»Ach, kommen Sie, Mrs. Hogendobber, Sie wandeln auch nicht auf dem Wasser«, erwiderte Josiah kühl. »Genau! Ich kann nicht schwimmen.« Ihr Gesicht färbte sich dunkler. Es war eine scharfe Kränkung für sie; es würde ihr niemals einfallen, sich mit Jesus zu vergleichen, Sie drehte sich zu Harry um. »Guten Tag, Harry.« Mit gezwungener Würde verließ Mrs. Hogendobber das Postamt.
»Guten Tag, Mrs. Hogendobber.« Harry wandte sich an den schallend lachenden Josiah. »Sie hat nicht den geringsten Sinn für Humor, und du setzt ihr zu hart zu. Sie ist völlig außer sich. Was dir als Kleinigkeit erscheint, ist für sie von größter Bedeutung.«
»Ach, Quatsch, Harry, sie langweilt dich genauso wie mich.«
Harry war nicht auf Streit aus. Sie kannte Mrs. Hogendobbers Fehler nur zu gut, und die Frau langweilte sie wirklich zu Tode, aber Mrs. Hogendobber war ein grundguter Mensch. Das konnte man nicht von jedermann behaupten.
»Josiah, ihre Werte sind geistiger Art und deine nicht. Sie ist anmaßend und engstirnig in puncto Religion, aber wenn ich krank wäre und sie um drei Uhr morgens anriefe, würde sie kommen.«
»Tja« - auch sein Gesicht war roter geworden - »ich hoffe, du weißt, daß ich auch rüberkommen würde. Du brauchst mich nur zu bitten. Ich schätze dich sehr, Harry.«
»Danke, Josiah.« Harry fragte sich, ob er sie auch nur im geringsten schätzte.
»Habe ich dir schon erzählt, daß ich bei der Beerdigung an Mrs. Sanburnes Seite schreiten werde? Es ist nicht Newport, aber es ist genauso wichtig.«
Josiah begleitete Mim häufig. Sie hatten ihre Reibereien, aber Mim war keine Frau, die an einem gesellschaftlichen Ereignis teilnahm, ohne am Arm eines männlichen Begleiters zu hängen, und Big Jim würde am Tag von Kellys Begräbnis in Richmond sein. Josiah begleitete Mim liebend gern; anders als Jim legte er großen Wert auf gesellschaftliches Prestige, und wie Mim benötigte er viele sichtbare Beweise für dieses Prestige. Sie jetteten zu Parties nach New York und Palm Beach, wo immer sich die Reichen versammelten. Mim und Josiah hatten nichts gegen ein Wochenende in London oder Wien, wenn die Gästeliste stimmte. Was Big Jim an seiner Frau langweilte, begeisterte Josiah.
»Mir graut vor der Beerdigung.« Harry meinte es ernst.
»Harry, versuch's mit Ajax.«
»Was?«
Josiah zeigte auf ihre Hände, die vom Säubern der Stempel vor zwei Tagen immer noch verfärbt waren.
Harry hielt ihre Hände in die Höhe. Sie hatte es ganz vergessen. Gestern schien Jahre zurückzuliegen. »Oh.«
»Wenn Ajax nichts hilft, versuch's mit Schwefelsäure.«
»Dann hab ich überhaupt keine Hände mehr.«
»Ich zieh dich bloß auf.«
»Ich weiß, aber ich habe Sinn für Humor.«
»Verflixt, das kann man wohl sagen.«
Die Spätnachmittagssonne fiel schräg auf den indischen Flieder hinter dem Postamt. Mrs. Murphy blieb stehen, um die dunkellila Blüten zu bewundern, die im dunstigen Licht schimmerten. Harry verschloß die Tür, und Pewter steckte ihre Nase um die Ecke von Markets Laden. Man konnte Courtney hören, die sie von drinnen rief.»Wo geht ihr hin?« wollte die große Katze wissen.
»Zu Maude«, gab Tucker schnippisch zur Antwort.
Pewter, die darauf brannte, jemandem, und sei es einem Hund, anzuvertrauen, daß sie Bob Berryman aus Maudes Laden hatte schleichen sehen, schlug mit dem Schwanz. Mrs. Murphy war ein Luder. Warum ausgerechnet ihr die heißen - oder zumindest warmen - Neuigkeiten zukommen lassen? Sie beschloß, eine Andeutung fallenzulassen wie ein duftendes Katzenminzeblatt. »Maude sagt nicht alles, was sie weiß.«
Mrs. Murphys Kopf schnellte herum.»Was meinst du damit?«
»Ach… nichts.«
Pewters köstlicher Augenblick des Auf-die-Folter-Spannens wurde durch Courtney Shifletts Erscheinen abrupt beendet.
