»…eins …null …Start«, sagte Timoschenko.
Der Mastercomputer des Anzugs zündete das Schubtriebwerk im Rückentornister, und Gaeta spürte, wie er sanft aus der Ladebucht geschoben wurde. Nun schaute er nach unten aufs endlose Feld funkelnder Edelsteine und schwebte auf sie zu.
Wie schön, sagte er sich. Wie unglaublich schön!
»Sag etwas!«, ertönte Berkowitz Stimme, die per Relais- Schaltung aus dem Habitat übertragen wurde. »Sprich ein paar Worte für die Nachwelt.«
Gaeta leckte sich die Lippen. »Dies ist ein unglaublich schöner Anblick — der schönste, den ich jemals gesehen habe. Es ist… es ist… einfach unbeschreiblich. Mit Worten vermag man das überhaupt nicht auszudrücken.«
Für ein paar Minuten schwebte Gaeta über der Ringebene, wobei der Computer ihn automatisch auf der vorprogrammierten Flugbahn hielt. Er wusste, dass die Helm- Kameras alles aufnahmen, so dass er im Moment nicht viel zu tun hatte. Er staunte nur über den überwältigenden Glanz, der ihn umgab.
»Es ist wie im Märchen«, sagte er, wobei er sich kaum bewusst war, dass er laut sprach. »Ein Feld aus Diamanten. Eine ganze Welt aus Diamanten ist unter mir ausgebreitet. Ich fühle mich wie Sindbad der Seefahrer und Marco Polo und Ali Baba in einer Person.«
»Das ist großartig«, ertönte Berkowitz' Stimme. »Echt großartig.«
»Bist du schon von irgendwelchen Partikeln getroffen worden?«, fragte Fritz.
»Nein, jedenfalls von keinen, die die Sensoren erfasst hätten«, erwiderte Gaeta. »Ich stehe noch zu hoch über dem Ring.« Guter, alter Fritz, sagte er sich. Er versucht mich in die Wirklichkeit zurückzuholen.
Gaeta verspürte erneut einen sanften Schub im Rücken und näherte sich weiter dem Ring. In ein paar Minuten würde er ihn durchfliegen. Das wäre der gefährliche Teil des Stunts: zwischen all diesen kleinen und großen Brocken hindurch zu fliegen, während sie in ihrem Orbit um den Planeten rasen.
Nun sah er auch, dass der Ring keine massive Schicht war. Er bestand eindeutig aus vielen einzelnen Ringen, die vor seinen Augen sich verflochten und wieder voneinander lösten. Er sah Sterne durch den Ring und die Wölbung des mächtigen Saturn mit seinen bunten Wolkenbändern.
»Wie ein Zyklon in den südlichen Breiten«, berichtete er.
»Das ist jetzt egal«, sagte Fritz. »Konzentriere dich auf die Ringe.«
»Ja, Massa.«
»Was ist mit den Speichen?« Das war Wunderly, deren Stimme vor lauter Überschwang vibrierte. »Ich sehe sie im Blickfeld deiner Kameras. Eine nähert sich dir.«
Gaeta erkannte dunklere Stellen im Ring, die sich kräuselten, wie wenn Fans im Stadion eine Welle machten.
»Ja, sie bewegt sich in meine Richtung«, sagte er.
Bei genauerem Hinsehen erkannte er, dass das Gebilde wie eine Wolke aus dunkleren Staubteilchen aussah, die von der Ringebene aufstieg und neben der helleren Materie des Hauptkörpers des Rings her flog. Und er näherte sich ihr mit einer recht hohen Geschwindigkeit.
»Ich werde in sie hinein fliegen«, sagte er.
»Warte«, sagte Fritz. »Wir wollen sie erst einmal untersuchen.«
»Sie fliegt an mir vorbei; ich werde sie verfehlen.«
»Es wird noch weitere geben.«
Gaeta wollte aber nicht warten, bis wieder eine Speiche vorbeikam. Er zog den rechten Arm aus dem Anzugsärmel und gab einen Manöverbefehl für das Navigations-Programm ein.
»Auf geht's«, sagte er, als der Anzug in den Sturzflug ging und die sich annähernde Wolke anvisierte.
Fritz murmelte irgendetwas auf Deutsch.
»Es ist Staub«, sagte Gaeta. »Eine graue Substanz, aber die Partikel sind nicht mit Eis überzogen.«
»Korrigiere den Anflug-Vektor«, sagte Fritz schroff. »Stürz dich nicht kopfüber in die Wolke.«
»Ich will sie nur streifen«, sagte Gaeta. Er hatte nun richtig Spaß an der Sache. »Sie scheint nicht dick genug zu sein, um Probleme zu verursachen. Ich vermag sogar hindurch zu sehen.«
»Sag mir, ob sie…«, sagte Wunderly. Dann ging ihre Stimme in statischem Rauschen unter.
