Nach der ersten Kartenrunde bestand Mim darauf, den Motor anzuwerfen und über den See zu flitzen. Hohe Geschwindigkeiten waren eine Schwäche von ihr. Sie versetzte Port in Angst und Schrecken, die sie unentwegt anflehte, langsamer zu fahren, doch Mim, sternhagelvoll, sagte wörtlich zu Port, sie solle das Maul halten und wild und gefährlich leben.
Schließlich hielt sie das Boot für den Mittagsimbiß an. Anfangs fiel keiner von ihnen auf, daß etwas nicht stimmte. Die Wirkung der Drinks und die tiefe Dankbarkeit, Mim nicht mehr am Ruder zu wissen, betäubten ihre Sinne.
Dann fühlte Port etwas ziemlich Nasses. Sie blickte auf den Boden. »Mim, ich habe nasse Füße.«
Alle sahen auf den Boden. Alle hatten nasse Füße.
»Legt eure Füße auf den Tisch.« Mim schenkte ihnen noch eine Runde ein.
»Ich habe das bestimmte Gefühl, daß wir tiefer im Wasser liegen«, sagte Mrs. Hogendobber mit ruhiger Stimme.
»Miranda, wirliegen tiefer im Wasser«, echote Port, das Gesicht unter der Sonnenbräune weiß.
Mim zog ihre triefenden Schuhe aus und lehnte sich zurück, um noch einen zu kippen. Die Gruppe starrte sie an.
»Kannst du schöpfen? Ich meine, Mim, Schätzchen, hast du eine Pumpe an Bord?« fragte Elliewood. Elliewood, die nie fluchte, mußte ihren ganzen Willen zusammennehmen, um »Schätzchen« zu sagen. Am liebsten hätte sie »Idiot« gesagt, »Arschloch« - alles, was Mims Aufmerksamkeit hervorgerufen hätte.
Mittlerweile stand ihnen das Wasser bis zur Wade. Port, außerstande, sich noch länger zu beherrschen, stieß einen herzzerreißenden Schrei aus. »Wir sinken! Hilfe, mein Gott, wir sinken.«
Sie erschreckte die anderen Frauen dermaßen, daß Miranda sich die Ohren zuhielt und Elliewood von ihrem Stuhl fiel. Ihren Drink verschüttete sie dabei jedoch nicht.
»Ich werde ertrinken. Ich will nicht sterben«, jammerte Port.
»Halt den Mund! Halt auf der Stelle den Mund. Du blamierst mich.« Mim spie die Worte hervor. »Little Marilyn sitzt auf dem Steg. Ich winke ihr. Es gibt nicht den geringsten Grund zur Beunruhigung.«
Mim winkte ihrer Tochter. Little Marilyn rührte sich nicht.
Elliewood und Miranda winkten ebenfalls.
»Little Marilyn«, rief ihre Mutter.
Little Marilyn saß still wie ein Stein.
»Little Marilyn! Little Marilyn!« riefen die anderen drei.
»Ich kann nicht schwimmen! Ich werde ertrinken«, plärrte Port.
»Würdest du bitte still sein«, gebot Mim. »Du kannst dich am Boot festhalten.«
»Das verdammte Boot sinkt, du Miststück!« schrie Port.
Erbost stieß Mim Port von ihrem Stuhl. Port klatschte ins Wasser, kam aber sofort wieder hoch. Sie holte aus und erwischte Mim in der Gegend der linken Brust.
Elliewood packte Mim, und Miranda packte Port.
»Genug jetzt«, befahl Miranda. »Das führt zu nichts.«
»Wer sind Sie, daß Sie befehlen, was ich zu tun habe?« Port wurde rotzig.
»Laß das, Port.« Obwohl sie ziemlich tief in der Patsche saß, wollte Mim sich ihr Spiel nicht aus der Hand nehmen lassen. Sie widmete ihre Aufmerksamkeit wieder Little Marilyn. Sie schrie. Sie brüllte. Sie zog kühn ihr rot-weißes T-Shirt aus und schwenkte es über ihrem Kopf, wobei ihre Stützkorsage für alle sichtbar in der Sonne glänzte.
Little Marilyn, die die ganze Zeit zu ihnen herübergesehen hatte, erhob sich schließlich und ging - rannte nicht, sondern ging - zum Haus.
»Sie läßt uns sterben«, schluchzte Port.
»Können Sie schwimmen?« fragte Miranda Elliewood trocken. »Ich nicht.«
»Ich schon«, erwiderte Elliewood.
»Ich auch«, sagte Mim.
