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"Ich kenne nur die Zeichen der Zigeunersprache. Hier stehen drei Worte. Wie heißen sie?" "Zeig her. Vielleicht bringe ich sie heraus!" Er forschte lange auf dem Papiere herum, ehe er begann:

"Ta - ta - tannenschlucht - - Pa - pa - parole - Ka - ka - Karavey - also: Tannenschlucht. Parole: Karavey."

"Karavey? Das ist ja mein Name! Ist es wahr, daß er hier zu lesen steht, Steuermann?" "Er steht hier!" bekräftigte der gefragte, stolz auf seine Lesefertigkeit.

Der Zigeuner blickte sinnend vor sich nieder. Dann frug er: "Wofür hast Du die beiden Bursche wohl gehalten?"

"Hm, viel Kluges und Ehrbares war es wohl nicht. Sie hatten keine braven Augen."

"Ich halte sie für Pascher."

"Kannst Recht haben, Alter!"

"Dann ist auch der Zettel zu verstehen."

(\38\)A "Wieso?"

"Sie haben in der Tannenschlucht heut ein Geschäft." "Aber wie kommt Dein Name dazu, als Parole zu gelten?"

"Das ist mir auch ein Räthsel. Es muß Einen unter ihnen geben, der ihn kennt."

"Und dieser Eine muß der Anführer sein, denn nur von diesem wohl wird die Parole ausgegeben."

"Was Du da sagst, ist sehr wahrscheinlich. Weißt Du, daß ich große Lust verspüre, die Tannenschlucht auszusuchen?"

"Heiliges Mars- und Brahmenwetter, bist Du bei Sinnen? Ein guter Bootsmann hält stets die Augen offen; Du aber wärest ja vollständig mit Blindheit geschlagen, wenn Du Dich ohne Ursache mitten unter dieses Volk vor Anker legen wolltest!" "Und wenn ich nun eine gute Ursache dazu hätte?" "Wie lautet sie?"

"Das Ziel meiner Wanderung liegt ganz in der Nähe der Tannenschlucht." "So kennst Du diesen Ort, he?"

"Sehr gut, von meinen früheren Wanderungen her. Eine halbe Stunde oberhalb der Schlucht stand damals ein Häuschen, in welchem unser ständiger Lowenji wohnte." "Was bedeutet dieses Wort?"

"Es heißt soviel wie Beschützer, Verberger, Verheimlicher -" "Oder Hehler, Gelegenheitsmacher, nicht?" lachte der Steuermann.

"Auch richtig! Der Gitano ist ein gehetzter Hund, der sich nur wehren kann, wenn er nicht nach dem Gesetze fragt. Sein Lowenji wohnt stets an der Grenze zweier Länder, und die Lowenja, wie wir seine Hütte nennen, darf nie verlassen stehen; sie wird nach seinem Tode sofort mit einem neuen Lowenji besetzt, damit uns nie die Zuflucht und die Hilfe fehlt. Alle seine Geheimnisse erben auf den Nachfolger über, der Alles weiß, was man bei ihm erfragen will."

"Ah, jetzt verstehe ich! Du gehst nicht geraden Weges zur Residenz, sondern hierher, um Dich bei dem Manne nach Deiner Schwester zu erkundigen?"

"So ist es. Die Lowenja ist ganz sicher bewohnt, und ihr Besitzer wird mir wohl Auskunft geben können, wo Zarba jetzt zu finden ist, wenn sie noch am Leben ist. Vielleicht erfahre ich bei ihm auch, was es für eine Bewandtniß mit dieser Losung hat." "Ist es weit zu ihm?" "Beinahe noch zwei Stunden."

"So laß uns aufbrechen, damit wir noch vor Nacht dort ankommen!" Sie bezahlten dem wieder eintretenden Wirthe das Genossene und verließen den Krug. Die Straße stieg immer höher zwischen den Bergen hinauf; die Gegend wurde wilder und wilder, und als nach anderthalb Stunden der Zigeuner in einen Seitenpfad einbog, schlugen die dunklen Zweige der Tannen und Föhren dicht über ihren Köpfen zusammen. Nach einer beschwerlichen Wanderung gelangten sie an eine mit üppigem Farrenkraut und Dorngestrüpp überwucherte Waldblöße, an deren Rande ein Häuschen stand, dem auf den ersten Blick ein mehr als hundertjähriges Alter anzusehen war.

"Hier ists!" meinte Karavey, indem er über die Blöße hinweg gerade auf die Hütte zuhielt. "Eine ganz niederträchtige Kabine, Alter," antwortete der Steuermann. "Man sollte meinen, diese Bude brauche kein einziges Segel aufzuhissen, um beim ersten Windstoße wrack zu gehen. Wer da drin wohnt, ist wahrlich nicht zu beneiden!"

