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»Beim Joggen?«

»Nein, ich hab ihn überholt, als ich in die Stadt zurücklief. Er war mit dem Sheriff unterwegs. So schrecklich Kellys Tod war, ich glaube wahrhaftig, daß er Jim eine Art Kitzel verschafft.«

»Ich bezweifle, daß in dieser Stadt viel Aufregendes passiert ist, seit Crozet die Tunnels gegraben hat.«

»Was?« Maudes Augen leuchteten auf.

»Seit Claudius Crozet den letzten Tunnel durch die Blue Ridge Mountains fertiggestellt hat. Die Stadt wurde deswegen tatsächlich nach ihm benannt. Seit Crozet die Tunnels gegraben hat - das ist eine feste Redewendung. Du mußt wissen, daß diejenigen von uns, die hier zur Schule gegangen sind, alles über Claudius Crozet gelernt haben.«

»Oh. Und außerdem alles über Jefferson, Madison und Monroe, nehme ich an. Virginias Glanz liegt anscheinend in der Vergangenheit, mehr als in der Gegenwart.«

»Vermutlich. So, ich nehme diese große Jiffytasche und ein bißchen buntes Papier und zieh Leine, sofern es mir gelingt, Mrs. Murphy aus deinem besten Korb zu locken.«

»Ich würde gern noch ein bißchen plaudern. Wie war's mit Tee?«

»Nein danke.«

»Little Marilyn war heute hier, total flatterig. Sie brauchte kleine Körbchen für die Jacht-Party ihrer Mutter.« Maude brach in Lachen aus, Harry desgleichen.

Big Marilyns Jacht war ein Pontonboot, das auf dem ansehnlichen See hinter der Villa der Sanburnes schwamm. Sie liebte es, auf dem See zu kreuzen, und besonders gern ärgerte sie ihre Nachbarn am anderen Ufer. Zwischen ihrem Pontonboot und ihrem Bridgeabend mit ihren Freundinnen behielt Mim sozusagen emotionales Oberwasser.

Sie war auch völlig ausgeflippt, als sie das Haus zum zigsten Mal umgekrempelt und die Bar neu gestaltet hatte, so daß sie einem Schiff glich. Hinter der Bar befanden sich kleine Bullaugen; Rettungsgürtel und bunte Wimpel zierten die Wände, außerdem Seekarten, Schwimmwesten und sehr große Salzwasserfische. Mim hatte nie auch nur einen Katzenwels, geschweige denn einen Seglerfisch gefangen, aber sie hatte ihre Dekorateure beauftragt, ihr imposante Fische zu besorgen. Was diese auch taten. Als Mrs. Murphy der ausgestopften Trophäen zum erstenmal ansichtig wurde, geriet sie in Verzückung. Die Vorstellung von einem so großen Fisch war zu schön, um wahr zu sein.

Mim hatte auch das Wort TROCKENDOCK über die Bar pinseln lassen. Die großen goldenen Lettern wurden von geschickt installierten Docklaternen angestrahlt. Dazu ein paar verstreute Fischernetze, eine Glocke, eine Boje, und die Bar war komplett. Richtig komplett war sie, als Mim sie bei einem Schwung Martinis mit ihren Bridgefreundinnen einweihte, den einzigen drei Frauen in Albemarle County, die sie entfernt als gesellschaftlich gleichwertig betrachtete. Sie hatte sogar Streichholzbriefchen und kleine Servietten mit der Aufschrift TROCKENDOCK bedrucken lassen, und sie freute sich riesig, daß die Mädels das bemerkten, als sie ihre Martinigläser auf die polierte Bar knallten.

Mim hatte größeren Erfolg darin, die Mädels an die Bar als sie auf ihr Pontonboot zu lotsen, an dessen Seite ebenfalls goldene Lettern prangten:Mim 's Vim. Mim wußte, daß die bevorstehende große Hochzeit die Trumpfkarte dafür war, ihre Bridgekumpaninnen an Bord zu locken, wo sie sie endlich mit ihren Fähigkeiten als Kapitän beeindrucken konnte. Es befriedigte nicht, etwas zu tun, wenn man nicht dabei gesehen wurde. Wenn die Bridgemädels bei der Hochzeit gute Plätze wollten, würden sie an Bord vonMim 's Vim gehen. Mim konnte es kaum erwarten.

Little Marilyn hätte sehr gut noch ein wenig auf dieses Ereignis warten können, aber als gehorsame Sklavin ihrer Mutter erschien sie in Maudes Laden, um Körbchen zu kaufen, die mit nautischen Partygeschenken für die Mädels gefüllt werden sollten.

»Hast du je gesehen, wie Mim ihre Jacht gesteuert hat?« Harry lachte schallend.

»Diese Kapitänsmütze, das ist zuviel.« Maude hielt sich beim bloßen Gedanken daran den Bauch.

»Ja, aber es ist das einzige Mal, daß sie ihr Diadem absetzt.«

»Diadem?«

Harry kicherte. »Klar, die Königin von Crozet.«

»Du bist gemein.« Maude wischte sich die vor Lachen tränenden Augen.

