»Es ist schon ziemlich spät«, sagte der Professor. »Ich gehe nun zu Bett. Sie können auf dem Sofa schlafen, wenn Sie möchten.«
Holly nickte. Wilmot erhob sich vom Armstuhl und ging langsam ins Schlafzimmer.
An der Schlafzimmertür blieb er stehen. »Sie wissen, wo das Bad ist. Falls Sie irgendetwas brauchen, klopfen Sie einfach.«
»Danke«, sagte Holly und unterdrückte ein Gähnen.
Wilmot ging ins Schlafzimmer und schloss die Tür. Holly streckte sich auf dem Sofa aus und fiel trotz allem in einen traumlosen Schlaf, gleich, nachdem sie die Augen geschlossen hatte.
Eberlys Gedanken jagten sich, während er langsam den Pfad entlangging, der von seinem zu Wilmots Apartmentgebäude führte.
Die Wahl beginnt schon in ein paar Stunden, sagte er sich. In ungefähr zwölf Stunden werde ich Chef der neuen Regierung sein. Dann werde ich das Sagen haben.
Aber was nützt mir das, wenn Kananga und die anderen ihre Morde wie ein Damoklesschwert über mir schweben lassen? Sie werden mich beherrschen! Ich muss nach ihrer Pfeife tanzen! Ich werde nur eine Galionsfigur sein. Sie werden die wahre Macht haben.
Es ist zum Heulen. Da habe ich mich nun all die Monate abgerackert, geplant und gearbeitet, und nun, wo der Preis zum Greifen nah ist, wollen sie mir ihn vorenthalten. Aber so ist es immer schon gewesen; jedes Mal, wenn Sicherheit, Erfolg und Glück zum Greifen nah schienen, ist mir jemand in die Quere gekommen, jemand in einer Machtposition, der mir den Fuß in den Nacken setzte und mich wieder in den Schmutz trat.
Was kann ich tun? Was kann ich bloß tun? Sie haben mich in diese Lage gebracht und werden mich nicht mehr vom Haken lassen.
Während er den Weg zu Wilmots Gebäude entlangging, sah er, dass eine von Kanangas Wachen vor der Tür stand und auf ihn wartete.
Natürlich, sagte Eberly sich. Kananga hat schon mit ihm gesprochen und ihm gesagt, dass ich käme. Kananga und die anderen sind mir wahrscheinlich gefolgt.
Und dann hatte er eine Idee. Er blieb ein Dutzend Meter vor der schwarz gekleideten Wache stehen. Die Eingebung war so machtvoll, so brillant und so vollkommen, dass ein anderer auf die Knie gesunken wäre und welchem Gott auch immer gedankt hätte, an den er glaubte. Eberly hatte indes keinen Gott. Er grinste nur wie ein Honigkuchenpferd. Die Knie waren immer noch etwas weich, doch er ging direkt auf die Wache zu, die die Eingangstür für ihn öffnete. Ohne ein Wort zu sagen oder dem Mann auch nur zuzunicken, ging Eberly an ihm vorbei und erklomm die Stufen zu Professor Wilmots Apartment.
Das Klopfen an der Tür riss Holly aus dem Schlaf. Sie setzte sich ruckartig auf und war sofort in Alarmbereitschaft.
»Holly, ich bin es«, ertönte die gedämpfte Stimme auf der anderen Seite der Tür. »Malcolm.«
Sie erhob sich vom Sofa und ging zur Tür. Sie schob sie auf und sah Eberly. Und nur eine Wache auf dem Gang.
»Sie können nun gehen«, sagte Eberly zur Wache. »Ich übernehme hier.«
Die Wache entbot ihm einen lässigen militärischen Gruß und ging zur Treppe.
»Holly, es tut mir Leid, dass es dazu kommen musste«, sagte Eberly, als er das Wohnzimmer betrat und sich umschaute. »Wo ist Professor Wilmot?«
»Er schläft«, erwiderte sie. »Ich werde ihn holen.«
Wilmot kam ins Zimmer. Er trug schon wieder diesen flauschigen Morgenmantel. Ansonsten machte er einen ganz normalen und hellwachen Eindruck. Das Haar war akkurat gescheitelt. Auf seinem Gesicht lag jedoch ein Ausdruck, den Holly noch nie zuvor bei dem alten Mann gesehen hatte: Skepsis, Sorge, beinahe Furcht.
»Darf ich mich setzen?«, fragte Eberly höflich.
»Tun Sie sich nur keinen Zwang an«, sagte Wilmot gereizt. »Sie können doch sowieso tun und lassen, was Sie wollen.«
Doch anstatt sich zu setzen, nahm Eberly eine längliche schwarze Kiste aus der Tasche seines Gewands und schwenkte sie im Kreis durch den Raum. Dann schwenkte er sie auf und ab, von der Decke zum Boden und wieder zurück.