Bei der niedrigen Thüre angekommen, klopfte der Zigeuner. Nur auf ein mehrmaliges Klopfen ließen sich schlürfende Schritte vernehmen; es wurde von innen geöffnet, und die Spitze einer fürchterlichen Habichtsnase erschien in dem schmalen Spalt, der vorsichtiger Weise freigegeben wurde.

"Wer ist draußen?" frug eine schnarrende Stimme. "Wer wohnt hier?" lautete die Gegenfrage des Zigeuners. "Tirban, der Waldhüter." "Seid Ihr es selbst?" "Ja."

"So tretet hervor! Ich habe Euch nach Etwas zu fragen."

"Zu fragen? Das könnt Ihr auch so thun; Ihr werdet meine Antwort auch durch die Spalte hören."

"Dieses Haus ist die Lowenja der wandernden Gitani?"

"Wie meint Ihr das?"

"Ich frage, ob Ihr der Lowenji seid!"

"Hm! Wer seid denn Ihr, und wie lautet Euer Name?"

"Ich heiße Karavey."

"Karavey? Zarba's Bruder, der einst unser Vajda werden (\38\)B sollte und dann auf das große Wasser geschickt wurde, weil sich der Herzog vor ihm fürchtete?" "Ichbin es!"

Jetzt wurde die Thür vollständig geöffnet, und es zeigte sich eine Gestalt, die man für noch älter als die Hütte hätte halten mögen. Sie war außerordentlich dürr und tief gebeugt; aber die kleinen, listigen Augen blitzten über die fürchterliche Nase hinweg in noch jugendlichem Feuer, und die Bewegung, mit welcher der Alte jetzt hervortrat und dem Angekommenen die skeletartige Hand entgegenstreckte, war schnell und energisch, wie man es bei diesem Alter sicher nicht erwartet hätte.

"Sei mir willkommen, Herr, und Bhowannie segne Deinen Eingang in meine arme Hütte! Wer ist der Mann, der bei Dir ist?"

"Ein Freund, der mir so viel gilt wie ich selber."

"So mag auch er willkommen sein. Tretet ein, und nehmt fürlieb mit dem, was ich Euch bieten kann!"

Sie traten in den engen, niederen Raum, der außer einem armseligen Lager nichts enthielt als einen rohen Tisch und zwei eben solche Bänke.

"Du nanntest den Namen meiner Schwester," begann Karavey, als sie sich niedergelassen hatten. "Lebt sie noch?"

(\39\)A "Sie lebt und ist mächtig unter ihrem Volke." "Wo werde ich sie finden?"

"In drei Tagen hier bei mir, wenn Du sie hier erwarten willst." "Das dauert mir zu lang. Wo ist sie jetzt?"

"In der Hauptstadt, wo Du sie erfragen kannst im Hause des Hofschmiedes Brandauer."

"Hat sie einen Mann aus unserem Volke?"

"Nein."

"Oder-oder-Kinder?" "Nein - ich weiß es nicht."

"Sieh diesen Zettel! Mein Name steht darauf. Weißt Du, auf wessen Befehl?" Der Alte ergriff das Papier, warf einen Blick darauf und fuhr zurück. "Von wem hast Du diese Worte?" "Von zwei Fremden, die sie im Kruge verloren."

"Sie werden ihre Strafe erhalten. Wem am Abende die Ordre fehlt, der hat die ganze Strenge der Vajdzina zu erwarten."

"Wer ist jetzt die Vajdzina und über wen gebietet sie?"

"Das - das wirst Du später erfahren," antwortete Tirban mit einem sprechenden Blicke nach dem Steuermanne.

"Du kannst meinem Freunde ganz dasselbe Vertrauen schenken wie mir. Also, auf wessen Befehl wurde mein Name als Parole gegeben?" "Auf den Befehl Deiner Schwester." "Ah!"

Er stieß nur diesen Ruf aus und saß dann eine ganze Weile schweigend und in Nachdenken versunken da. Dann erhob er sich.

"Es ist gut, alter Tirban; ich weiß genug. Das Andere werde ich von Zarba selber hören, die ich in der Schmiede suchen gehe."

"So willst Du mich schon wieder verlassen, ohne mir zu erzählen von dem, was Du bisher erfahren hast?"

"Ja ich gehe. Nun ich erfahren habe, daß sie noch lebt, habe ich keine Ruhe, bis ich sie sehen und sprechen kann. Was meine Erlebnisse betrifft, so - aber, wer ist der Mann, der da auf das Haus zuschreitet?"

Sein Auge war durch das kleine, halb erblindete Fenster auf (\39\)B eine lange, kräftige Gestalt gefallen, welche sich in eiligen Schritten der Hütte näherte. Tirban musterte sie und meinte dann: