Es war Nacht geworden, und man meldete dem Könige zwei Männer, welche um eine Audienz bäten. "Wer ist es?"
"Sie wollen ihre Namen Ew. Majestät selbst nennen."
"Welches Aussehen haben sie? Zu so später Stunde bittet man nur wegen einer ungewöhnlichen Veranlassung um eine Audienz."
"Es scheinen Männer gewöhnlichen Standes zu sein. Sie haben dichte lange Vollbärte und tragen die Kleidung von ordinären Arbeitern." "Laß sie ein! Max!"
Der Gerufene trat aus dem Nebenzimmer.
"Zwei Männer bitten unter Verschweigung ihrer Namen um eine Audienz. Ich rufe Dich zu meiner Sicherheit."
Die Betreffenden traten ein. Ihre Verbeugung war nicht diejenige eines Arbeiters. "Was wünschen Sie?" frug der König.
"Zunächst eine Unterredung mit dem Herrn Doktor Brandauer. Wir sind von ihm gerufen worden und hörten in seiner Wohnung, daß er sich hier bei Ew. Majestät befinde." "Wer sind Sie?" frug Max. "Ich kenne Sie nicht und weiß auch nichts davon, daß ich zwei Fremde zu mir bestellt habe."
"Du kennst uns," antwortete der Jüngere, "und hast uns wirklich gerufen, und zwar telegraphisch sogar."
Er nahm Bart und Perücke ab, und sein Begleiter that dasselbe. "Arthur!" rief Max, und "Sternburg!" rief der König.
Beide eilten auf die Genannten zu, um sie herzlich zu begrüßen.
"Ihr kommt zur rechten Zeit und schneller als wir dachten. Aber in dieser Verkleidung?" "Wir kannten den Stand der Dinge nicht," antwortete der Fürst, "und hielten es für gerathen unsere Ankunft keinen Menschen wissen zu lassen."
"Vortrefflich!" stimmte der König bei. "Die Details werdet Ihr kurz vernehmen, da uns keine Zeit zu längeren Auseinandersetzungen bleibt. Kapitän, Sie befanden sich längere Zeit in Tremona. Kennen Sie die Befestigungswerke dieses Hafens genau?" "Ganz genau. Ich habe mir sogar einen sehr genauen Plan derselben ausgearbeitet." "Brav! Ich höre, die süderländische Flotte hat gegenwärtig dort ein bedrohliches Rendezvous?"
"Allerdings sollte sie es haben. In diesem Augenblicke aber befindet sich kein einziges
Kriegsschiff mehr dort vor Anker."
"Ah! So segeln sie bereits gegen uns?"
"Nein. Die Flotte wurde zerstreut."
"Zerstreut? In wiefern?"
Arthur erklärte ihm die Umstände.
"Ausgezeichnet!" rief der Monarch erfreut. "Getrauen Sie sich einen Coup auf Tremona?" "Wenn Majestät mir die dazu nöthigen Fahrzeuge anvertrauen, ja."
"Wir haben bereits die darauf bezüglichen Vorkehrungen getroffen. Der Herzog, welcher bereits eingezogen ist, beabsichtigte, unsere Marineschiffe so zu zerstreuen, wie es jene Verbrüderung mit den Süderländischen gethan hat; aber glücklicher Weise fand ich A noch Zeit, diesen Streich unschädlich zu machen. Wie lange Zeit brauchen Sie, um nach Insel Bartholome zu kommen?"
"Wenn ich sofort Extrazug nehme, bin ich in zwei Stunden in Süderhafen, und meine Yacht wird mich von da aus in sechs Stunden nach der Insel bringen." "Ihre Yacht? Das muß ja ein ganz vortreffliches Fahrzeug sein." "Das ist sie auch. Darf ich fragen, warum Majestät mich nach jener Insel dirigiren?" "Weil dort der Sammelplatz unserer Flotte ist. Ich habe mich entschlossen, Ihnen nicht nur die Expedition gegen Tremona, sondern sogar den Oberbefehl über meine sämmtliche Marine anzuvertrauen. Die nöthigen Instruktionen werden Sie augenblicklich im Nebenzimmer erhalten."
"Danke, Majestät!"
"Sie sind zwar noch jung, aber Sie sind zugleich der Einzige, den ich für befähigt halte, es mit dem berühmten Nurwan-Pascha aufzunehmen. Eben jetzt sind meine Transportschiffe beschäftigt, an verschiedenen Küstenpunkten Truppen unter dem Schutze der Nacht aufzunehmen, welche zur Landung in Tremona bestimmt sind. Auf Bartholome werden Sie General Helbig finden, welcher sie kommandiren soll. Wir haben diese Insel gewählt, weil sie außer dem gewöhnlichen Kurse liegt und unser Vorhaben also nicht sofort entdeckt werden kann. Du, Sternburg, übernimmst die Leitung meiner kriegerischen Evolutionen im Lande selbst."
