»Das war 1978.« Harry erinnerte sich an den Vorfall. »Eine routinierte Diebesbande brach in die Häuser dort ein und nahm das Silber und die Antiquitäten mit.«
Mrs. Hogendobber verstand nicht, warum Harry, Flair und Josiah kurz auflachten.
»Der Diebstahl war nicht komisch, Mrs. H.«, erklärte Harry. »Aber außer daß sie ausgeraubt wurden, haben obendrein alle erfahren, wer wirklich wertvolle Sachen hatte und wer nicht. Ich meine, zum Schaden kam auch noch die Kränkung hinzu.«
Mrs. Hogendobber konnte nichts Komisches daran finden und räusperte sich mißbilligend. »Nun, dies ist zuviel für einen Morgen. Ich sage adieu.«
»Soll ich Sie nicht doch lieber nach Hause bringen?« erbot sich Josiah noch einmal.
»Nein. danke.« Und damit verschwand sie.
»Hat man das Zeug nicht in einer Scheune in Falling Water, West Virginia, gefunden?« fragte Fair.
»Ja, und es war ein dummes Versteck.« Josiah schloß sein Postfach.
»Wieso?« fragte Harry.
»So kostbare Stücke in eine Scheune zu stellen. Nagetiere hätten die Möbel anknabbern oder ihre Häuflein darauf machen können. Die Elemente hätten walten und die Holzer sich zusammenziehen können. Ausgesprochen dämlich. Die Diebe konnten gute Sachen von schlechten unterscheiden, aber sie hatten keine Ahnung, wie man sie pflegt.«
»Vielleicht haben sie sie zusammengelegt oder in Kisten verstaut.« Fair verstand nicht viel von Antiquitäten.
»Nein, ich erinnere mich an die Fernsehberichte. Sie haben das Innere der Scheune gezeigt.« Josiah schüttelte den Kopf. »Egal, das sind kleine Fische verglichen mit. dem hier.« Er ging zum Schalter hinüber, gegen den sich Fair gelehnt hatte. »Was denkst du?«
»Ich weiß nicht.«
»Und du, Harry?« Josiahs Gesicht zeigte Besorgnis.
»Ich denke, wer immer es war, es war einer von uns. Einer, den wir kennen und dem wir trauen.«
Josiah trat unwillkürlich zurück. »Wieso denkst du das?«
»Was sollte es sonst für ein Mörder sein? Jemand der regelmäßig nach Charlottesville einfliegt, um ein paar Leute umzubringen? Es muß jemand aus der Gegend sein.«
»Aber nicht jemand aus Crozet.« Josiah schien von der Idee regelrecht beleidigt.
»Warum nicht? Es ist nicht so abwegig, wenn man's bedenkt.« Fair fuhr sich mit den Fingern durch sein dichtes Haar. »Etwas geht schief zwischen Freunden oder bei einem Liebespaar; bei der oder dem Gekränkten brennt die Sicherung durch. Das kann hier passieren. Es ist hier passiert.«
Josiah ging langsam zur Tür und legte die Hand auf den abgegriffenen Türknauf. »Ich mag nicht daran denken. Vielleicht hört es jetzt auf.«
Er ging hinaus und umrundete vorsichtshalber das Postamt bis zu Mrs. Hogendobbers Haus, um sicherzugehen, daß sie gut heimgekommen war.
»Was kann ich für dich tun?« fragte Harry Fair mit gleichmütiger Stimme.
»Oh, nichts. Ich hab's auf dem Weg zur Arbeit gehört und dachte, ich schau mal rein und sehe nach, wie's dir geht. Du hattest Maude gern.«
Gerührt senkte Harry die Augen. »Danke, Fair. Ich hatte Maude wirklich gern.«
»Wir alle.«
»Das ist es ja. Das ist es, was ich herausfinden muß. Wir alle hatten Maude gern. Die meisten von uns mochten Kelly Craycroft. Oberflächlich sieht alles normal aus. Darunter ist etwas entsetzlich verkehrt.«
»Finde das Motiv, und du findest den Mörder«, sagte Fair.
