Penentrier hatte jetzt das Licht entzündet. Der Schein desselben fiel gerade und voll auf das
Gesicht des Königs.
"Nun, meine Brüder, was führt —"
Er blieb, mehr als überrascht, ja, beinahe entsetzt, mitten in der Rede stecken, denn er hatte den Dasitzenden sofort erkannt. Ein Blick auf die beiden Anderen und ihre Stellungen belehrte ihn, daß die drei Männer nicht in freundlicher Absicht zu ihm gekommen seien. "Sie erschrecken?" frug der König gelassen. "Worüber?" Der Gefragte hatte sich schnell wieder gefaßt.
"Majestät, es ist nur der ausgezeichnete Rang meines Besuches, welcher mich überrascht." "Was war das für eine Formel, mit welcher Sie uns grüßten?"
Er wußte die Verlegenheit, in welche ihn diese Frage bringen mußte, vortrefflich zu verbergen.
"Derjenige, welcher sie mir beantwortete, vermag jedenfalls bessere Auskunft zu ertheilen als ich, Majestät."
"Diese Formel hat große Ähnlichkeit mit einer Parole." "Ich gebe es zu."
"Und zwar mit einer Parole unter Jesuiten." "Allerdings."
"Wo hörten Sie dieselbe?"
"Im Leseklubb, wo sie die Pointe eines Romans bildete, welcher vorgelesen wurde. Seitdem war es unter einigen Freunden spaßhafter Usus, uns mit dieser Formel zu begrüßen." "Befand sich in diesem Freundeskreise nicht auch ein gewisser Pater Valerius?" "Ich kenne diesen Namen nicht."
"Diese Unkenntniß ist wohl auch nur spaßhafter Usus, da wohl ein jeder Mensch seinen eigenen Namen kennt!"
"Verzeihen Majestät, daß ich diese Worte nicht verstehe!"
"Pah! Lassen wir diese Kinderei; sie ist hier am unrechten Platze! Sie heißen?"
"Aloys Penentrier."
"Ein französischer Name. Sie sind?"
"Rentier."
"Sie können sich als solcher legitimiren?"
"Vollständig. Darf ich Majestät die betreffenden Dokumente präsentiren?"
"Ist nicht nöthig. Sie sind gefälscht, und wir werden ja erfahren, von wem dies geschehen ist.
Ihr wahrer Name ist der vorhin genannte, nämlich Pater Valerius. Sie sind Jesuit. Wissen B
Sie nicht, daß es Männern von Ihrer Kongregation bei Strafe des Stäupens verboten ist,
Norland zu betreten?"
"Majestät, so wahr - -"
"Schurke, schwören Sie nicht! Ich werde Sie sofort überführen. Greifen Sie in Ihre Brusttasche, und händigen Sie mir die Dokumente aus, welche der Herzog von Raumburg soeben unterzeichnet hat, unterzeichnet bereits als "neuer König", wie Sie selbst zu sagen sich erkühnten!"
Der Abb, wurde leichenblaß.
"Majestät, ich bin nicht im Besitz von Dokumenten, welche -" "Still! Heraus damit, oder ich lasse Sie fesseln!"
Jetzt langte Penentrier in die Brusttasche. Die Blässe wurde womöglich noch tiefer, aber seine dunklen Augen leuchteten. Er hatte den Rücken nach der Thür gewendet und merkte nicht, daß Max hart hinter ihn getreten war.
"Gut, heraus damit, und Alles gleich zu Ende! Es lebe die Gesellschaft Jesu; nieder mit den Unterdrückern!"
Statt der Dokumente brachte er einen Revolver hervor und streckte den Arm zum Schusse aus. Ein Schlag von Maxens Faust aber ließ den Arm sinken, und der Revolver fiel zu Boden. Der König blieb ruhig sitzen, aber Brandauer trat auch herbei, und in Zeit von einer Minute war der Jesuit so gefesselt, daß er nicht die geringste Bewegung ermöglichen konnte. "Die Papiere!" befahl der König.
Max brachte sie hervor und überreichte sie ihm. Der König las sie durch. "Ah, Königsmord, Revolution, Landesverrath und Thronschacher für die Erlaubniß, die Brut der Jesuiten aufzunehmen! Laßt den Menschen liegen und untersucht seine Effekten!" Bei einer oberflächlichen Untersuchung wäre sicher nichts zu finden gewesen, aber Brandauer verstand sich als Schmied auf die Konstruktion geheimer Fächer. Die Möbels, welche der Wirthin gehörten, waren allerdings mit keinem dergleichen versehen, aber der Reisekoffer des Rentiers hatte einen Doppelboden, zwischen welchem ein ganzer Stoß von Papieren lag, die mit Chifferschrift beschrieben waren.
Der Gefangene war der Untersuchung mit ruhigem Auge gefolgt, ohne ein Wort zu reden. Jetzt aber lachte er höhnisch:
"Das sind die Akten einer ganzen Verschwörung, Majestät. Versucht es, sie zu lesen!"
Max warf einen Blick auf eines der Blätter.
