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"Von einer Schwester?" frug Goldschmidt freudig überrascht. "Wir haben nur eine einzige Schwester, und erwarten von ihr allerdings wichtige Botschaften." B "Zarba?"

"Ja. Ihr kommt von ihr?"

"Von ihr. Ich habe diesen Brief an Sie abzugeben."

Goldschmidt nahm ihn in Empfang, öffnete und las ihn. Seine Augen leuchteten auf; er eilte davon und betrat die Tribüne.

"Meine Brüder. Soeben ist mir ein Schreiben unserer geheimnißvollen Anführerin zugegangen, welches unserem Warten ein Ende macht und uns zum schleunigsten Handeln auffordert. Die Truppenbewegungen an der Grenze haben nicht den Zweck der Übung, sondern sie bedeuten eine Invasion nach Norland. Der Aufstand dort ist bis in das Kleinste eingeleitet, und das geringste unvorhergesehene Ereigniß kann den Schneeflocken bewegen, welcher zur Lawine wird. Halten wir uns daher bereit. Die Erhebung unseres Nachbarvolkes ist eine künstlich vorbereitete, nicht eine aus gerechtfertigten Ursachen sich natürlich entwickelnde wie die unsrige. Der Herzog von Raumburg trachtet nach dem Throne; er will ihn auf dem Wege der Revolution beschreiten. Er wird Tausende um Freiheit, Glück und Leben bringen, ohne seinen Zweck zu erreichen, denn die Regierung kennt seine Umtriebe und wird ihn mit seiner eigenen Waffe schlagen. Die beiden unter dem Prinzen Hugo stehenden Armeekorps sind bestimmt, auf den ersten Ruf Raumburgs in Norland einzurücken und ihn zu unterstützen, während unser übriges Militär bereit steht, nachzufolgen. Wir sind klüger und vorsichtiger gewesen als dieser Herzog, der sein Volk dem angestammten Könige entfremdete, um selbst zum Herrscher und Tyrann zu werden. Kein Uneingeweihter ahnt, daß im Innern Süderlands selbst das Feuer glimmt, welches da drüben mit Gewalt angefacht werden soll. Wenn der König von Norland sein Ohr dem richtigen Rathe zuwendet und seinen Unterthanen eine Konstitution verheißt, so wird ihm Alles entgegenjubeln und der Aufstand wird zu einer ungeheuren Beifallsbewegung werden. Dann stehen unsere Truppen drüben isolirt und beschämt. Diesen Affront müssen wir benutzen und vorher Alles aufbieten, ihn hervorbringen zu helfen."

Lebhafte Beifallsrufe belohnten diese Worte. Er fuhr weiter fort:

"Dies geschieht am Besten dadurch, daß wir unser Militär degeneriren, jeden strategischen und taktischen Zusammenhang zerstören und ganz besonders unsere Marine zerstreuen. Wir wissen, daß sich binnen jetzt und wenigen Tagen eine Kriegsflotte in Tremona sammeln wird, um Süderhafen zu nehmen und die norländischen Küsten zu blockiren. Dies muß verhindert werden. Es sind Brüder unter uns, welche zu den höchsten Angestellten der Marine und des Kriegsministeriums gehören. Ihnen wird es leicht, alle Fäden zu zerreißen, welche Norland und uns gefährlich werden können. Erlauben Sie mir, diesen Brief vorzulesen und dann zur Berathung zu schreiten!"

Er las das Schreiben Zarbas vor, welches ungetheilten Beifall fand und alle mit Bewunderung über die Allwissenheit der Zigeunerin erfüllte. Dann bildeten sich einzelne Gruppen zur lebhaftesten Diskussion, um welche sich aber weder Karavey noch der Steuermann viel bekümmerten.

Nach einiger Zeit trat Goldschmidt zu ihnen heran. "Sie sind Seemänner, wie es scheint?"

"Ja," antwortete Schubert. "Ich bin Steuermann, und dieser ist Bootsmann, alle beide Norländer. Sie kennen also unsere Zarba?" "O, sehr!"

"Da muß ich Ihnen sagen, daß mein Kamerad ihr Bruder ist." "Ah! Ists möglich?"

"Ja. Er hat eine ganz bedeutende Rechnung mit diesem Raumburg quitt zu machen."

"Da könnte ich Ihnen ja mein vollstes Vertrauen schenken?"

"Heiliges Mars- und Brahmenwetter, das können Sie!"

"Ist Ihre Zeit sehr kurz bemessen?"

"Wir haben Urlaub so lange wir wollen."

"Darf ich Ihnen eine ähnliche Botschaft anvertrauen, wie diejenige ist, welche Sie uns gebracht haben?" "Versteht sich!"

"Es ist nicht nothwendig, Ihnen zu erklären, weshalb ich gerade Ihnen diesen wichtigen Auftrag ertheile. Waren Sie bereits einmal in Tremona?" "Früher oft."

"Kennen Sie dort das Schloß des Fürsten von Sternburg?" "Ja."

"Sein Sohn, der Fregattenkapitän Arthur von Sternburg wohnt jetzt dort. Er ist mein Freund,

und an ihn sollen Sie einen Brief abgeben, der keinem andern Menschen in die Hände kommen darf. Kennen Sie ihn?"

"Habe ihn gesehen, aber nur von weitem."

"Also, wollen Sie?"

A "Versteht sich!" "So kommen Sie morgen Mittags wieder hierher. Der Wirth, welcher Ihnen vorhin den zweiten Eingang öffnete, wird Ihnen das Schreiben geben. Sie leisten diesen Dienst nicht nur uns, sondern ganz vorzüglich auch Ihrer Schwester Zarba." "Ist die Sache nachher eilig?"

"Innerhalb von drei Tagen muß der Kapitän das Schreiben erhalten haben."

"So brauchen wir also nicht mit allen Segeln und voller Dampfkraft zu steuern?"

"Nein. Wir haben Vorbereitungen zu treffen, welche in dem Augenblicke, an welchem Sie den Brief übergeben, beendet sein müssen." -

Zwei Tage später stiegen mit dem Mittagszuge die beiden Seeleute in Tremona aus. Der Weg nach Schloß Sternburg führte eine Strecke längs des Hafens hin. Der Steuermann blieb bei jedem Schiffe stehen, um es mit Kennermiene zu betrachten. "Hm," meinte er. "Hier geht etwas vor." "Was?"

"Siehst Du nicht, daß alle Kriegsfahrzeuge zum in die See stechen rüsten?" "Hat nicht den Anschein."

"Heimlich, alter Junge, heimlich. Es gibt eine Expedition, von welcher Niemand etwas wissen soll und bei der die alten Karthaunen wohl ein wenig brummen werden." "Scheint wahrhaftig so!" "Bemerkst es auch?"

"Ja. Dort die alte Brigantine hat mitten im Theeren und Kalfatern aufgehalten und macht sich das neue laufende Zeug an die Raaen."

"Paß auf, heut Abend ist kein einziges dieser Fahrzeuge mehr im Hafen."

"Auch dort das kleine Ding scheint zum Aufbruche zu rüsten. Was für eine Art von Kahn oder Boot ist es denn eigentlich?"

"Hm, sonderbar! Die Masten zum Niederlegen; habe das bei einer Yacht noch gar nicht gesehen. Muß ein Privatschiff sein und gehört vielleicht einem Englishman, der eine gute Portion Spleen und einige andere Mucken hat." "Wollen es einmal betrachten!"

Sie schritten näher, konnten aber Beide nicht recht klug werden.

"Komm," meinte Karavey. "Erst hinauf zum Schlosse, und dann stauen wir uns in irgend eine kleine Koje, wo es einen guten Schluck zu haben gibt." Der Steuermann blickte zur Höhe empor.

"So schlagen wir gleich diesen Fußweg ein, der wie eine Strickleiter zum Schlosse führt. Komm!"

Sie stiegen denselben Weg empor, auf welchem soeben Arthur herniederkam.

"Stopp!" meinte Karavey. "Siehe Dir doch einmal den Maate an, der da herabgesegelt kommt.

Kennst Du ihn?"

"Ah!"

"Bill Willmers."

"Heiliges Mars- und Brahmenwetter, es ist wahr!" "Was thut der da oben?"

"Hm, da kommt mir ein Gedanke. Sagte ich Dir nicht, als wir ihn da droben im Gebirge zuerst sahen, daß er ganz wie der Kapitän Sternburg sieht?" "Das ist wahr."

"Ich lasse mich kielholen, wenn er es nicht ist." "Aber warum soll er denn als Matrose gehen?"

"Um sich ein Späßchen zu machen, wie es so vornehme Leute manchmal thun." "Er war doch damals als Bedienter droben!"

"Thut nichts. So eine hübsche kleine Feluke, wie das Mädchen war, würde ich auch bedienen,

und wenn ich ein König wäre."

"Was wird er sagen, wenn er uns sieht?" "Das wirst Du bald hören. Komm!"

Er faßte Karavey beim Arme und zog ihn hinter ein Kirschengesträuch, welches am Wege stand. Arthur kam heran, ohne sie zu bemerken. Kaum war er vorüber, so meinte der Steuermann mit halblauter Stimme: "Herr Kapitän!"

Sofort drehte sich der Gerufene um. Die Beiden traten hinter dem Busche hervor, der Bootsmann halb verlegen, der Steuermann aber mit einem höchst pfiffigen Gesichte, welches seinen ehrlichen gutmüthigen Zügen außerordentlich interessant stand.