»Sag es noch mal«, rief Gaeta. »Ich habe dich nicht verstanden.«
Keine Antwort außer statischem Rauschen. Gaeta touchierte die am Ring entlang jagende Wolke. Er führte einen System- Check durch, und die Anzeigen auf dem Helmvisier zeigten, dass alles im grünen Bereich war — einschließlich des Funkgeräts.
Also keine Interferenzen, sagte er sich. Irgendetwas in der Staubwolke stört die Funkverbindung.
Die Wolke stob an ihm vorbei; sie umkreiste den Ring viel schneller als Gaeta mit seinem gemütlichen Tempo.
»…sprengt die Skala!«, rief Wunderly aufgeregt. »Das beweist, dass die Speichen durch elektromagnetische Wechselwirkung angetrieben werden.«
»Ich höre dich wieder«, sagte Gaeta. »Was auch immer den Funkverkehr gestört hat, es ist verschwunden.«
»Es sind die Speichen!«, sagte Wunderly. »Wir haben soeben bewiesen, dass sie von starken elektromagnetischen Feldern angetrieben werden!«
»Und dass sie die Funkverbindung stören«, fügte Fritz trocken hinzu.
»Die anderen Anzugssysteme sind nicht beeinträchtigt worden«, sagte Gaeta.
»Der Anzug ist auch stark abgeschirmt«, sagte Fritz.
»Ja.« Gaeta sah, dass er sich den Ring-Partikeln nun ziemlich schnell näherte. Als ob ich in ein Meer aus Diamanten eintauchte, sagte er sich mit einem glücklichen Lachen.
»Was ist denn so lustig?«, fragte Fritz unwirsch.
»Ich sagte mir gerade, ich hätte einen großen Eimer mitnehmen sollen, um ein paar von diesen Diamanten einzusammeln.«
»Das sind keine Diamanten. Das sind mit Eis überzogene Staubpartikel.«
»Die Partikel in den Speichen sehen aber nicht so aus, als ob sie mit Eis überzogen wären.«
»Das ist eine Nuss, die Dr. Wunderly knacken soll. Für dich geht es jetzt nur darum, den Geschwindigkeits-Vektor so zu justieren, dass er sich dem der Ring-Partikel möglichst weit annähert. Das wird Einschlags- und Abrieb-Probleme minimieren.«
Gaeta wusste zwar, dass das alles im automatisierten Navigationsprogramm gespeichert war. Dennoch glich er die Annäherungsgeschwindigkeit an die Fluggeschwindigkeit der Partikel an und sah, dass er den Anflug noch geringfügig zu verlangsamen vermochte. Dadurch werde ich mehr Zeit im Ring selbst haben, sagte er sich. Gut.
Dann sah er einen größeren, funkelnden Eisbrocken langsam durch den Ring taumeln.
»He, siehst du diesen Brocken? Er ist so groß wie ein Haus.«
»Halte dich von ihm fern!«, wies Fritz ihn an.
»Kannst du nah genug herangehen, um seine genaue Größe zu messen?«, fragte Wunderly.
Gaeta lachte wieder. »Was denn nun. Wegbleiben oder näher heran. Entscheidet euch mal, Leute!«
Gefangennahme
Während Holly auf allen vieren durch die Pipeline kroch, patschte sie mit der rechten Hand in eine kleine Pfütze, und im gleichen Moment spürte sie in der linken Hand eine schwache Vibration, die sich an der gekrümmten Innenwand der Rohrleitung fortpflanzte.
Sie erstarrte und lauschte. Wenn ich das Rauschen von Wasser höre, ist es ohnehin zu spät, sagte sie sich dann.
Sie war vor ungefähr fünf Minuten an einer Luke vorbeigekommen. Das bedeutete, dass es bis zur nächsten Luke noch einmal knapp fünf Minuten wären. Aus welcher Richtung kommt das Wasser, fragte sie sich. Ist egal, gab sie sich die Antwort selbst. Du musst deinen Hintern hier raus bewegen. Sofort!
Sie kroch hastig weiter wie eine Maus in ihrem Bau, so schnell sie Hände und Füße trugen. Irgendwo hinter sich hörte sie ein Rumoren und hielt es zunächst für einen Streich, den die Einbildung ihr spielte — bis sie das unverkennbare Beben von Wasser spürte, das durch die Rohrleitung rauschte. Als sie die Luke erreichte, hörte sie die Flut direkt hinter sich heranrasen. Mit zitternden Fingern öffnete sie die Luke, kroch aus der Rohrleitung und schlug die Luke zu. Die Flutwelle rauschte vorbei, und es spritzte noch Wasser durch die Luke, bevor sie sie richtig zu schließen vermochte.