"Wird man vermögen dies zu dechiffriren?" frug der König.
"Ich lese es."
"Wirklich?"
"Wirklich!"
"Pah!" lachte Penentrier. "Der Schmiedebursche mag sich die Zähne ausbeißen!" Max drehte sich nach ihm um.
"Deine Frechheit, Schurke, kommt Deiner Bosheit und Gewissenlosigkeit vollständig gleich, aber ich muß Dir sagen, daß ich diese Schrift bereits kenne und ihren Schlüssel in der Tasche habe. Erinnerst Du Dich jenes Engländers, welcher einst in einem Coupee mit Dir fuhr, während Du auf allen Stationen einen Bericht entgegennahmst? Einen dieser Berichte eskamotirte er und ich habe ihn dechiffrirt. Hier ist er noch. Er beginnt: "Helmberg, den zweiten Juli. Lieber Bruder in Jesu," und schließt: "Bis dahin, verehrter Bruder, sei im Herrn gegrüßt von Deinem eifrigen und getreuen H. de M., J. de la Robe." "Schuft!" knirschte der Jesuit.
"Der Herzog rühmte Deine Allwissenheit; wir wissen nicht weniger als Du. Ich selbst bin es, der den beiden Ärzten ihre Depeschen abnahm; ich bin in Eurem Brunnen gewesen, ich habe Euch heut Abend belauscht; ich weiß Alles, was in dem geheimen Kabinete des Herzogs gesprochen wird, ja, ich weiß sogar, daß Du die Ermordung Sr. Majestät auf Dich genommen hast, daß die beiden Sternburgs verschwinden werden und daß jedes Rädchen seine Schuldigkeit thun wird, wenn der Herzog den Schlüssel an die Uhr setzt, ich bin das verborgene Auge, von dem Du vorhin mit Raumburg sprachst. Deine Schriftzeichen verrathen nicht viel Scharfsinn. Soll ich diese Dokumente vorlesen, Majestät?"
"Nein. Ich habe viel zu thun. Du aber bleibst hier und vertrittst den Gefangenen gegen jeden Besuch, welcher vorsprechen sollte. Auf diese Weise werden wir noch Manches kennen lernen, was uns fremd geblieben ist. Dabei hast Du Zeit, diese Schreiben in ordentlicher Schrift zu Papiere zu bringen. Du aber, Brandauer, besorgst einen geschlossenen Wagen, den Du selbst fährst. Du ladest den Abb, heimlich auf und bringst ihn auf die Straße nach der
Irrenanstalt, bei welcher Du Punkt Mittag einzutreffen hast. Du fragst nach mir. Ich werde dort sein. Es versteht sich A ganz von selbst, daß von allem Geschehenen kein Mensch etwas wissen darf. Gute Nacht!"
Er ging. Auch Brandauer entfernte sich, und Max blieb bei seinem Gefangenen allein zurück. Er steckte ihm einen Knebel in den Mund und zog ihn in eine Ecke, wo er ihn stets vor Augen haben konnte. Dann machte er sich an das Dechiffriren der in dem Koffer aufgefundenen Papiere. -
Am andern Morgen betrat ein königlicher Lakai das herzogliche Palais und überbrachte dem Herzoge ein eigenhändig geschriebenes Billet des Königs, in welchem der erstere von dem letzteren in den freundlichsten Ausdrücken zu einer Spazierfahrt eingeladen wurde. "Sagen Sie Majestät, daß ich sofort erscheinen werde."
Er kleidete sich in große Uniform, ließ sich über den Fluß rudern und begab sich nach dem Schlosse, wo er bereits auf der Treppe von dem Könige empfangen wurde, dessen Mienen nichts als Wohlwollen verriethen.
"Guten Morgen, Durchlaucht! Störte ich Sie in wichtigen Geschäften?" "Ich bin zu jeder Zeit zur Verfügung, Majestät!"
"Der Morgen ist schön, ich fühlte mich etwas angegriffen, und daher entschloß ich mich zu einem kleinen Ausfluge. Wollen Sie sich anschließen?"
"Die Erlaubniß dazu ist mir eine werthvolle Auszeichnung."
"Frühstückten Sie schon?"
"Ja."
"So können wir sofort fahren. Kommen Sie!"
Er nahm ihn beim Arme und schritt mit ihm nach dem Schloßhofe, wo bereits sechs Rappen vor der glänzenden Equipage ungeduldig mit den Hufen scharrten. Sie stiegen ein. "Vorwärts!"
Der Kutscher erhob nur die Hand; die Pferde zogen an; der Wagen rollte im Schritte durch die Stadt und dann wie im Fluge die Landstraße dahin. Die beiden Männer verhielten sich längere Zeit schweigend; in dem Innern des Herzogs machte sich nach und nach ein gewisses Bedenken geltend. Diese Straße führte nach der Irrenanstalt, in welcher jene unliebsame Episode gespielt hatte, welche zwischen ihm und dem Könige noch nicht erledigt war. Sollte diese Erledigung heut vorgenommen werden? Er mußte sich Gewißheit verschaffen und brach darum das Schweigen: