»Der Sheriff ist vorbeigekommen, und Dad ist mit ihm weggegangen.«
Fair feixte. »Neue Besen kehren gut.«
»Wie bitte?« Courtney begriff nicht.
»Neuer Sheriff, neues Irgendwas. Wenn einer einen Job übernimmt, quillt er über von Enthusiasmus. Dies ist Ricks erster richtiger Mordfall, seit er zum Sheriff gewählt wurde, deshalb reißt er sich den. Ich meine, er setzt alles daran, den Mörder zu finden.«
»Ich will hoffen, daß er ihn findet.«
»Ich auch. Sag mal, stimmt es, daß du in Dan Tucker verknallt bist?« Fair kniff die Augen zusammen. Wie er sich an dieses Alter erinnerte!
Courtney erwiderte ganz ernst: »Ich würde Dan Tucker nicht wollen, und wenn er der einzige Mann auf Erden wäre.«
»So? Dann muß er ja gräßlich sein.« Fair nahm seine Colas und ging. Pewter flitzte mit ihm aus dem Laden.
Tucker rannte im Kreis, als Fair ins Postamt trat, dicht gefolgt von Pewter. Maude Bly Modena kramte in ihrem Postfach. Harry war hinten.
»Hallo, Maudie.«
»Hallo, Fair.« Für Maude war Fair ein göttlich aussehender Mann. Das war er für die meisten Frauen.
»Harry!«
»Ja?« Die Stimme sickerte durch die Hintertür.
»Ich hab dir ein paar Flaschen Cola mitgebracht.«
»Dreihundertdreiunddreißig« - die Tür ging auf - »denn so viele schuldest du mir.« Harry freute seine Geste mehr, als sie sich anmerken ließ.
Fair schob die Sechserpackung über den Schalter.
Pewter brüllte:»Mrs. Murphy, wo bist du?«
Tucker ging hinüber und tauschte einen Nasenkuß mit Pewter, die Hunde sehr gern hatte.
»Ich zähle Gummibänder. Was willst du?« entgegnete Mrs. Murphy.
Harry nahm hastig die Colaflaschen vom Schalter. »Mrs. Murphy, was hast du gemacht?«
»Ich hab nichts gemacht«, protestierte die Katze.
Harry wandte sich an Fair: »Du bist Tierarzt. Erklär du mir das.« Sie zeigte auf die auf den Boden geworfenen Gummibänder.
Maude beugte sich über den Schalter. »Ist das nicht süß? Die gehen an alles dran. Meine Mutter hatte mal eine gescheckte Katze, die hat mit Klopapier gespielt. Sie hat sich das Ende der Rolle geschnappt und ist damit durchs Haus gerannt.«
»Das ist noch gar nichts.« Pewter gab noch eins drauf: »Cazenovia, die Katze von der St. Paulskirche, ißt Hostien.«
»Pewter will auf den Schalter.« Fair dachte, daß das Maunzen das besagen sollte. Er hob sie auf den Schalter, wo sie sich auf den Rücken rollte und die Augen verdrehte.
Die Menschen fanden das allerliebst und machten ein großes Getue um sie. Mrs. Murphy kochte vor Abscheu; sie sprang auf den Schalter und fauchte Pewter ins Gesicht.
»Eifersucht klingt in jeder Sprache gleich.« Lachend fuhr Fair fort, Pewter zu streicheln, die nicht geneigt war, ihre günstige Position aufzugeben.
Tucker beschwerte sich auf dem Fußboden.»Ich kann hier unten nichts sehen.«
Mrs. Murphy trat an die Schalterkante.»Was nützen dir deine kurzen Stummelbeine, Tee Tucker?«
»Ich kann alles ausgraben, sogar einen Dachs.« Tucker grinste.
»Hier gibt's keine Dachse.« Pewter wälzte sich jetzt von einer Seite auf die andere und schnurrte so laut, daß selbst Taube ihre stimmlichen Vibrationen hätten empfangen können. Das entzückte die Menschen noch mehr.
»Treib 's nicht zu bunt, Pewter«, warnte Tucker.»Bloß weil du dir was drauf einbildest, was gewußt zu haben, bevor wir es wußten, heißt das noch lange nicht, daß du hier reinkommen und dich über mich lustig machen kannst.«
»Das ist die zutraulichste Katze, die ich je gesehen habe.« Maude kitzelte Pewter am Kinn.
»Sie ist auch die fetteste Katze, die du je gesehen hast«, murrte Mrs. Murphy.
»Sei nicht brummig«, warnte Harry die Tigerkatze.
»Sei nicht brummig.« Pewter äffte die menschliche Stimme nach.
