"Natürlich wählte man Sternburg?"
"Er meldete sich selbst. Es war bereits Nachmittag, als das Boot, welches ihn an die Küste setzen sollte, mit ihm abging. Man fuhr natürlich zunächst in die See hinaus, schlug dann einen Bogen und landete einige Stunden abwärts an einer einsamen, unbewohnten Stelle des Landes. Sternburg hatte nur einen Revolver und ein Messer mit und trug die Kleidung eines gewöhnlichen Handelsschiffmatrosen. Es gelang ihm, sich glücklich bis an den Fluß zu schleichen, wo er erfuhr, daß das beabsichtigte Fest wirklich stattfinde. Es war während dem Abend geworden, und sämmtliche Flottenoffiziere hatten sich nach dem Fort begeben." "Alle Teufel, nun kam er doch mit seinem Berichte zu spät! Ehe er zurückgelangen konnte, mußte ja bereits der Morgen anbrechen."
"Dasselbe sagte auch er sich, und daher beschloß der kühne Mann, auf eigene Faust zu handeln."
"Bravo! Wie fing er das an?"
"Sehr einfach. Er begab sich an Bord des Flaggenschiffes und - -" "Des Flaggenschiffes? Der Kerl war verrückt!"
"Nicht ganz. Man wußte sehr genau, daß wir uns nicht stromaufwärts wagen konnten; daher hatte man sich vollständig sicher gefühlt und allen Offizieren außer dem jüngsten Schiffsfähndrich Erlaubniß gegeben, den Ball zu besuchen. Der Fähndrich hatte natürlich nichts zu thun, als sich zu ärgern, daß er hatte zurückbleiben müssen. Zur Entschädigung war ihm eine Ration Rum und Zucker zur Verfügung gestellt worden, um für die Mannschaft einen tüchtigen Extragrog zu brauen. Man war eben mit dieser Arbeit beschäftigt, als Sternburg von seinem Kahn aus um (\59\)B die Erlaubniß bat, an Bord kommen zu dürfen. Man fragte natürlich, was er wolle, und er gab zur Antwort, daß er Matrosendienste zu nehmen beabsichtige und sich dem Kapitän vorstellen wolle." "Der ist nicht an Bord," war die Antwort. "So bringt mich zum ersten Lieutenant!" "Ist auch von Bord." "Zum Zweiten!"
"Auch mit fort. Nur der Fähndrich ist da. Komme herauf zu mir, Bursche!"
Sternburg schwang sich am Eimertaue empor und stand vor dem Fähndrich. Dieser frug ihn nach den gewöhnlichen Punkten und war mit den Antworten so zufrieden, daß er gar nicht begehrte, die Papiere des neuen Mannes zu sehen; das war übrigens auch nur Sache des Kapitäns.
"Kannst gleich an Bord bleiben, bis der Kapitän zurückkehrt," lautete sein Bescheid; "ich meine sehr, daß er Dich behalten wird. Geh vor zu den Mannen und stelle Dich dem Bootsmann vor!"
Sternburg that dies und wurde, da er sich zu geben wußte, nicht übel aufgenommen. Besonders erregte seine Idee, einige Flaschen Rum als Einstand zu geben, ungeheure Theilnahme. Der Fähndrich, welcher stolz darauf war, einmal angegangen werden zu müssen, gab mit stolzem Tone seine Erlaubniß, und der Koch stieg in den Raum hinab, um das Getränk heraufzubugsiren.
"Die Idee war zwar gefährlich aber nicht schlecht!"
"Meine es auch, denn nach Verlauf von einigen Stunden hatten Grog, Rum und Tabak das Ihrige gethan. Zwar gab es keinen eigentlichen Rausch, denn dazu war die Mannschaft zu fest und die Portionen zu klein, aber schlafen wollten sie Alle, schlafen mußten sie, und sogar der junge Fähndrich stieg hinab und legte sich ein wenig in die Hängematte. Man befand sich ja in vollständiger Sicherheit." "Was wird Sternburg jetzt thun!"
"Die Sternwache hatte sich auf eine Taurolle gesetzt und schlummerte, die Sprietwache lehnte an einer Lafette und schnarchte, und der Oberbootsmann, welcher eigentlich zum Rechten sehen mußte, saß mit dem Koche in der Kambüse und zerarbeitete sich mit dem Grogreste, welcher vor ihnen stand. Da ließ sich Sternburg wieder am Eimertau hinab, zog sein Messer, pagayete sich auf dem zur Disposition gesetzten Boote nach hinten und zerschnitt das große Ankertau. Jetzt hing das Schiff nur noch an den beiden Nothankern; auch diese wurden gekappt, und es begann sich langsam zu bewegen." "Alle Teufel! Ob die Mannen das bemerken werden?"
"Sogleich jedenfalls nicht. Sternburg hing das Boot wieder an und schwang sich an Bord zurück. Er fand noch Alles, wie er es verlassen hatte, und eilte zum Steuer. Dieses war natürlich angebunden. Er löste das Tau, gab dem Hebel die nothwendige Richtung und befestigte ihn dann wieder. Nun legte er sich in die Nähe der Vorderluke auf ein zusammengelegtes Segel, um das Kommando zu erwarten." "Bin selbst auch begierig, was folgen wird!"
