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Harry beneidete Christus. Er hatte vor dem Zeitalter der Kreditkarte gelebt. Der Besitz einer Kreditkarte im Zeitalter des Versandhauskatalogs war eine prekäre Angelegenheit. Der Bankrott, einen Telefonanruf entfernt, konnte einen binnen zwei Minuten ereilen.

Mißlaunig stülpte sie den letzten Postsack um, und Briefe, Postkarten und Rechnungen flatterten heraus wie weißes Konfetti. Mrs. Murphy duckte sich, wackelte mit dem Hinterteil und stürzte sich auf den köstlichen Haufen.

»Aber nicht mit den Krallen. Die Leute merken sonst, daß du mit ihrer Post spielst, und das ist ein Staatsverbrechen.« Harry kraulte sie am Schwanzansatz.

Tucker sah von ihrem Lager unter dem Schalter zu, wie Mrs. Murphy ans Ende des Raums flitzte, eine Kehrtwendung vollzog und in den Haufen zurückstürmte.

»Eine Wucht!«

Tucker zuckte mit den Ohren.»Du liebst Papier. Ich weiß nicht, warum. Ich find's langweilig.«

»Das Knistern hört sich herrlich an.« Mrs. Murphy wälzte sich in den Briefen.»Und das Material der verschiedenen Briefe kitzelt meine Ballen.«

»Wenn du es sagst.« Tucker klang nicht überzeugt.

Unterdessen schlitterte Mrs. Murphy auf der Post, ähnlich wie Kinder ohne Schlittschuhe auf dem Eis schlittern.

»Jetzt ist es genug. Sonst reißt du noch was kaputt.« Harry griff nach der Katze, aber sie wich ihr aus. Harry bemerkte eine Postkarte zuoberst auf dem letzten Haufen, den Mrs. Murphy gestürmt hatte. Auf der Karte war eine Ritterrüstung abgebildet. Harry nahm sie in die Hand und drehte sie um.

In Computerschrift geschrieben und an sie adressiert stand da: »Bring mich nicht in Harnisch.«

Harry ließ die Karte fallen, als wäre sie glühendheiß. Ihr Herz klopfte.

»Was Harry nur hat?« rief Tucker Mrs. Murphy zu, die immer noch auf den Briefen schlitterte.

Die Katze hielt an.»Sie ist kreidebleich.«

Harry sortierte die Post langsam, wie in Trance, aber ihre Gedanken rasten so schnell, daß sie von der Geschwindigkeit nahezu gelähmt war. Der Mörder mußte einer von Josiahs Gästen gewesen sein, und er gab ihr zu verstehen, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Ihre Amateurschnüffelei hatte einen Nerv getroffen. Der Mörder oder die Mörderin wußte jedoch nicht, daß Harry wußte, daß die Postkarten sein oder ihr Signal waren. Auch war dem Mörder nicht bekannt, daß Harry und Mrs. Hogendobber mehr über Maude wußten, als sie sich anmerken ließen. Harry setzte sich hin, legte den Kopf zwischen die Hände und atmete tief durch. Wenn sie den Kopf zwischen die Knie steckte, würde sie bewußtlos werden. Ihre Hände mußten genügen. Als ihre Gedanken zu Mrs. Hogendobber zurückkehrten, begriff Harry, daß sie ihr die unbedingte Notwendigkeit klarmachen mußte, keiner Menschenseele von dem zweiten Ordner zu erzählen. Auch wenn Mrs. Hogendobber einen Schutzengel hatte, es wäre sinnlos, ihn auf die Probe zu stellen.

Der Gedanke schoß ihr durch den Kopf, daß Fair die Harnischkarte geschickt haben könnte. Dies entsprach seiner krankhaften Idee von Humor. Absolut krankhaft. Die Karte kam vielleicht gar nicht von dem Mörder. Harry klammerte sich nur einen Augenblick lang an diese Hoffnung. Fair hatte seine Fehler, aber so verrückt war er nicht. Ihre Hoffnung verpuffte wie eine verlöschende Kerze. Sie wußte Bescheid.

Harry rief Rick Shaw an und erzählte ihm die Neuigkeiten. Er sagte, er käme gleich vorbei. Dann sortierte sie die Post zu Ende. Der einzige Lichtblick war eine Postkarte von Lindsay Astrove, die immer noch in Europa war.

Mrs. Hogendobber erschien auf der Treppe. Tucker lief zur Tür und wedelte mit dem Schwanz. Seit Mrs. H. die beiden Tiere aus Maudes Laden befreit hatte, hegte Tucker innige Gefühle für sie.

Harry öffnete die Tür, packte Mrs. Hogendobber und zerrte sie ins Postamt. Sie schloß hinter ihr die Tür.