Mrs. Murphy spazierte auf dem Schalter auf und ab. Ein Postbehälter auf Rollen stand zwei Meter vom Schalter entfernt. Sie konzentrierte sich und sprang im hohen Bogen vom Schalter, genau in die Mitte des Postbehälters, der daraufhin über den Fußboden rollte.
Maude quietschte vor Entzücken, und Fair klatschte in die Hände wie ein kleiner Junge.
»Das macht sie andauernd. Guckt mal.« Harry trat hinter den langsamer werdenden Karren und schob Mrs. Murphy im Postamt umher, wobei sie Puff-Puff-Geräusche machte. Mrs. Murphys Kopf schnellte über die Seite, die Augen groß und kugelrund, der Schwanz schlug hin und her.
»Das ist lustig!« erklärte die Katze.
Pewter, die immer noch von Maude gestreichelt wurde, war sauer über Mrs. Murphys dreistes Benehmen. Sie legte den Kopf auf den Schalter und schloß die Augen. Mochte Mrs. Murphy noch so frech sein, Pewter benahm sich jedenfalls wie eine Dame.
Maude blätterte ihre Post durch, während sie Pewters Ohren kraulte. »Wie gemein!«
»Wieder eine Rechnung? Oder einer von diesen Spendenaufrufen in Umschlägen, die wie die alten Telegramme der Western Union aussehen? Die find ich wirklich gemein.« Harry fuhr fort, Mrs. Murphy herumzuschieben.
»Nein.« Maude schob Fair die Postkarte hin. Er las sie und zuckte die Achseln. »Ich finde Leute gemein, die Postkarten oder Briefe verschicken und nicht mit ihrem ganzen Namen unterschreiben. Ich kenne zum Beispiel vierzehn Carols, und wenn ich von einer einen Brief kriege und kein Absender auf dem Umschlag steht, tappe ich im dunkeln. Völlig im dunkeln. Jede Carol, die ich kenne, hat zweikommazwei Kinder, fährt einen Kombi und verschickt Weihnachtskarten mit einem Bild von der Familie. Auf der Karte steht gewöhnlichFrohes Fest< in Computerschrift, und außen herum winden sich kleine Stechpalmenranken mit roten Beeren. Das Absurde ist, daß ihre Familien alle gleich aussehen. Vielleicht ist es ein und dieselbe Carol, die mit vierzehn Männern verheiratet ist.« Maude lachte.
Harry lachte mit ihr und tat, als sehe sie die Postkarte zum erstenmal, während sie Mrs. Murphy weiter in dem Postbehälter hin und her karrte. Die Katze ließ sich auf den Rücken plumpsen, um ihren Schwanz zu fangen. Mrs. Murphy zog eine richtige Schau ab; jetzt tat sie, was sie Pewter vorwarf: sie versuchte mit allen Mitteln, die Aufmerksamkeit der Menschen zu erlangen.
Harry sagte: »Vielleicht hatten sie's eilig.«
»Wen kennst du, der in North Carolina Ferien machen würde?« Fair stellte eine logische Frage.
»Ob überhaupt jemand freiwillig nach North Carolina fährt?« Bei »freiwillig« senkte Maude die Stimme.
»Nein«, sagte Harry.
»Ach, North Carolina ist gar nicht übel.« Fair trank seine Cola aus. »Bloß, daß sie da mit einem Fuß im neunzehnten Jahrhundert stehen und mit dem anderen im einundzwanzigsten, und dazwischen ist nichts.«
»Man muß ihnen zugute halten, daß sie es geschafft haben, saubere Industrien anzulocken.« Maude dachte darüber nach. »Der Staat Virginia hatte dieselbe Chance. Ihr habt es vermasselt, vor etwa zehn Jahren, wißt ihr das?«
»Wissen wir«, sagten Fair und Harry im Chor.
»Ich habe von Claudius Crozets Kampf mit dem Staat Virginia um die Finanzierung der Eisenbahnen gelesen. Er hat die ganze Entwicklung Ende der 1820er Jahre vorausgesehen, bevor sich in puncto Bahnreisen irgendwas tat. Er sagte, die Virginier sollten alles, was sie hätten, in diese neue Art des Reisens investieren. Statt dessen haben sie seine Ideen niedergeknüppelt und ihn mit einer Gehaltskürzung belohnt. Da ist er natürlich gegangen, und wißt ihr was? Der Staat hat nichts unternommen, bis 1850! Inzwischen war der Staat New York, der sich ganz auf das Eisenbahnwesen verlegt hatte, das kommerzielle Zentrum der Ostküste geworden. Wenn man bedenkt, an welcher Stelle der Ostküste Virginia liegt, hätte unser Staat der mächtigere werden sollen.«