Die Menschen verknüpften Nachttiere mit dem Bösen. Besonders Fledermäuse machten ihnen angst, was Mrs. Murphy albern fand. Die Menschen wußten nicht genug über das Gleichgewicht der Natur, sonst würden sie nicht hingehen und die Tiere töten, die sie störten. Sie töteten Fledermäuse, Kojoten, Füchse - die Nachtjäger. Mit ihren Ängsten und ihrer Unfähigkeit, den Zusammenhang zwischen den Tierarten, sie selbst eingeschlossen, zu begreifen, brachten sie alle in eine traurige Lage. Mrs. Murphy, die halb zahm war und ihre Nähe zu Harry genoß, hatte nicht den Wunsch, die nicht zahmen Tiere getötet zu sehen. Sie verstand, weshalb die wilden Tiere die Menschen haßten. Manchmal haßte sie sie auch, Harry ausgenommen.
Der Schatten einer Bewegung ließ sie aufmerken. Ihre Ohren zuckten. Sie atmete tief ein. Was tat der hier?
Geschmeidig, stattlich, bewegte sich Paddy auf die rückwärtige Veranda zu.
»Hallo, Paddy.«
»Hallo, meine Süße.« Paddys tiefes Schnurren war hypnotisierend.»Was machst du in dieser schönen, milden Nacht?«
»Große Gedanken denken und die Wolken beobachten, die den Mond umkreisen. Warst du jagen?«
»Ein bißchen dies, ein bißchen das. Ich bin wegen der Heilkräfte der samtigen Nachtluft draußen. Und was waren deine großen Gedanken?« Seine Schnurrhaare hoben sich glitzernd von seinem schwarzen Gesicht ab.
»Daß die sogenannten bösen Tiere wie Kojoten, Fledermäuse und Schlangen der Erde nützlicher sind als manche Menschen.«
»Ich kann Schlangen nicht ausstehen.«
»Aber sie sind nützlich.«
»Ja. Sie können sich weit von mir entfernt nützlich machen.« Er leckte seine Pfote und putzte sich das Gesicht.»Warum kommst du nicht raus zum Spielen?«
Er war verführerisch, wenngleich sie wußte, was für ein Taugenichts er war. Er war noch immer der bestaussehende Kater von Crozet.»Ich muß auf Harry aufpassen.«
»Es ist mitten in der Nacht, sie ist in Sicherheit.«
»Hoffentlich, Paddy. Ich mache mir Sorgen wegen dieses Mörders.«
»Ach, Unsinn. Was hat der mit Harry zu tun?«
»Sie steckt ihre Nase in Sachen, die sie nichts angehen. Miss Amateurdetektiv.«
»Weiß der Mörder das?«
»Das ist es ja eben. Wir wissen nicht, wer es ist, nur daß es jemand ist, den wir kennen.«
»Der Sommer ist eine eigenartige Zeit, um jemanden zu töten«, überlegte Paddy.»Im Winter kann ich es verstehen, wenn die Nahrung knapp ist - nicht daß ich es billige. Aber im Sommer ist genug für alle da.«
»Sie töten nicht der Nahrung wegen.« »Wohl wahr.« Menschen langweilten Paddy.»Siehst du die Glühwürmchen tanzen? Das möchte ich gerne tun: im Mondlicht tanzen, die Sterne ansingen, geradewegs zum Mond hochspringen.« Er schlug einen Purzelbaum.
»Ich bleib hier.«
»Ach, Mrs. Murphy, du bist viel zu ernst geworden. Ich erinnere mich, wie du Sonnenstrahlen nachgejagt bist. Sogar mir bist du nachgejagt.«
»Bin ich nicht. Du bist mir nachgejagt.« Ihr Fell sträubte sich.
»Ha, alle Models sind mir nachgejagt. Ich fand es wundervoll, von einer herrlichen Tigerin gejagt zu werden, deren Name ausgerechnet Mrs. Murphy war. Die Menschen geben uns die albernsten Namen.«
»Paddy, du bist von Katzenminze und Mondschein besoffen.«
»Nicht Muff oder Schnuff oder Schneeball oder Flitzi oder meinetwegen Quasseline, sondern Mrs. Murphy.« Er schüttelte den Kopf.
