Auch er hatte sich in ein Frauentuch gehüllt, welches durchweg dunkelroth gefärbt war. Der Seemann liebt einmal die hellen Farben.
Die Umschlagetücher schienen nur zum Schutze der Kleidung vorhanden zu sein, denn Beide trugen die Köpfe hoch wie beim schönsten Wetter und ließen sich den Regen mit aller Gemüthlichkeit in das Gesicht schlagen; er schien sie auch nicht im mindesten in ihrer Unterhaltung zu stören.
B Wer sie früher einmal gesehen hätte, wäre jetzt trotz des Dunkels sicher nicht an ihnen vorübergegangen, ohne Beide zu erkennen: den Bootsmann Karavey und den Steuermann Schubert, den Bruder des Obergesellen Thomas.
"Heiliges Mars- und Brahmenwetter," meinte der Riese, "ist das hier eine Zucht und Unordnung!"
"Was?"
"Daß diese Wagen vorübersegeln, ohne zu fragen, ob es noch andere Kreaturen gibt, die auf Erden wandeln. Dieser letzte hätte mich beinahe über den Haufen gerissen, und ich bin mit Koth bespritzt von der Mastspitze an bis zum Kiele herab." "Geht wieder weg!"
"Aber mein schönes neues Tuch! Das Wasser thut nichts, aber dieser Dreck. Wer soll morgen noch die Blumen und Guirlanden erkennen! Aber weiter mit Deiner Insel!"
"Gut also! Diese Höhle zu finden, macht mir keiner nach, und auch ich hätte sie nicht entdeckt, wenn mich nicht dieser Zufall hingeführt hätte."
"Aber warum nahmst Du nicht alle Steine und das ganze Gold mit fort?"
"Das hätte mir sehr verhängnißvoll werden können. Ich hatte mir nur einige Proben des
Schatzes mitgenommen, als ich in meine Hütte zurückkehrte, und bereits am andern Morgen kam das Schiff in Sicht, welches mich nachher aufnahm. Konnte ich mehr holen? Die Leute wären mir gefolgt und hätten meinen Schatz ganz sicherlich entdeckt."
"Das ist wahr. Aber ist er denn wirklich so bedeutend?"
"Ich verstehe mich nicht darauf ihn abzuschätzen, aber nach dem, was ich für den einen Rubinen nur erhalten habe, der mir gewiß nicht hoch genug bezahlt worden ist, sind viele Millionen vorhanden."
"Heiliges Mars- und Brahmenwetter, da wollte ich doch gleich, daß ich auch einmal über diese Juweleninsel hinwegstolperte!"
"Sind wir hier zu Lande fertig, so fahren wir hin, Steuermann, und holen die Steine." "Aber wenn Dir etwas passirt? Die Zeiten sind so, daß man seine Schiffsbücher sehr in Ordnung halten sollte."
"Ist bereits geschehen. Im Rücken meiner Weste sind einige Papiere eingenäht, die Alles enthalten, was zu wissen nothwendig ist. Sollte mir etwas passiren, so bist Du der Vollstrecker meines Testamentes. Auch Zarba weiß davon; sie hat die Abschriften in der Tannenschlucht versteckt."
"Still, Bootsmann, vom Testamente! Ich mag nichts erben und habe auch gar nicht gemeint, daß gerade Dich ein Unglück ansegeln soll. Aber dort guckt ein Licht zwischen den Bäumen heraus. Sollte da der Hafen sein, in den wir einlaufen müssen?" "Jedenfalls, wenn die Beschreibung stimmt." "Also wie heißt der Kerl, an den wir uns zu wenden haben?" "Karl Goldschmidt."
"Und was für ein Wort müssen wir sagen?"
"Es sind zwei. Vor der äußeren Thür "Vergeltung" und vor der zweiten "Rache." Bei zwei
Stichworten hat man eine größere Sicherheit als bei nur einem."
"Natürlich. Hier scheint der Weg abzuzweigen. Also hinüber nach Steuerbord!"
Sie kamen an ein Gebäude, welches eine sehr breite Fronte hatte. Dennoch war nur ein einziges Fenster erleuchtet, aber so scharf, daß die Strahlen des Lichtes weit hinaus auf die
Straße fielen. Die Thür war verschlossen. Karavey klopfte an. Nach einigen Sekunden ließen sich Schritte hören, welche sich von innen der Thür näherten.
"Wer klopft?"
"Gäste."
"Weshalb?"
"Zur Vergeltung."
Der Riegel wurde geöffnet.
"Eintreten."
Es war vollständig finster im Flur, so daß sie die Person nicht erkennen konnten.
"Wohin?" frug Karavey.
"Ah, Ihr seid noch nicht dagewesen?"
"Nein."