»Was tun Sie denn da?«, fragte Holly.
»Ungeziefer vernichten«, sagte Eberly. »Ich sorge dafür, dass unsere Unterhaltung von niemandem sonst mitgehört wird.«
»Sie haben meine Unterkunft verwanzen lassen, nicht wahr?«, fragte Wilmot verärgert.
»Das war Vyborgs Werk«, log Eberly, »nicht meins.«
»Tatsächlich.«
»Ich will die ganze Sache klären, bevor noch weitere Gewalttaten verübt werden«, sagte Eberly und setzte sich auf einen der beiden Armstühle.
»Ich auch«, sagte Holly.
Wilmot setzte sich langsam auf den Armstuhl gegenüber Eberly. Holly ging zum Sofa. Sie nahm darauf Platz und zog die Füße unter den Körper; sie fühlte sich beinahe wie ein Mäuschen, das sich so winzig und unsichtbar wie möglich machen wollte.
»Sie sind in Gefahr, Holly. Kananga will Sie exekutieren.«
»Und was gedenken Sie dagegen zu unternehmen?«, fragte Wilmot.
»Ich brauche Ihre Hilfe«, erwiderte Eberly.
»Meine Hilfe? Was erwarten Sie denn von mir?«
»In etwa achtzehn Stunden werde ich zum Chef der neuen Regierung gewählt worden sein«, sagte Eberly. »Bis dahin sind Sie noch immer der Vorsteher dieser Gemeinschaft, Sir.«
»Ich stehe unter Hausarrest und werde mit einem Skandal bedroht«, grummelte Wilmot. »Welche Möglichkeiten habe ich da noch?«
»Wenn Sie diesen Wachen befehlen, wegzutreten, würden sie Ihnen gehorchen.«
»Würden Sie?«
Eberly nickte. »Ja, vorausgesetzt, ich bestätige Ihren Befehl.«
»Ich verstehe.«
Holly schaute von Eberly zu Wilmot und wieder zurück. Skandal, fragte sie sich. Hausarrest? Was geht zwischen diesen beiden denn vor?
»Kananga hat Don Diego getötet, nicht wahr?«, sagte sie zu Eberly.
»Ja.«
»Und nun will er auch mich töten.«
»Das stimmt.«
»Wie wollen Sie ihn daran hindern?«
»Indem ich ihn festnehmen lasse«, sagte Eberly, ohne zu zögern. Aber sein Gesichtsausdruck verriet Besorgnis und Zweifel.
»Angenommen, er ist nicht gewillt, sich festnehmen zu lassen?«, sagte Wilmot. »Er ist schließlich der Leiter des Sicherheitsdienstes.«
»An dieser Stelle kommen Sie ins Spiel, Sir. Sie haben noch immer die legale Macht und die moralische Autorität, den Sicherheitsdienst zu leiten.«
»Von wegen moralische Autorität«, murmelte Wilmot.
»Wir werden auch Morgenthau und Vyborg verhaften lassen müssen. Sie waren Komplizen bei Kanangas Verbrechen.«
»Das ist leichter gesagt als getan. Falls Kananga sich widersetzt, bin ich ziemlich sicher, dass die meisten Sicherheitsleute seinem Befehl folgen würden und nicht meinem.«
»Aber der Sicherheitsdienst besteht doch nur aus etwa drei Dutzend Männern und Frauen«, sagte Holly.
»Dann käme ein Dutzend auf jeden von uns«, sagte Wilmot.
»Ja«, sagte Holly. »Aber es gibt noch weitere zehntausend Männer und Frauen in diesem Habitat.«
Wahltag
Kananga schaute auf die Armbanduhr und dann hinauf zum Apartmentgebäude. Er hatte schon seit fast einer Stunde mit einem halben Dutzend seiner besten Leute auf der Straße ausgeharrt.
»Ich glaube nicht, dass sie noch rauskommen wird, Sir«, sagte die Einsatzleiterin.
»Wir könnten reingehen und sie holen.«
»Nein«, blaffte Kananga sie an. »Warten Sie noch.«
Er riss den Palmtop aus der Tasche des Gewands und rief Eberly an.
»Was ist los?«, fragte er unwirsch, als Eberlys Gesicht auf dem winzigen Monitor erschien.
»Miss Lane wird vorläufig hier in Professor Wilmots Quartier bleiben«, sagte Eberly ungerührt.
»Was? Das kommt nicht in Frage.«
»Sie wird hier bleiben, bis die Wahl beendet ist. Wir wollen doch nicht, dass jemand die Wahl stört.«