»Ich bin nach Harrys Großmutter mütterlicherseits genannt, das weißt du ganz genau.«
»Ich dachte, sie nennen ihre Kinder nach ihren Großeltern, nicht ihre Katzen. Och, komm doch raus. Wie in guten alten Zeiten.«
»Legst du mich einmal rein, ist es deine Schande, legst du mich zweimal rein, ist es meine Schande«, sagte Mrs. Murphy mit Bestimmtheit, aber ohne Groll.
Er seufzte.»Ich bin treu auf meine Art. Ich bin heute nacht hier, oder?«
»Und du kannst dich schleichen.«
»Bist ein zähes Mädchen, M. M.« Er war das einzige Tier, das sie M. M. nannte.
»Nein, ein kluges. Aber du kannst mir einen Gefallen tun.«
»Welchen?« Er grinste.
»Wenn du etwas hörst oder siehst oder riechst, das dir verdächtig vorkommt, sag es mir.«
»Mach ich. Und mach dir keine Sorgen mehr. Die Zeit wird der Gerechtigkeit voll und ganz Genüge tun.« Er stellte seinen üppigen Schwanz mit einem Ruck senkrecht und zockelte davon.
22
Von den dunkelroten Türen der Lutheranischen Kirche von Crozet strahlte die Morgenhitze ab. Vor der Kirche lungerten die schweißgebadeten Kamerateams aus Washington, Richmond und Charlottesville. Das bißchen Friede, das der Stadt geblieben war, wurde von den Nachrichtenteams der Fernsehsender zerstört, deren Produzenten beschlossen hatten, die Story groß rauszubringen. Der zweite Mord mitten im Sommerloch war für sie ein Geschenk Gottes.
In der schlichten Kirche drängten sich die Menschen, unsicher, wer Freund und wer Feind war, wenngleich sie sich nach außen hin alle gleich gaben: freundlich.
Der mit einem schönen weißen Lilienzweig geschmückte Sarg stand vor dem Altargitter. Josiah hatte nichts vergessen. Zwei schlichte Blumenarrangements standen zu beiden Seiten des goldenen Altarkreuzes. Maudes Crozeter Freunde hatten die Kirche mit Blumen geschmückt. Nur wenige hatten sie gut gekannt, aber nur einer hatte ihren Tod gewollt. Die anderen trauerten ehrlich um Maude. Sie war eine Bereicherung für die Stadt gewesen, und sie würde ihnen fehlen.
Die Orgelmusik, Bach, erfüllte die Kirche mit melancholischer Majestät.
Hinten in der Kirche, am Rand einer Bank, saß Rick Shaw. Er war beeindruckt davon, daß Josiah DeWitt und Ned Tucker bei den Einwohnern von Crozet für die Beerdigung gesammelt hatten. Ned weigerte sich preiszugeben, wer wieviel gespendet hatte, aber Rick gab Josiah listig Gelegenheit, ausgiebig darüber zu berichten, was er denn auch tat.
Leute mit bescheidenen Mitteln, wie Mary Minor Haristeen, spendeten so großzügig sie konnten. Mim Sanburne spendete etwas mehr und gab jeden Penny widerwillig. Jim spendete getrennt von ihr - eine Menge. Die größte Überraschung war Bob Berryman, der eintausend Dollar beisteuerte. Bobs Gattin, eine beleibte Frau, die trotzig Miniröcke trug, wurde offenbar über diese Spende in Unkenntnis gelassen, bis Josiahs umfassende Andeutungen auch zu ihr drangen. Linda Berryman, die wie angewachsen an der Seite ihres Mannes klebte, wirkte eher grimmig als traurig.
Nach dem gnädig kurzen Gottesdienst schritt Reverend Jones, dem ein Altardiener vorausging, durch den Mittelgang zum Hauptportal. Er blieb einen Moment stehen. Rick sah ihn zusammenzucken. Der brave Reverend wollte diesen ehrwürdigen Augenblick nicht von den Kamerateams entweiht sehen. Aber die Tür mußte sich öffnen, und Einschaltquoten bedeuteten den Produzenten mehr als menschlicher Anstand. Reverend Jones nickte kurz, und der Altardiener stieß die Türflügel auf.