Market erklärte sich bereit zu kommen und sagte, er werde auch die Post sortieren. Auch er wollte einmal die Post anderer Leute lesen. Es war eine unwiderstehliche Versuchung.
Der indische Flieder blühte in der Gasse. Mit Pollen beladene Hummeln umsummten die beiden Frauen.
»Ich war gleich zur Stelle, als ich Tucker hörte.«
»Ha!« bemerkte Pewter sarkastisch.
Harry folgte Mrs. Hogendobber, die ihre Schritte zur Tür in allen Einzelheiten schilderte.
»… und habe den Türknauf herumgedreht - es war nicht abgeschlossen -, und da kamen sie heraus.«
Und schon rannten sie wieder hinein.»Kommt schon.«
»Ich auch.« Pewter folgte ihnen.
»Mädels! Mädels!« rief Harry vergeblich.
Mrs. Hogendobber, begeistert von der Gelegenheit, hier einzudringen, sagte: »Wir müssen sie holen.«
Harry trat als erste ein.
Mrs. Hogendobber, dicht hinter ihr, blieb eine Sekunde vor den riesigen Säcken mit Styroporchips stehen. »Meine Güte.«
Harry, die schon vorn im Laden war, rief: »Wo sind sie?«
Mrs. Murphy steckte den Kopf unter dem Pult hervor.»Hier.«
Mrs. Hogendobber, die unterdessen gefolgt war, sah die Katze. »Da.« Sie zeigte hin. Harry ließ sich auf alle viere nieder und kroch unter das Pult. Pewter mußte murrend weichen, weil nicht für alle Platz war.
Mrs. Murphy saß vor dem Geheimfach, das sie in der Nacht geöffnet hatte. Ein kleiner Knopf an der Leiste über der Fuge löste den Mechanismus aus.»Hier. Guck!«
Harry keuchte: »Da ist ein Geheimfach!«
»Lassen Sie mal sehen.« Mrs. Hogendobber überwand die Gesetze der Schwerkraft und ließ sich auf Hände und Knie nieder. Tucker rückte ein Stück, damit sie sehen konnte.
»Hier.« Harry drückte sich, so gut sie konnte, an die Seite des Pults und deutete hin.
»Donnerwetter!« Mrs. Hogendobber keuchte aufgeregt. »Was ist da drin?«
Harry langte hinein und reichte einen großen Aktenordner und eine Handvoll Fotokopien heraus. »Hier.«
Mrs. Hogendobber erhob sich von allen vieren und setzte sich mitten auf den Fußboden.
Harry kroch rückwärts heraus und gesellte sich zu ihr. »Im Pult ist noch ein Ordner.«
Sie stand auf und öffnete die mittlere Schublade. Er war noch da.
»Ein zweiter Satz Bücher! Ich möchte wissen, wen sie beschummelt hat.« »Das Finanzamt höchstwahrscheinlich.« Harry setzte sich neben Mrs. Hogendobber, die die Bücher durchsah.
»Ich habe für Mister H. die Bücher geführt, müssen Sie wissen.«
Sie legte die zwei Ordner nebeneinander, ihre scharfen Augen glitten an den Zahlenkolonnen herab. Der versteckte Ordner lag auf der linken Seite. »Meine Güte, so viele Waren. Sie war eine bessere Verkäuferin, als wir alle ahnten.« Mrs. Hogendobber wies auf das Buch rechts. »Sehen Sie her, Harry, die Mengen - und die Preise.«
»Ich kann nicht glauben, daß sie fünfzehntausend Dollar für siebzig Säcke Styroporchips gekriegt hat.«
Das gab Mrs. Hogendobber zu denken. »Wirklich unwahrscheinlich.«
Harry nahm ein Blatt von dem großen Stapel Fotokopien. Es waren Briefe von Claudius Crozet an die Blue Ridge Railroad Company. Sie überflog ein paar und stellte fest, daß sie sich mit dem Bau der Tunnels befaßten.
»Was ist das?« Mrs. Hogendobber konnte ihre Augen nicht von den Rechnungsbüchern losreißen.
»Claudius Crozets Briefe an die Blue Ridge Railroad Company.«
»Wovon reden Sie?« Mrs. Hogendobber blickte von den Büchern hoch.