"So!" klang es zurückhaltend. "Geradeaus trefft Ihr den Eingang."
Sie tasteten sich im Dunkel vorwärts, bis sie an eine Thür kamen; dort klopften sie wieder an.
"Wer ist da?" klang es von Innen.
"Gäste."
"Ihr wollt herein?" "Ja."
A "Wozu?" "Zur Rache." "Kommt!"
Die Thür wurde aufgemacht, und sie traten in ein kleines Gemach, in welchem eine bedeutende Zahl abgelegter Röcke, Mäntel, Hüte und Schirme errathen ließ, daß sehr viele Leute vorhanden seien. Der Mann, welcher ihnen geöffnet hatte, betrachtete sie verwundert und beinahe mißtrauisch. "Wer seid Ihr?"
Diese Frage schien nicht nach dem Geschmacke des Steuermanns zu sein.
"Heiliges Mars - und Brahmenwetter, sehen wir etwa aus wie Verräther und Spitzbuben! Wir haben die Parole, und damit basta! Wo ist die Versammlung?"
Während dieser Worte hatte er sein Umschlagetuch abgenommen, so daß der Thürhüter seine Gestalt und seinen Habitus sehr eingehend mustern konnte. Er lächelte.
"Alle Teufel, seid Ihr ein forscher Kerl! Ihr waret Beide noch nie hier, und da wird man wohl fragen können, wer Ihr seid. Es ist dies sogar meine Pflicht."
"Schön. Ich heiße Balduin Schubert und bin Steuermann auf Seiner Norländischen Majestät
Kriegsschiffe Neptun; dieser Mann ist mein Freund, der Bootsmann Karavey."
"Schön. Ihr seid Freunde und könnt durch jene Thür eintreten, Vorher aber möchte ich Euch fragen, ob Euch irgend ein besonderer Umstand herführt."
"Werdet es wohl noch erfahren!"
Er warf sich das nasse Tuch über die eine Achsel und schritt zu der bezeichneten Thür. Der Bootsmann folgte. Sie traten in einen hell erleuchteten saalähnlichen Raum, dessen sämmtliche Fenster so dicht verhangen waren, daß sicherlich von außen kein Lichtstrahl zu bemerken war. Auf den vorhandenen Bänken und Stühlen saßen wohl mehrere hundert Personen, welche den verschiedensten Ständen anzugehören schienen. Sogar Offiziere waren vorhanden, wie man, obgleich sie Civil trugen, an ihrem Äußeren erkennen konnte. Im Hintergrunde war eine Rednertribüne errichtet, auf welcher ein junger Mann stand, der soeben einen Vortrag beendigt zu haben schien, dessen Wirkung eine außerordentliche war, denn alle Hände klatschten und alle Stimmen vereinigten sich zu einem rauschenden Beifallssturme. Kellner liefen geschäftig hin und her, um die geheimnißvollen Gäste zu bedienen, und das war ein Anblick, bei welchem sich die Miene des Steuermannes sichtlich erheiterte. "Komm, Bootsmann! Hier ist noch Platz. Heut ist Grogwetter. Nimmst Du einen mit?" "Ja."
"Kellner!"
Der laute Ruf dieser Stimme war bei der nach dem Applaus eingetretenen Stille über den ganzen Raum hin zu vernehmen, und Aller Augen wandten sich den zwei Männern zu, deren
Eintritt man gar nicht bemerkt hatte. Das Äußere derselben erregte auch hier eine bemerkbare
Verwunderung.
Der Kellner erschien.
"Sie wünschen?"
"Zwei Grogs und Auskunft."
"Auskunft worüber?"
"Ist ein Mann zugegen, welcher Karl Goldschmidt heißt?" "Ja. Es ist der Herr, welcher soeben gesprochen hat." "Wir haben mit ihm zu reden." "Mit ihm? Dem Präsidenten?" "Ja. Schicken Sie ihn her!"
Der Literat Goldschmidt, ganz derselbe, welcher jenes unglückliche Rencontre mit dem wilden Prinzen gehabt hatte, war vom Podium gestiegen und kam, als ihm der Kellner den Wunsch der Beiden gemeldet hatte, herbei. Sein Gesicht war noch sehr bleich, ganz wie das eines Mannes, der erst vor Kurzem von einer schweren Krankheit genesen ist und sich noch nicht vollständig erholt hat. Er reichte den Beiden freundlich die Hand. "Sie sind Eingeweihte?" "Ja."
"Aber keine Führer, denn sonst müßte ich Sie kennen. Hier verkehren nicht gewöhnliche Mitglieder, sondern nur die Führer, und daher vermuthe ich, daß Sie Boten irgend eines Bruders sind."
"Boten sind wir allerdings," antwortete Karavey, "aber nicht von einem Bruder, sondern von einer Schwester."