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"Du richtest zu streng. Auch ich habe sie später etwas weniger ernst gefunden, als ich sie vorher taxirte; aber sie ist noch jung, und die mangelhafte Erziehung wird sich nachholen lassen."

"Du bist ein großer Psycholog, Paul, um zu wissen, daß eine junge zweiundzwanzigjährige Dame noch zu ziehen ist."

"Pah! Du als Literat, der sehr berühmte Romane und Novellen schreibt, bist natürlich seelenkundiger als der bescheidene Uhrmacher Paul Held; aber ich meine, wenn ein Mädchen den Mann ihrer Wahl wirklich lieb hat, so wird sie ihren Fehlern gern entsagen." "Richtig, doch von diesem gern entsagen bis zum wirklichen Aufgeben der Fehler ist ein weiter und schwieriger Weg, zu welchem eine Charakterfestigkeit gehört, welche dem Leichtsinne entgeht. Emma hat mich heut noch innig lieb, aber ihre Gefallsucht wird sie auf Abwege treiben, auf denen sie vielleicht jetzt schon wandelt." "Karl!" rief der Andere zum zweiten Male.

"Ich bleibe bei dieser Behauptung. War es früher nicht ihr größtes Glück, des Abends an meinem Arme sich zu erholen? Und was thut sie jetzt? Sie verspricht mir, zu kommen, hält aber selten Wort, und wenn ich nachforsche, so höre ich, daß sie nicht daheim geblieben, sondern bei dieser Frau Schneider gewesen ist, deren Existenz mir eine höchst problematische zu sein scheint. Dieses Weib hat eine Tochter, welche den Anziehungspunkt gewisser Herrenkreise bildet. Ich habe Emma gebeten, die Familie zu meiden, sie hat meinen Wunsch nicht berücksichtigt; ich habe es ihr mit Strenge befohlen, sie ist mir ungehorsam gewesen; ich säe Aufrichtigkeit und ernte Lügen; diesem Zustande möchte ich ein Ende machen und kann es doch nicht, weil ich - - sie zu innig, zu innig liebe!" "Armer Freund!"

"Ja, arm, sehr arm!" Wie reich und glücklich war ich vorher. Ich gehöre zu den gelesensten Novellisten; man bezahlt meine Arbeiten so, daß ich mehr einnehme als ich bedarf; ich könnte es schnell vorwärts bringen, doch glaube mir, Paul, seid meiner Bekanntschaft mit Emma habe ich nicht eine einzige Arbeit vollendet, welche ich mit gutem Gewissen dem Drucke hätte übergeben dürfen. Wenn es so fortgeht, so bin ich geistig und wirthschaftlich ruinirt." "Sei einmal ernst mit ihr!"

"Ich bin es gewesen, doch hilft der Ernst so wenig wie die Liebe. Ich möchte am Liebsten - -

doch schau dort hinüber! Ist das nicht Anna?"

"Ja, sie ist es," meinte Held, erfreut über den Anblick der Geliebten.

"Und allein - ganz so wie ich vermuthete!"

Die junge Dame, jene sanfte Blondine, von welcher Karl Goldschmidt gesprochen hatte, begrüßte die Beiden und wandte sich dann an den Literaten. "Ich bringe Emma leider heut nicht mit -" "Heut? Sagen Sie lieber - immer!"

"Sie versprach mir noch am Nachmittage, mitzugehen, doch als ich kam um sie abzuholen,

war sie bereits ausgegangen."

"Dann kehre ich nach Hause zurück."

"Bleibe bei uns, Karl! Du störst uns nicht," bat Held.

"Das weiß ich. Aber Du weißt nicht, was es heißt, Andere glücklich zu sehen, selbst aber unglücklich zu sein. Gute Nacht!"

Er ging, doch nicht nach Hause, sondern unwillkürlich lenkte er seine Schritte nach der Straße, in welcher Emma's Vater wohnte. Dieser schien ausgegangen zu sein, da keines der Fenster erleuchtet war. Karl wußte, daß nur ein Vorsaalschlüssel vorhanden sei und kannte auch den Ort, wohin dieser gelegt wurde, wenn Vater und Tochter nach verschiedener Richtung die Wohnung verließen. Er stieg die Treppe empor, zog den Schlüssel unter dem Schranke hervor und öffnete. Dann trat er in Emma's Zimmer, welches nach der Seite des

Hofes lag. Es war ihm niemals eingefallen zu lauschen oder zu spähen, jetzt aber hielt er es als eine Pflicht gegen sich selbst, nach Momenten zu suchen, welche geeignet waren, ihm über das Verhalten der Geliebten Aufklärung zu geben.