»Da bist du ja. Komm jetzt rein.« Sie nahm die Katze hoch und trug sie in den klimatisierten Laden.
Harry winkte Courtney zu und setzte ihren Weg zu Maude Bly Modenas Laden fort. Sie überlegte, ob sie durch die Hintertür gehen sollte, beschloß aber, den vorderen Eingang zu nehmen. Das gab ihr Gelegenheit zu sehen, ob etwas Neues im Schaufenster war. Hübsche Körbe, die von Blumen überquollen, lagen in der alten Förderlore. Im Fenster standen farbenprächtige Kartons, aus denen kleine Beutel mit Samen und Getreidekörnern herausragten. Maudes Philosophie war, daß Verpackungen nicht langweilig sein mußten, und alles was ein Geschenk umhüllte, war ihr Gebiet. Sie hielt auch einen ansehnlichen Vorrat an Glückwunschkarten auf Lager.
Als sie Harry durchs Fenster erblickte, winkte Maude sie herein. Auch Mrs. Murphy und Tucker trotteten in den Laden.
»Harry, was kann ich für dich tun?«
»Hm, ich wollte Lindsay einen Zeitungsausschnitt über Kellys Tod schicken und war schon dabei, ihn auszuschneiden, aber dann hab ich beschlossen, ihr gleich ein richtiges CARE-Paket zu schicken.«
»Wo ist sie?«
»Auf dem Weg nach Italien. Ich hab eine Adresse.«
Mrs. Murphy kuschelte sich in einen Korb mit knisterndem Papier. Tucker steckte ihre Nase in den Korb. Knistergeräusche entzückten die Katze, aber Tucker dachte:Einschöner Knochen ist mir allemal lieber. Sie stupste Mrs. Murphy an.
»Tucker, das ist mein Korb.«
»Ich weiß. Was glaubst du, hat Pewter gemeint?«
»Pah, sie wollte sich bloß wichtig machen. Sie wollte, daß ich um Neuigkeiten bettle. Und ich bin froh, daß ich 's nicht getan habe.«
Während die zwei Tiere die Feinheiten von Pewters Persönlichkeit besprachen, vertieften sich Harry und Maude in ein ernsthaftes Gespräch von Frau zu Frau über Scheidung, ein Thema, in dem Maude sich auskannte, da sie eine Scheidung durchgemacht hatte, bevor sie nach Crozet zog.
»… ist eine Achterbahn«, seufzte Maude.
»Es wäre viel leichter, wenn ich ihn nicht die ganze Zeit sehen müßte und wenn er ein bißchen Verantwortung übernähme für das, was passiert ist.«
»Erwarte nicht, daß die Krise ihn ändert, Harry. Du bist vielleicht dabei, dich zu verändern. Ich glaube, ich kann das beurteilen, auch wenn wir uns noch nicht seit einer Ewigkeit kennen. Aber deine Entwicklung ist nicht seine Entwicklung. Ich hab jedenfalls mit Männern die Erfahrung gemacht, daß sie alles tun, um eine gefühlsmäßige Entwicklung zu vermeiden, daß sie vermeiden, tief nach innen zu schauen. Worum sonst geht es bei Geliebten, Alkohol und Porsches?« Maude setzte ihre hellrot gerahmte Brille ab und lächelte.
»Also, ich weiß nicht. Das ist alles neu für mich.« Harry setzte sich. Sie war plötzlich müde.
»Scheidung ist ein Ablösungsprozeß, ganz besonders die Ablösung von seiner Fähigkeit, auf dich einzuwirken.«
»Er kann verdammt nachdrücklich auf mich einwirken, wenn er den Scheck nicht schickt.«
Maude verdrehte die Augen. »Dieses Spielchen spielt er mit dir? Vermutlich versucht er, dich mürbe zu machen oder dir Angst einzujagen, damit du dich am Tag des Jüngsten Gerichts mit weniger zufriedengibst. Mein Ex-Mann hat das auch probiert. Ich vermute, das machen sie alle, oder ihre Anwälte überreden sie dazu, und wenn sie dann mal einen Augenblick Zeit haben, darüber nachzudenken, was das für eine Gemeinheit ist - falls sie überhaupt nachdenken -, dann ringen sie die Hände und sagen:>Das war nicht meine Idee. Mein Anwalt hat das veranlaßt.< Nur die Ruhe bewahren, Kindchen.«
»Ja.« Das wollte Harry unbedingt.
»Nicht um das Thema zu wechseln, aber joggst du immer noch an den Bahngleisen entlang? In dieser Hitze?«
»Klar. Ich versuch's bei Sonnenaufgang. Sonst ist es wirklich viel zu heiß. Heute morgen hab ich Big Jim überholt.«