Als sie den Korridor betraten, in welchem diese Nummer lag, tönte ihnen ein lautes Geheul entgegen.
"Schon eingeschnallt?" frug der König.
"Ja. Die Wärter haben Ew. Majestät Befehl vernommen und darnach gehandelt." "So kommen Sie!"
Die Thür der Zelle stand offen. Vier starke robuste Wärter standen vor dem Zwangsstuhle, auf welchem der Angekommene festgeschnallt war. Ihm gegenüber stand ein zweiter Stuhl. Beide waren mit eisernen Klammern an die Mauer befestigt. Sobald die Wärter die Herren kommen sahen, traten sie zurück, um Platz für dieselben zu machen.
"Durchlaucht, kennen Sie diesen Mann?"
"Pen - - ah - - nein, Majestät; er ist mir vollständig unbekannt."
"Es ist jener Penentrier, dessen Namen Sie soeben aussprechen wollten und den ich Ihnen vorzustellen versprach." "Was hat er gethan, Majestät?"
Der Herzog hatte seine Selbstbeherrschung wieder erlangt. Er erkannte, daß der König Alles erfahren habe und daß die Entscheidung zwischen sich selbst und dem Monarchen nicht in offener Feldschlacht falle, sondern daß ihre Stunde jetzt, hier zwischen den düstern Mauern des Irrenhauses hereingebrochen sei. Für seine eigene Person fürchtete er nichts; er wähnte sich erhaben über die menschliche Gerechtigkeit und hatte weder bemerkt noch gehört, was die Ärzte hinter seinem Rücken den vier Wärtern heimlich zuflüsterten. Er trat, als er seine letzte Frage that, in beinahe herausfordernder Haltung einen Schritt zurück und sah dem König fest in die Augen. Dieser lächelte gleichmüthig.
"Dieser arme Mensch leidet an der unglücklichen Manie, Könige entthronen und Herzoge an ihre Stelle setzen zu wollen." "Ist dies bewiesen, Majestät?" "Allerdings."
"Durch die nöthigen und untrüglichen ärztlichen und amtlichen Zeugnisse!"
"Ganz durch dieselben untrüglichen Dokumente wie zum Beispiel einst bei dem Herrn von
Wallroth und der Zigeunerin Zarba."
"Majestät, die Oberleitung dieser Anstalt liegt für jetzt in keiner andern als in meiner Hand!"
"Und wer steht wieder über Ihnen?"
"Niemand!"
"Ah! Sollte ich vielleicht in die glückliche Lage kommen, auch an Ihnen die Spur einer unglücklichen Geistesstörung wahrzunehmen?"
"Das ist niemals zu befürchten. Meine nüchterne Denk -"
"Nüchtern? Ich möchte behaupten, daß Sie in letzter Zeit sich in einem ganz bedeutenden Delirium befunden haben!"
"Ah! Majestät sprechen in dieser Weise und zwar vor diesen A Leuten hier. Nun wohl, so will ich Ihnen sagen, daß dieses Delirium um sich greifen wird, bis es sich über das ganze Land erstreckt; es wird zu einer Krisis führen, welche es offenbar macht, daß der Wahnsinn dieses vermeintlichen Kranken nichts Anderes ist, als das gesunde und sehr wohl begründete Bestreben, Norland glücklich zu machen." "Schön! Welches Glück meinen Sie? Wohl dieses hier?"
Er griff in die Tasche und zog die Dokumente hervor, welche der Herzog gestern dem Pater unterschrieben hatte. Er hielt sie ihm entgegen. Der Herzog erkannte sie und that einen hastigen Griff darnach. Der König zog sie zurück. Da packte ihn der Andere beim Arme. "Diese Papiere gehören mir. Her damit!" "Durchlaucht, bedenken Sie, wer es ist, der vor Ihnen steht!"
"In diesem Augenblicke nur ein Dieb, welcher sich mein Eigenthum angemaßt hat. Her damit, oder -!"
"Oder! Was? Durchlaucht, die Spur, von der ich vorhin sprach, wird immer deutlicher. Soll ich Sie wirklich für geisteskrank halten?"
"Herrraus!"
Er faßte den König bei der Brust. Dieser blieb ruhig.
"Meine Herren, Sie sehen, daß dieser Mann allen Ernstes geistig gestört ist; er nennt die Majestät einen Dieb und vergreift sich sogar an ihr. Thun Sie Ihre Pflicht: ich gebe ihn in Ihre Behandlung!"
Im Nu wurde der Herzog von den vier Wärtern gepackt. Er wehrte sich mit allen Kräften gegen sie, aber all sein Zorn und all seine Körperkraft halfen ihm nichts. Er wurde überwältigt und auf den leeren Zwangsstuhl gebunden, so daß er seinem jesuitischen Verbündeten Auge in Auge gegenüber saß. Ein Knebel verhinderte ihn am Sprechen.
