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Boom Boom meinte nachdenklich: »Kelly wurde staunen, wenn er sähe, wie viele Leute ihn geliebt haben.«

»Vielleicht weiß er es. Das möchte ich gerne denken.«

»Ja, das möchte ich auch gerne denken.«

Harry stellte den Aschenbecher wieder hin. Sie machte eine Pause. »Hat die Polizei alles durchgesehen? Sein Büro?«

»Sogar sein Büro hier zu Hause. Das einzige, was am Tag seines Todes auf seinem Schreibtisch lag, war die Post vom selben Morgen.«

»Darf ich einen Blick ins Büro werfen? Ich mochte nicht unverschämt sein, aber ich meine, wenn wir irgendwas tun konnten, um Rick Shaw zu helfen, sollten wir es tun. Wenn ich herumstöbere, finde ich vielleicht einen Hinweis. Auch ein blindes Huhn findet manchmal ein Korn.«

»Du hast im Postamt zu viele Kriminalromane gelesen.« Boom Boom stand auf. Harry ebenfalls.

»Dieses Jahr waren's Spionage Thriller.«

»Und dafür bist du aufs College gegangen?« Boom Boom fand eigentlich, Harry mußte mehr aus ihrem Leben machen, aber wer war sie, sie zu verurteilen? Boom Boom war die reiche Müßiggängerin schlechthin.

Die Walnußtäfelung schimmerte im hellen Nachmittagslicht. Exakt in der Mitte einer fleckenlosen, in rotes Leder eingefaßten Schreibunterlage lag Kellys Post.

»Darf ich?« Harry griff noch nicht nach der Post.

»Bitte.«

Harry nahm sie und blätterte die Briefe mitsamt der Postkarte durch, der schonen Postkarte von Oscar Wildes Grabstein. Sie legte die Post so wieder hin, wie sie sie vorgefunden hatte. Im Augenblick machte sie sich eher Gedanken wegen eines gewissen ausweichenden Verhaltens, das Boom Boom ihr gegenüber an den Tag legte. Sie verstand sich ganz gut mit Boom Boom, aber heute stimmte etwas nicht zwischen ihnen.

Erst später, als sie sich von Boom Boom verabschiedet hatte und an dem kleinen Wohnwagenpark an der Route 240 vorbeiratterte, fiel ihr ein, daß auch Maude eine Postkarte mit einem schönen Grabstein erhalten hatte. Mit demselben Wortlaut: »Schade, daß Du nicht hier bist.« Mein Gott, jemand gab ihnen zu verstehen, daß er wünschte, sie waren tot. Ein makabrer Scherz. Sie trat das Gaspedal durch.

»He, nimm Gas weg«, sagte Mrs. Murphy.»Ich fahr nicht gerne schnell.«

Harry schlingerte in Susans gepflegte Zufahrt, trat auf die Bremse und sprang aus dem Wagen. Katze und Hund hüpften gleichfalls auf den Rasen.

Susan steckte den Kopf aus dem Fenster im Obergeschoß. »Du bringst dich noch um, wenn du den alten Karren so traktierst.«

»Ich hab was gefunden.«

Susan raste die Treppe hinunter und riß die Haustur auf.

Harry berichtete Susan, was sie entdeckt hatte, ließ sie Geheimhaltung schwören, dann riefen sie Rick Shaw an. Er war nicht da, daher nahm Officer Cooper die Information entgegen.

Harry legte den Hörer auf. »Sie wirkte nicht sehr beeindruckt.«

»Sie gehen so vielen Hinweisen nach. Woher soll sie wissen, daß gerade dieser ein wichtiger ist?« Susan band ihre Turnschuhe zu. »Hoffen wir, daß keine weitere Karte mehr auftaucht.«

»Verdammt, ich hab vergessen nachzusehen.«

»Wonach?«

»Nach dem Poststempel auf Kellys Karte. Kam sie aus Paris?«

»Laß uns in Maudes Laden gehen und uns die Karte vornehmen, die sie gekriegt hat.«

Selbst Maudes geschlossenes Geschäft lockte noch Passanten an. Die Blumenkästen quollen über von rosa und lila Petunien. Der Bürgersteig war saubergefegt.

Susan probierte die Tür. »Abgeschlossen.«

Harry ging hinten herum und stemmte ein Fenster auf. In dem Moment, als sie es offen hatte, schoß Mrs. Murphy auf die Fensterbank und sprang anmutig in den Laden. Harry folgte, Susan reichte ihr Tucker und folgte dann selbst.

Im Hinterzimmer empfing sie eine Flut von Verpackungsmaterial.

»Ich wußte nicht, daß es auf der Welt so viele Styroporchips gibt«, bemerkte Susan.