"Nicht viel. Das Wetter war nicht freundlich. Ein dichter Nebel lag auf dem Flusse, und ein leiser Sprühregen näßte auf das Deck nieder. Das Schiff wurde natürlich mit der Schnelligkeit des Wassers mitgenommen, doch waren seine Bewegungen so ruhig und gleichmäßig, und die Dünste so dick, daß man hätte beschwören können, daß es sich noch fest vor Anker befinde. So ging es an die zwei Stunden fort. Jetzt wurde das Glas ausgerufen und die Wache gewechselt. Die Mannen waren alle schlaftrunken. Die abgelösten Posten schliefen sofort, und die neu aufgezogenen wickelten sich ein und legten sich hinter ein Segel oder sonst etwas, wo sie Schutz vor dem Regen fanden." "Und Niemand merkte etwas?" "Kein Mensch!"
"Beinahe unmöglich, aber bei einem solchen Nebel - und dem Grog und dem Rum! Hm, soll mich verlangen, wie es jetzt noch kommt!"
"Weiter nichts, als daß das Fahrzeug ruhig der See entgegen geht. Mittlerweile wurden die Nebel etwas leichter, und der Mann am Spriete schaute über den Mantelkragen hervor, um zu sehen, wie dick der Regen fiel. Da erblickte er vor sich am Steuerbord ein Licht und am Backbord ein zweites. Er machte Lärm und der Fähndrich erschien." "Was gibts?"
"Zwei Lichter hier und dort!"
"Fahrzeuge, die auf uns zukommen. Es wird doch nicht etwa gar der Feind sein, der uns überrumpeln will. Holla, alle Mann---"
Er konnte den Befehl nicht vollständig aussprechen, denn Sternburg (\60\)A stand bei ihm und schlug ihm die Faust auf den Kopf, daß er zu Boden stürzte. Zuvor aber hatte der muthige Mann die Luke mit dem Sturzseeriegel verschlossen, so daß die Leute im Raume gefangen waren, denn die hintere Luke hatte er schon früher zugemacht, und jetzt hatte er es also nur mit den vier Mann Wache zu thun."
Der Erzähler nahm einen Schluck aus seinem Glase und fuhr dann fort: "Der Sprietwache ging es natürlich ebenso wie dem Fähndrich, und Beide waren im Augenblicke gebunden, so daß sie sich nach dem Erwachen nicht zu rühren vermochten. Der Mann am Steuerbord hatte von dem Vorgange gar nichts gemerkt; er schlief, ebenso auch der Mann auf der Backbordseite. Sie zu überwältigen war ein Leichtes, und ebenso erging es auch der Steuerwache. Jetzt war er Herr auf dem Decke geworden, und zwar ganz zur richtigen Zeit, denn soeben erscholl der Ruf von vorn: "Schiff ahoi, leg klar!"
"Feindliches Flaggenschiff, genommen und kommandirt von Lieutenant von Sternburg!" antwortete er.
"Teufelei! Stopp oder wir geben die volle Ladung!"
Die Sache war nämlich so, daß das Flaggenschiff jetzt die Blockadelinie erreicht hatte und im Begriffe stand, zwischen zwei Fahrzeugen unserer Flotte hindurchzutreiben. Sternburg wußte, daß der entscheidende Moment nahe sei, rief die Parole hinüber und gebot dann: "Werft die Enterhaken hinüber; werde Bord an Bord herangehen, aber schnell!" "Die Parole hatte ihn legitimirt. Er sprang an das Steuer, riß das Tau los und trieb das Schiff hart an den Bord des andern. Im Nu fielen die Enterhaken ein, und es sprangen einige dreißig Mann herüber, die er mit Freuden begrüßte, denn Ihr könnt es Euch doch recht gut denken, daß es ihm nicht gar wohl gewesen ist bei dem Gedanken, es ganz allein mit der Bemannung eines dreimastigen Orlogschiffes zu thun zu haben. Das Übrige könnt Ihr Euch denken. Der Lärm weckte die Mannen unten im Raume, sie wollten empor und konnten nicht. Nach langer Anstrengung sprengten sie die Luke, wurden aber sofort richtig in Empfang genommen, denn auch das nächste Schiff der Linie war herbeigekommen und hatte sich an die andere Seite der Prise gelegt, so daß Männer genug vorhanden waren, den Feind zu überwältigen. Am Sonnenaufgang stand Sternburg schon vor dem Admiral, der ihm die Führung des eroberten Schiffes übergab; er hatte dasselbe heimwärts zu bringen und erhielt außer einem Orden den Rang eines Korvettenkapitäns für den Streich, den mancher andere wackere Offizier wohl unterlassen hätte. Als er mit der Prise an uns vorübersegelte, habe ich ihn von Weitem gesehen, ob ich ihn aber wiederkennen würde, wenn er mir jetzt begegnete, das weiß ich nicht. So, das ist meine Geschichte!"