"Gern, Majestät, und ich hoffe es zu erreichen, daß mein König mit mir zufrieden ist." "So kommt herein!"
Sie traten in das Nebenkabinet, welches gegenwärtig als Hauptarbeitsbureau diente. Bereits nach einer Viertelstunde wurde es von dem Kapitän und nach eben derselben Zeit auch von seinem Vater wieder verlassen. Dann dauerte es eine Weile, bis Max auch erschien und gleichfalls fortging.
Sein Weg führte ihn nicht nach Hause, sondern hinaus vor die Stadt in die Richtung der Klosterruine. Zwar war der Major von Wallroth bestimmt gewesen, die Verschworenen gefangen zu nehmen, da er aber dann den Auftrag erhalten hatte, Zarba die erbetenen Geschütze zuzuführen, so hatte Max, trotzdem er ganz außerordentlich mit anderen Arbeiten beschäftigt war, es unternommen, diese hochwichtige Arretur zu leiten. Er ging nicht direkt zur Ruine, sondern schlug, als er die Stadt hinter sich hatte, einen Weg ein, welcher nach einem seitwärts liegenden Walde führte. Kaum war er in denselben eingetreten, so hörte er das Knacken eines Gewehrhahnes. "Werda!"
"Ein Freund. Bringen Sie mich zu Ihrem Kommandeur." "Folgen Sie!"
Max wurde etwas tiefer zwischen die Bäume gebracht, wo sich die Offiziere der hier postirten Truppen befanden.
"Hier ist ein Mann, der nach dem Herrn Major verlangt," meldete der Posten.
"Wer sind Sie?" frug der Genannte.
"Brandauer."
"Ah, der Herr Doktor! Ist es an der Zeit?"
"Wohl noch nicht ganz. Haben Sie das Terrain gehörig rekognoscirt?" "Ja."
"Die andern Herren auch?" "Ja."
"Und was haben Sie beschlossen?" "Ich beschloß, Ihren Befehl abzuwarten."
"Schön! Die Zeit ist nahe, in welcher die Leute kommen werden. Natürlich fangen wir sie nicht bei ihrer Ankunft ab, sondern wir gehen sicherer, wenn wir sie die Ruine unangefochten betreten lassen." "Auch meine Ansicht."
"Sie geben mir einige zuverlässige Leute mit, in deren Begleitung ich die Versammlung beobachte. Im geeigneten Augenblicke lasse ich Sie benachrichtigen, worauf Sie die Ruine einschließen. Sind Sie stark genug, wenn wir bewaffneten Widerstand finden?" "Ich denke es. Wir haben nur einen Angriff zu befürchten, wenn er sich in Masse nach einem einzigen Punkte richtete."
"Sie werden Ihre Leute so postiren, daß sie in diesem Falle augenblicklich an die bedrohte Stelle gezogen werden können."
"Dann entblößen wir andere Punkte und ermöglichen das Durchbrechen Einzelner." "Sollte es keine Vorkehrung geben, dies zu verhüten?"
B "Wir müßten einen doppelten Kordon ziehen, dessen äußere Glieder halten bleiben, wenn die inneren zusammengezogen werden."
"Ich stimme Ihnen bei. Sie haben scharf geladen?"
"Ja."
"Wer Widerstand leistet, wird einfach getödtet. Aber bitte, gebrauchen Sie nur im Nothfalle die Schußwaffen. Wir müssen jeden Lärm zu vermeiden suchen. Sollte es je Einem gelingen durchzubrechen, so folgen ihm die beiden Leute, zwischen denen er entkommt, sofort auf dem Fuße und versuchen, ihn entweder festzuhalten oder, wenn dies nicht gelingt, zu tödten, während die anderen Glieder die Kette gleich wieder schließen. In einer Stunde kommt der Mond, dessen Licht uns von großem Nutzen sein wird. Also einige Männer, Herr Major!" "Wie viele?"
"Nur zwei, die ich, um allen Eventualitäten zu begegnen, Ihnen als Boten zurücksenden werde. Sie lassen die Gewehre einstweilen hier."
Er verließ, gefolgt von den Soldaten, den Wald und ging vorsichtig der Ruine zu. Er erreichte unbemerkt den Aufgang und postirte sich an derselben Stelle hinter die Büsche, an welcher er den Prediger gefangen hatte. Nach oben verklingende Schritte sagten ihm, daß bereits einer oder einige von den Erwarteten eingetroffen seien.