»Du läßt mich hier zurück, das weiß ich. Mim, du bist eine kaltherzige, egozentrische Schlange. Das bist du immer gewesen und das wirst du immer sein. Ich verfluche dich mit meinem ersterbenden Atem.« Port hatte offensichtlich einst geheime Träume gehegt, Schauspielerin zu werden.
»Halt dein verficktes Maul!« schrie Mim.
Der Gebrauch dieses Wortes verdatterte die Mädels mehr als die Tatsache, daß sie sanken.
Mim fuhr fort: »Wenn nicht rechtzeitig Hilfe kommt, und ich bin sicher, daß sie kommt, bringen wir dich trotzdem ans Ufer, aber du mußt dich hinlegen und den Mund halten. Ich betone: Mund halten.«
Port legte den Kopf in die Hände und weinte.
Miranda machte sich mit stiller Entschlossenheit darauf gefaßt, vor ihren Schöpfer zu treten.
Nach wenigen Minuten erschienen Jim, Rick Shaw und Little Marilyn am Ufer. Little Marilyn deutete auf die verzweifelte Truppe. Mim vergaß, daß sie ihr Hemd ausgezogen hatte. Miranda vergaß es nicht. Sie stellte sich vor Mim.
Jim schleppte ein Kanu aus dem Bootshaus, und Rick sprang in seinen Dienstwagen. Er brauste zu den Nachbarn am anderen Seeufer. Eigentlich wollten ihn diese ihr kleines Motorboot nicht benutzen lassen. Der Anblick der sinkenden Mim war ihnen eine Augenweide. Aber schließlich fügten sie sich. Die Frauen wurden gerettet, als ihnen das Wasser bis über die Taille gestiegen war.
Später kippten Jim und Rick das Boot um. Ein Ponton war aufgeschlitzt und dann mit einer Art wasserlöslichem Pech verklebt worden. Mim, die sich von ihrem Mißgeschick vollkommen erholt hatte, stand neben dem Boot. Jim wünschte, sie hätte das nicht gesehen.
»Jemand wollte mich umbringen.« Mim blinzelte.
»Es könnte vom Grund aufgerissen worden sein«, log Jim.
»Du kannst mir nichts erzählen. Ich bin nie auf Grund gelaufen. Jemand wollte mich umbringen!« Mim war eher erbost als ängstlich.
»Vielleicht wollte man Ihnen bloß eins auswischen.« Rick ging wieder in die Hocke, um den Riß zu inspizieren.
Mim schrie jetzt Zeter und Mordio. Sie riß die Antenne ihres schnurlosen Telefons heraus, um ihre Freundinnen anzurufen.
»Tun Sie das nicht, Mrs. Sanburne.« Rick schob die Antenne zurück.
»Warum nicht?«
»Es könnte ratsam sein, daß wir den Vorfall eine Weile für uns behalten. Dann macht der Schuldige vielleicht einen Fehler, stellt eine verräterische Frage - Sie verstehen?«
»Vollkommen.« Mim schürzte die Lippen.
»Mim, Liebling, mach dir keine Sorgen. Ich engagiere Tag und Nacht Leibwächter für dich.« Jim legte seinen Arm um die Schultern seiner Frau.
»Das ist zu auffällig«, erwiderte Mim.
Nach einigem Hin und Her hatte Jim sie überzeugt. Er sagte, er werde weibliche Leibwächter besorgen, und sie würden sie als Austauschstudentinnen ausgeben.
Als Little Marilyn später von ihrer Mutter wegen ihrer Untätigkeit auf dem Steg in die Mangel genommen wurde, erklärte sie, die sinkende Mim sei ein so traumatischer Anblick gewesen, daß die Aussicht, ihre Mutter zu verlieren, sie vorübergehend gelähmt habe.
25
Montags hatte Harry immer ein Gefühl, als ob sie mit einem Zahnstocher eine Tonne Papier schaufelte. Susans Postwurfsendungen türmten sich wie das Matterhorn. Harry konnte sie nicht in ihrem Postfach unterbringen. Josiah erhielt die ZeitschriftCountry Life aus England und einen Brief von einem Antiquitätenhändler aus Frankreich. Fairs Fach war gestopft voll mit Anzeigen von pharmazeutischen Firmen: Machen Sie jetzt Schluß mit den Fadenwürmern! Mrs. Hogendobber würde sich über den Empfang ihres christlichen Versandhauskatalogs freuen.
Jesusbecher waren der Knüller; man konnte aber auch ein mit der Bergpredigt bedrucktes T-Shirt kaufen.