»Ich weiß nicht.«
Harry mußte wieder an die Arbeit. »Mrs. Hogendobber, würden Sie mir einen Gefallen tun? Es ist nichts Unredliches, aber es ist. heikel.«
»Nur zu.«
»Kopieren Sie die Briefe und die Rechnungsbücher. Dann übergeben wir alles Rick Shaw, aber ohne ihm zu sagen, daß wir Kopien haben. Ich möchte die Briefe lesen, und ich glaube, Sie mit Ihrer Erfahrung finden vielleicht etwas in den Rechnungsbüchern, das dem Sheriff entgeht. Wenn er weiß, daß wir das Material überprüfen, versteht er das womöglich als Kritik an seinen Fähigkeiten.«
Ohne zu zögern erklärte Mrs. Hogendobber sich bereit. »Ich rufe Rick an, wenn ich mit der Arbeit fertig bin. Ich erzähle ihm das mit den Tieren. Und daß wir hierhergekommen sind. Und mehr erzähle ich ihm nicht. Wo kann ich fotokopieren, ohne daß es auffällt? Es ist ein Haufen Arbeit.«
»Im Postamt im Hinterzimmer. Ich kann extra Papier kaufen und den Zähler neu einstellen. Niemand wird etwas merken, wenn Sie das Hinterzimmer nicht verlassen. Solange ich Farbe und Papier stelle, betrüge ich den Staat nicht.«
Was Maude Bly Modena ganz bestimmt getan hatte.
20
Ned Tucker wurde von Barbara Apperton in der Citizen's National Bank informiert, daß die Abhebung von seinem Konto korrekt und nach Schalterschluß mittels seiner Kreditkarte vorgenommen worden war. Ned tobte. Barbara sagte, sie wolle eine Kopie von dem Videoband besorgen, da diese Transaktionen aufgezeichnet würden. Auf diese Weise würden sie erfahren, wer die Kreditkarte benutzt hatte. Sie fragte, ob ihm die Kreditkarte abhanden gekommen sei. Ned verneinte. Er sagte, er werde morgen in der Bank vorbeischauen.
Die fehlenden fünfhundert Dollar würden die Familie Tucker nicht ruinieren, aber es war eine sehr unerfreuliche Begleiterscheinung, als Ned die Rechnungen bezahlte.
Besorgt über dieses kleine Rätsel, das zu den großen, grotesken noch hinzukam, trat Susan ins Postamt und mußte mitansehen, wie Rick Shaw Harry in die Mangel nahm.
»Sie können nicht beweisen, wo Sie Freitag nacht oder Samstag in den frühen Morgenstunden waren?« Der Sheriff schob die Daumen in seinen Schulterriemen.
»Nein.« Harry tätschelte Mrs. Murphy, die Rick mit ihren goldenen Augen beobachtete.
Susan trat an den Schalter. Rick ließ nicht locker. »Niemand war an einem der beiden Mordabende bei Ihnen?«
»Nein. Nicht nach elf am Abend von Maudes Ermordung. Ich lebe jetzt allein.«
»Das sieht nicht gut aus mit Ihren Tieren in Maude Bly Modenas Laden. Was haben Sie vor? Was verbergen Sie?«
»Nichts.« Das war nicht ganz wahr, denn unter dem Schalter verborgen lagen, ordentlich in einen dicken Umschlag gesteckt, Claudius Crozets Briefe. Mrs. Hogendobber hatte Kopien von den Rechnungsbüchern zu sich nach Hause geschmuggelt.
»Sie behaupten, Ihre Katze und Ihr Hund seien in den Laden gelangt, ohne daß Sie die Tür aufgemacht hätten?« Ricks Stimme triefte von Ungläubigkeit.
»Ja.« »Bob Berryman hat uns reingelassen«, sagte Mrs. Murphy, aber niemand hörte auf sie.
»Zisch ab, Shaw«, knurrte Tucker.
»Sie verlassen die Stadt nicht, ohne mich zu informieren, Mrs. Harristeen.« Rick schlug mit der flachen rechten Hand auf den Schalter.
Susan mischte sich ein. »Rick, Sie können unmöglich glauben, daß Harry eine Mörderin ist. Die einzigen Leute, die beweisen können, wo sie mitten in der Nacht waren, sind die, die verheiratet und ihren Ehepartnern treu sind.«
»Und das schließt viele in Crozet aus«, bemerkte Harry sarkastisch.
»Und die, die zusammen sind, können für den jeweils anderen lügen. Vielleicht ist das alles gar nicht die Tat eines einzigen. Vielleicht ist es Teamarbeit.« Susan hievte sich auf den Schalter.
»Diese Möglichkeit ist mir nicht entgangen.«
Harry brachte ihren Mund an Mrs. Murphys Ohr. »Was hast du in Maudes Laden gemacht, du Teufel?«
»Hab ich doch gesagt.« Mrs. Murphy berührte Harrys Nase.
»Sie sagt dir was«, bemerkte Susan.
»Daß sie Katzenkekse will, möchte ich wetten.« Harry lächelte.