Er brannte die Lampe an und warf einen Blick im Zimmer umher. Er fand Alles in der gewohnten Ordnung. Wollte er (67\)A irgend einen Anhalt gewinnen, so mußte er eingehender forschen. Er untersuchte den Schrank, den Sekretär, die Nähtoilette und die Kästen der Kommode. Schon war er mit den Letzteren beinahe zu Ende, so erblickte er ein Kästchen, welches ihm vollständig fremd war; es mußte erst kürzlich in den Besitz der Geliebten gekommen sein. Er öffnete es und fand einige duftende Couverts, auf denen ein sammetnes Etui lag. Das Letztere enthielt eine kostbare Schmuckgarnitur, und in jedem Couverte stak ein zierlich geschriebenes Billetchen. Er las die Letzteren; sie dufteten so sehr nach dem Weihrauche der Bewunderung und enthielten der Schmeicheleien so kräftige, daß nur einer unkundigen Seele die grobe Absicht dieser Schreibereien entgehen konnten. Unterschrieben waren die Billets mit "von Polenz, Oberlieutenant."

"Hund!" knirschte Karl. "Oder ist es nicht Hundenatur, auf fremdem Gebiete zu revieren? Diese Herren dürfen mit ihren sogenannten noblen Passionen ungestraft das Glück und Wohl ihrer Nebenmenschen tödten, und wenn ein armer Teufel vor Hunger die Hand nach einem elenden Stücke Geldes ausstreckt, so reißt man ihn aus all seinen Verhältnissen, aus der menschlichen Gesellschaft, und steckt ihn, der nur noch als eine Nummer gilt, zwischen kalte nackte Mauern, die er nur verläßt, um die Seinen noch ärger bestraft zu finden, als er selbst es war. Ich werde diesen Lieutenant von Polenz finden und ein Wörtchen mit ihm sprechen!" Er brachte Alles wieder an den früheren Platz zurück und verließ dann die Wohnung. Nicht weit von derselben stand das Haus, dessen Parterre die Familie Schneider bewohnte. Er trat an einen der Fensterläden und horchte. Das helle fröhliche Lachen Emma's, welches ihn früher so oft beglückt hatte, ertönte im Innern. Hatte sie ihm ihr Wort gebrochen, blos um den Abend bei diesen Leuten zuzubringen? Er zweifelte. Zwar hatte er auf den Billets keine Bestellung für den heutigen Abend gefunden, doch konnte Emma diese schriftliche Bestellung, wenn eine solche erfolgt war, auch anderswo versteckt oder zu sich genommen haben. Er beschloß daher, jedenfalls zu warten, was der Abend bringen werde. Gegenüber lag ein hohes, alterthümliches Haus mit einem breiten, tiefen Thorwege. Der eine Flügel des letzteren stand offen, und er trat in den dunklen Flur und schloß das Thor in der Weise, daß nur eine Spalte blieb, um die Straße zu beobachten.

Er hatte noch nicht lange in diesem Verstecke gestanden, als er von fern her Sporen klirren hörte. Zwei Männer nahten und hielten unweit des Thorweges an, es waren Offiziere.

"Wohin führen wir sie heut?"

"Promeniren?"

"Pah, poussiren!"

"Also nach den Promenaden?"

"Zu volkreich. Will allein sein mit ihr!"

"Also Stadtpark - entfernteste Parthie, da wo der Reitweg endet?" "Ja."

"Es gibt dort zwei sehr bequeme Bänke, von dichtem Gebüsch überschattet. Kein Mensch verirrt sich in diesen Winkel."

"Trefflich! Habe mir mit diesem Mädchen beinahe Mühe geben müssen - soll nicht umsonst gewesen sein - will süßen Lohn, haha - - Sie gehen mit der Ihren voran; ich werde folgen!" Dieser Letztere sprach kurz und in einem Tone, welchem man die Gewohnheit des Befehlens anhörte. Sollte er wirklich bloßer Lieutenant sein?

Der andere stieß einen halblauten Pfiff aus, und kurze Zeit darauf öffnete sich drüben die Thür. Emma trat hervor; der Befehlshaberische nahm sie sofort in die Arme und küßte sie. Hinter ihr verließ ein anderes Mädchen das Haus, welches der andere Offizier am Arme nahm, um sich sofort nach der vorgezeichneten Richtung zu bewegen.

"Emma, mein schönes, süßes, entzückendes Kind," hörte Karl seinen Nebenbuhler sprechen,