Auf einen Wink des Königs traten die Andern aus der Zelle, so daß er sich allein mit den beiden Internirten befand.
A "Jetzt, Durchlaucht, werden Sie mich anhören müssen, ohne mich mit Ihrem Wahnsinne zu belästigen. Sie wurden geboren auf der höchsten Stufe unserer gesellschaftlichen Ordnung, aber ich habe erkennen müssen, daß Ihr moralischer Werth Sie berechtigt, Mitglied der allerniedrigsten Stufe zu sein. Es graut mir und ekelt mich, Ihnen alle Ihre Gebrechen und Verbrechen aufzuzählen, und ich kann Ihnen nur sagen, daß ich mich Ihnen und überhaupt meinem ganzen Volke gegenüber als den Stellvertreter eines Gottes fühle, dessen Liebe, Gnade und Barmherzigkeit das ganze All durchdringt, dessen Heiligkeit und Gerechtigkeit aber auch einen Jeden gerade mit dem zu bestrafen weiß, womit er sündigt. Daß ich diese Gerechtigkeit übe, haben Sie an den beiden Ärzten, Ihren Werkzeugen, gesehen und werden es auch an sich selbst erkennen. Dieses der Humanität geweihte Haus mußte Ihnen als Marterhalle für Ihre Opfer dienen, die Sie peinigen ließen, bis der Wahnsinn wirklich kam; es wird nun die Stätte Ihrer Sühne sein, wo Sie einen Blick thun sollen in die Qualen, welche Ihr entmenschtes Herz den Unschuldigen bereitete. Denken Sie nicht, daß Sie meiner Hand entkommen werden. Die jetzigen Beamten dieser Anstalt sind mir treu ergeben, denn ich habe Ihre Kreaturen entfernt. Und wie Sie selbst nicht erfuhren, wo Ihre beiden Werkzeuge hingekommen sind, so wird auch kein Mensch ahnen, wo Sie sich befinden. Ihre politischen Machinationen sind durchschaut; Sie haben aufgehört eine Person zu sein; Sie sind eine Nummer, bis ich Ihnen vielleicht einst erlaube, wieder als menschliche Individualität zu erscheinen."
Er verließ die Zelle, welche hinter ihm fest verschlossen wurde, und begab sich mit den Ärzten nach dem Direktorialzimmer.
"Meine Herren," befahl er, "ich freue mich Ihnen sagen zu können, daß ich Ihnen meine Anerkennung und Zufriedenheit schenken darf. Ich sehe mich in der Lage, dieser Anstalt einen neuen Direktor geben zu müssen. Einer von Ihnen Beiden soll es sein, und da ich Sie meines Vertrauens für gleich würdig halte, so will ich die Entscheidung nicht selbst treffen, sondern sie Ihnen allein überlassen. Besprechen und einigen Sie sich über diesen Gegenstand, es wird dies nicht schwierig sein, da ich entschlossen bin, Ihre beiderseitigen B Gehalte nach gleicher Höhe zu bemessen und Sie auch in sonstiger Beziehung einander völlig gleich zu stellen. Ich erwarte baldigst Ihre Entscheidung, welcher ich meine Zustimmung geben werde. Was das heutige Ereigniß betrifft, so bleibt dasselbe in das tiefste Geheimniß gehüllt. Der Herzog hat sich verschiedener Verbrechen schuldig gemacht, von denen Sie später hören werden, er bleibt als Wahnsinniger internirt, in einer Zelle mit seinem jetzigen Gefährten, und Beide werden gleich scharf gehalten. Derjenige von Ihrem Personale, welcher den gegenwärtigen Aufenthalt des Herzogs verräth, wird als Hochverräther mit dem Tode bestraft. Weitere Befehle werden Ihnen direkt durch mich oder den Herrn Doktor Max Brandauer zugehen, den Sie als Ihren Vorgesetzten zu betrachten haben. Sie kenne ihn von seinen Besuchen her. Adieu!"
Er verließ die Anstalt, bestieg seine Equipage und fuhr im Karriere der Stadt entgegen, in deren Nähe er den Schmied überholte. Er ließ halten und stieg in den Wagen des bürgerlichen Freundes. Während die Karosse leer davonrollte, befahl er dem Schmied nach dem Gasthofe der Wittwe Barbara Seidenmüller zu fahren. Er hatte sich unter das Lederverdeck des Wagens zurückgezogen, so daß ihn kein Begegnender bemerken konnte, und als er an dem Gasthofe ausstieg, war augenblicklich Niemand zugegen.
Sie stiegen die Treppe empor und fanden Max eben dabei, das letzte Papier zur Seite zu legen.
Er erhob sich und grüßte ehrfurchtsvoll.
"Fertig?" frug der König.