»Es sei denn, er oder sie findet dich zuerst.«
12
Harry zögerte, bevor sie an Boom Boom Craycrofts dunkelblaue Haustur klopfte. Sie hatte die Katze und den Hund mitgenommen, weil sich die Tiere wie die Derwische aufgeführt hatten, als sie zur Mittagspause ging. Zuerst der Feigenbaum, dann dies. Das mußte die Hitze sein. Sie blickte über die Schulter. Mrs. Murphy und Tucker saßen kreuzbrav auf dem Vordersitz des Kombi. Die weit offenen Fenster ließen Luft herein, aber es war zu heiß im Wagen. Sie kehrte um und öffnete die Wagentür.
»Bleibt schön hier.«
In dem Moment, als Harry durch die Haustur der Craycroft- Villa verschwand, kam Boom Booms schottischer Terrier hinter dem Haus hervorgeschossen.»Wer ist da? Wer ist da, und daß ihr ja einen guten Grund habt, hier zu sein!«
»Wir sind's, Reggie«, sagte Tucker.
»Ach so.« Reggie wedelte mit dem Schwanz. Er tauschte auch einen Nasenkuß mit Mrs. Murphy, obwohl sie eine Katze war. Reggie hatte Manieren.
»Wie geht's?«
»Den Umständen entsprechend.«
»Schlecht, wie?« Tucker war mitfühlend.
»Sie ist einfach verbittert. Sie lächelt nie. Ich wünschte, ich konnte was für sie tun. Ich vermisse ihn auch. Kelly war immer so lustig.«
»Hast du eine Ahnung, was passiert ist? Hat er dich irgendwo mit hingenommen, wovon die Menschen nichts wissen?« fragte Mrs. Murphy.
»Nein. Ich bin ja eigentlich ein Haushund. Ich habe die Betonfabrik ein paarmal gesehen, aber das ist auch alles.«
»Wirkte er in letzter Zeit bedrückt?«
»Nein, er war mopsfidel, wie ein Hund mit 'nem Knochen. Immer wenn er Geld verdiente, war er glücklich, und er hat eine Menge verdient. Ist für die wirklich wie Knochen, schätze ich. Er war nicht viel zu Hause, aber wenn, dann war er fröhlich.«
Drinnen erfuhr Harry von Boom Boom auch nicht viel.
»Ein Alptraum.« Boom Boom ließ ihr Zigarettenetui aus Platin aufschnappen. »Und jetzt Maude. Weiß jemand, ob sie Verwandte hat?«
»Nein. Susan Tucker hat sich erboten, die Angehörigen zu verständigen, aber Rick Shaw sagte ihr, daß Maude keine Geschwister hatte und ihre Eltern tot sind.«
»Wer wird Anspruch auf die Leiche erheben?« Boom Boom, die soeben eine Beerdigung hinter sich hatte, kannte sich mit den Formalitäten aus.
»Das weiß ich nicht, aber ich werde Susan darauf ansprechen.«
»Ich bin seinen letzten Tag im Geist tausendmal durchgegangen, Harry. Ich bin die Woche davor durchgegangen und die Woche davor und kann mich auf nichts besinnen. Kein Hinweis, keine Andeutung, nichts. Er hat mich vom Geschäft ferngehalten, aber ich hatte sowieso wenig Interesse daran. Für Beton, Fundamente und Straßenbetten konnte ich mich nie erwärmen.« Boom Boom zündete ihre schwarze Nat Sherman an. »Wenn er einen Geschäftspartner verärgert hat, hatte ich nichts davon erfahren.«
»Kelly könnte jemanden gereizt haben. Er war sehr ehrgeizig.« Harry nahm einen Kristallaschenbecher mit silbernem Rand in die Hand und befingerte die vollkommenen Proportionen.
»Er hat gern gesiegt, das steht fest, aber ich glaube nicht, daß er unfair war. Mir gegenüber war er's jedenfalls nicht. Sieh mal, Harry, wir kannten uns, seit wir Kinder waren. Du weißt, in den letzten Jahren waren Kelly und ich mehr wie Bruder und Schwester als Mann und Frau, aber er war mir ein guter Freund. Er war. gut.« Ihre Stimme versagte.
»Es tut mir so leid. Ich wünschte, ich konnte etwas sagen oder tun.« Harry berührte ihre Hand.
»Es war lieb von dir, mich zu besuchen. Ich habe nie gewußt, wie viele Freunde ich - er - hatte. Die Leute waren wunderbar - und ich mache es anderen wirklich schwer, wunderbar zu mir zu sein. manchmal.«
Harry dachte bei sich, daß einer alles andere als wunderbar gewesen war. Wer war es? Wer? Warum?