»Wenn du mit diesen Schwachköpfen aufgewachsen wärst, wärst du auch gemein. Meine Mutter pflegte zu sagen:>Der Teufel, den du kennst, ist besser als der Teufel, den du nicht kennst.< Da ich Mim kenne, weiß ich, was ich zu erwarten habe.«

Maude senkte die Stimme. »Wer weiß. Inzwischen frage ich mich, ob überhaupt einer von uns weiß, was er zu erwarten hat.«

6

Der Bericht des Coroners lag aufgeschlagen auf Rick Shaws Schreibtisch. Das Eigentümliche an Kellys Leiche waren eine Reihe Narben auf der Arterie, die zum Herzen führte. Sie wiesen auf winzige Herzanfälle hin. Kelly, fit und vierzig, war nicht zu jung für Herzanfälle, aber diese mußten so minimal gewesen sein, daß er sie nicht bemerkt hatte.

Rick las die Seite noch einmal. Der völlig zertrümmerte Schädel gab wenig her. Sofern eine Kugelverletzung vorhanden gewesen war, gab es keine Spur mehr davon. Die Männer, die sich die Mischmaschine vorgenommen hatten, hatten keine Kugeln gefunden.

Ein großes Stück Magen war intakt. Abgesehen von einem Big Mac ergab es nichts.

In den Haarproben war eine Spur Zyanid. Gut, wenn ihn das getötet hatte, warum hatte der Mörder die Leiche dann so verstümmelt? Die Entdeckung einer solchen Todesursache warf nur noch mehr Fragen auf.

Rick schlug die Mappe zu. Dies war kein Unfalltod, aber er wollte ihn nicht als Mord melden - noch nicht. Sein inneres Gefühl sagte ihm, daß, wer immer Kelly getötet hatte, gerissen war - gerissen und ungemein kaltblütig.

Cynthia Cooper klopfte an.

»Herein.«

»Was meinen Sie?«

»Ich decke meine Karten vorerst nicht auf.« Rick schlug mit der Hand auf den Bericht. Er langte nach einer Zigarette, besann sich aber. Aufzuhören war die Hölle. »Haben Sie was rausgekriegt?«

»Alle sind überprüft worden. Marie Williams war am Montagabend genau da, wo sie gesagt hat, und Boom Boom auch, sofern wir ihrem Personal glauben können. Boom Boom sagt, sie habe gedacht, ihr Mann sei geschäftlich auswärts, und habe auf seinen Anruf gewartet. Kann sein, kann auch nicht sein. Aber war sie allein? Fair Haristeen sagt, er habe spät am Abend operiert, solo. Alle anderen scheinen ein hieb- und stichfestes Alibi zu haben.«

»Die Beerdigung ist morgen.«

»Der Untersuchungsrichter hat sich mächtig beeilt.«

»Ein einflußreicher Mann. Wenn die Familie die Leiche bis morgen bestattet haben will, beschafft er die Gewebeproben eben so schnell. Die Craycrofts reizt man nicht.«

»Jemand hat es getan.«

7

Boom Boom bewahrte Haltung während des Gottesdienstes in der an der Straßenkreuzung gelegenen episkopalischen St. Paulskirche. Ein erlesener Schleier bedeckte ihre ebenso erlesenen Gesichtszüge.

Harry, Susan und Ned setzten sich diskret in eine mittlere Bank. Fair saß auf der anderen Seite der Kirche in der Mitte. Josiah und Mim, beide in elegantes Schwarz gekleidet, saßen vor der Kanzel. Bob Berryman und seine Frau Linda hatten ebenfalls in einer mittleren Bankreihe Platz genommen. Der alte Larry Johnson, der als Kirchendiener fungierte, ersparte Maude Bly Modena einen gesellschaftlichen Fauxpas, indem er sie daran hinderte, durch den Mittelgang nach vorne zu marschieren. Er packte sie entschlossen am Arm und führte sie zu einer rückwärtigen Bank. Maude, seit fünf Jahren Einwohnerin von Crozet, stand eine vordere Bank nicht zu, aber da Maude ein Yankee war, bekam sie solche Feinheiten oft nicht mit. Market und Courtney Shiflett saßen hinten, desgleichen Clai Cordle und Diana Farrell vom Rettungsdienst.

Die Kirche war voller Blumen, die die Hoffnung auf die Wiedergeburt durch Christus symbolisierten. Wer konnte, spendete auch etwas für eine Stiftung für Herzkranke. Rick hatte Boom Boom von den winzigen Narben auf der Arterie erzählen müssen, und sie hatte beschlossen zu glauben, ihr Mann habe einen Herzanfall erlitten, als er die Maschine inspizierte, und sei hineingefallen. Wie dabei der Mischer hatte eingeschaltet werden können, war für sie nicht von Belang, jedenfalls nicht heute. Sie war am Rand ihres Fassungsvermögens. Was sie tun würde, wenn sie das Geschehen erfaßte, das konnten sich alle denken. Lieber aus dem Hals bluten als Boom Boom Craycroft in die Quere kommen.