mich doch Manuel.«
Wilmot war durch dieses Angebot leicht irritiert. Er zog es nämlich vor, zumindest eine gewisse Distanz zu wahren. Und obwohl er feststellte, dass Gaeta durchaus imstande schien, ein ordentliches Englisch zu sprechen, sprach dieser seinen Namen mit einem deutlichen romanischen Einschlag aus. Wilmot warf einen Blick auf Urbain, dessen einzige Reaktion indes darin bestand, eine Augenbraue zu heben.
»Na gut«, sagte Wilmot. »Aber ich muss Ihnen trotzdem sagen, Mister… ähem… Manuel, dass es Ihnen entgegen dem Kalkül Ihrer Sponsoren nicht möglich sein wird, die Oberfläche des Titan zu betreten.«
Das tat Gaetas Lächeln freilich keinen Abbruch. »Die Astro Corporation hat fünfhundert Millionen Internationale Dollar in mich investiert, um diesen Flug durchzuführen. Und Ihr Universitäts-Konsortium hat dem Geschäft immerhin zugestimmt.«
Urbain brach das Schweigen fast explosiv. »Nein! Das ist unmöglich! Es ist niemandem erlaubt, die Oberfläche des Titan zu betreten. Das wäre nämlich eine Verletzung aller Prinzipien, die wir vertreten.«
»Hier muss ein Missverständnis vorliegen«, sagte Wilmot in ruhigerem Ton. »Bisher hat noch niemand die Oberfläche von Titan betreten, und…«
»Verzeihung«, sagte Gaeta, »aber genau darum geht es ja. Wenn schon jemand auf Titan gewesen wäre, gäbe es für mich keinen Grund mehr, diesen Stunt durchzuführen.«
»Stunt?«, fragte Wilmot missbilligend.
»Ich habe die Ausrüstung«, fuhr Gaeta fort. »Sie ist komplett getestet worden. Meine Crew kommt morgen an Bord. Alles, worum ich Sie bitte, ist ein Platz, an dem ich die Ausrüstung aufzubauen und auszuprüfen vermag. Alles andere haben wir schon vorbereitet.«