Harry begab sich schnurstracks nach vorn zu Maudes Rollpult.

»Und wenn dich da jemand sieht?«

»Dann soll er mich wegen Einbruch anzeigen.« Harry schnappte sich die Post, die Maude in einer Schachtel auf dem Pult aufbewahrte. »Ich hab sie!« Rasch drehte sie die Postkarte um. »Soweit also die Theorie.«

»Was steht drauf?«

»Komm her und lies. Niemand wird uns verhaften.«

Susan trat neben sie. »Schade, daß Du nicht hier bist.« Dann sah sie den Poststempel. »Oh.« Asheville, North Carolina stand da.

Harry zog die mittlere Schublade auf. Ein großes Hauptbuch, Bleistifte, Radiergummis und ein Lineal klapperten. Sie griff nach dem Hauptbuch. Manchmal erzählten auch Zahlenreihen eine Geschichte.

Schritte auf dem Bürgersteig ließen sie erstarren. Sie schloß die Schublade.

»Laß uns verschwinden«, flüsterte Susan. Als Harry ins Postamt zurückkehrte und Dr. Johnson ablöste, rief sie Boom Boom an und bat sie, sich die Postkarte anzusehen. Der Stempel lautete PARIS, REPUBLIQUE FRANQAISE.

Verblüfft legte Harry den Hörer auf. Die Poststempel verwirrten sie. Trotzdem würde sie nicht aufgeben. Wer immer der Mörder war, er oder sie hatte Sinn für Humor, vielleicht gar einen Sinn für das Absurde. Auch der Zustand der Leichen war makaber und degoutant gewesen.

Sie zerbrach sich den Kopf darüber, wer in Crozet einen ausgeprägten Sinn für Humor hatte. Alle, ausgenommen Mrs. Hogendobber.

Die Hülle der Sterblichkeit zog sich enger zusammen. Wer könnte der nächste sein? War sie in Gefahr? Wenn sie nur die Verbindung zwischen Kelly und Maude entdecken könnte, dann wären vielleicht ihre Freunde außer Gefahr. Aber wenn sie diese Verbindung entdeckte, dann war sie selbst in Gefahr.

13

Harry war erstaunt darüber, wie viele Leute sich bei den Gleisen tummelten. Es war nicht einfach, dorthin zu gelangen. Man mußte zur Route 691 hinausfahren und dann nach rechts auf die 690 abbiegen. Bob Berryman, Josiah, Market und Dr. McIntire starrten bedrückt auf die Schienen.

Als Mrs. Murphy und Tucker in die Büsche sprinteten, achtete Harry kaum darauf.

Harry trat zu den Männern. Sie blickte nach unten und sah überall Blutspritzer. Fliegen schwirrten auf der Erde und labten sich an dem, was nicht versickert war. Selbst der Teergeruch der Schwellen konnte den schweren, süßlichen Blutgeruch nicht überdecken.

Josiah verzog das Gesicht. »Ich hatte keine Ahnung, daß es so schlimm sein könnte.«

»Wenn man bedenkt, wieviel Liter Blut der menschliche Körper enthält.« - Hayden sprach, wie es einem Mediziner anstand.

Berryman, der mächtig schwitzte, schnitt ihm das Wort ab. »Ich will's nicht wissen.«

Er verzog sich zu seinem allradgetriebenen Jeep. Drinnen jaulte Ozzie, wütend, weil er nicht herauskonnte. Berryman brauste derart los, daß er im Davonfahren Erdklumpen hochschleuderte.

»Ich wollte ihn nicht schockieren«, entschuldigte sich Hayden.

»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen.« Market zwickte sich in die Nase. »Verdammt, sind wir Voyeure oder so was?«

»Natürlich nicht!« fuhr Josiah ihn an. »Vielleicht finden wir was, das die Polizei übersehen hat. Wieviel Vertrauen hast du zu Rick Shaw? Der bewegt beim Lesen die Lippen.«

»So schlecht ist er nicht«, widersprach Harry.

»Aber besonders gut ist er auch nicht.« Hayden unterstützte Josiah.

Harry ließ ihren Blick über die Schienen gleiten. Katze und Hund stöberten im hohen Unkraut herum und stürmten dann ungefähr hundert Meter westlich der Stelle, an der sie stand, auf die Schienen. Wenigstens sie sind fröhlich, dachte sie.

»Eines wissen wir«, stellte Harry fest.

»Was?« Market zwickte sich wieder in die Nase.

»Sie ist zu Fuß hierhin gegangen.«

»Woher willst du das wissen?« Josiah sah ihr aufmerksam ins Gesicht.