»Harry, ich bin durchaus imstande, mich allein fortzubewegen. Sie müssen von meiner Todesnäheerfahrung auf Mims Boot gehört haben. Ich danke Gott dem Herrn für meine Rettung.«

»Nein, ich habe keinen Pieps gehört. Ich möchte davon hören, aber nicht gerade jetzt. Ich möchte Sie inständig bitten, keinem Menschen von den Kontobüchern zu erzählen. Wenn Sie es tun, bringen Sie sich in Gefahr.«

»Das weiß ich«, erwiderte Mrs. Hogendobber. »Und ich weiß noch mehr. Ich habe die Bücher bis auf den letzten Penny, die letzte Dezimalstelle geprüft. Die Frau hat genügend Verpackungsmaterial bestellt, daß sämtliche Einwohner von Crozet damit hätten umziehen können. Das ergibt keinen Sinn. Und dann das Geld, das sie eingenommen hat! Unsere Maude wäre nie auf Sozialhilfe angewiesen gewesen.«

»Wieviel Geld?«

»Sie ist fünf Jahre hier gewesen - durchschnittlich an die hundertfünfzigtausend Dollar im Jahr auf der linken Buchseite, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Das ist ein Haufen Styroporchips.« Die Angst wich ein wenig von Harry, da ihre Neugierde die Oberhand gewann.

»Ich verstehe das einfach nicht.« Mrs. Hogendobber warf die Arme in die Luft.

»Ich schon - halbwegs.« Harry sah aus dem vorderen Fenster, um sich zu vergewissern, daß niemand hereinkam. »Als erstes Opfer haben wir einen reichen Mann, der eine Betonfabrik und große Schwerlaster besaß. Das zweite Opfer war eine Frau, die mit Verpackungen handelte. Sie haben etwas transportiert.«

»Rauschgift. Maude brachte alles fertig. Sie konnte einen Diamanten verpacken oder eine Königsschlange. Wissen Sie noch, wie sie Donna Eicher geholfen hat, Ameisenfarmen zu verfrachten?«

»Und ob!« Harry dachte daran, wie Donna Eicher vor drei Jahren mit ihren Ameisenfarmen angefangen hatte. Die Beobachtung der Insekten, die zwischen zwei Plexiglasplatten Imperien schufen, übte auf manche Leute einen großen Reiz aus. Sie verlor ihren Reiz für Donna, als ihr Inventar ausriß und den Inhalt ihrer Speisekammer verschlang.

»Wenn Maude Ameisen verfrachten konnte, konnte sie bestimmt auch Kokain verfrachten.«

»Heute haben sie Hunde, die die Päckchen riechen. Das habe ich in der Zeitung gelesen.« Harry dachte laut. »Sie hätte es an ihnen vorbeischmuggeln müssen.«

»Wir können alles riechen. Meine Nase kann eine ganze Symphonie von Gerüchen wahrnehmen«, kläffte Tucker.

»Ach, Tucker, hör auf damit. Ja, du hast eine gute Nase. Laß uns deswegen kein Trara machen.« Mrs. Murphy wollte hören, was die Frauen besprachen.

»Ein Kinderspiel.« Mrs. Hogendobber machte eine Handbewegung. »Sie hätte die Drogen mit etwas anderem umwickeln können, das ebenfalls stark duftete, um die Hunde abzulenken - Kampfer, Minze, was weiß ich. Hundertfünfzigtausend Dollar im Jahr - wo sonst kann man solche Gewinne machen?« Sie stand mit dem Rücken zur Tür, die gerade aufgegangen war.

Harry zwinkerte Mrs. Hogendobber zu, die daraufhin verstummte. Harry lächelte. »Hallo, Courtney. Was treibst denn du so in diesem Sommer?«

»Nichts Besonderes, Mrs. Haristeen. Guten Morgen, Mrs. Hogendobber.« Courtney war mutlos, aber höflich.

»Wie schlimm ist es?« fragte Harry.

»Danny Tucker hat für den Rest des Sommers Hausarrest. Er hat Ausgehverbot! Ich kann nicht glauben, daß Mr. und Mrs. Tucker so grausam sind.« »Hat er dir gesagt, warum?« erkundigte sich Harry.

»Nein.«

»Mr. und Mrs. Tucker sind eigentlich gar nicht so grausam. Was er getan hat, muß also schon sehr duselig gewesen sein«, sagte Harry.

»>Duselig< ist ein komisches Wort.« Courtney zerknitterte die Post, indem sie sie in den Händen drehte. Sie achtete nicht darauf.

»Kommt von Duesenberg«, verkündete Mrs. Hogendobber dröhnend. »Der Duesenberg war ein schönes, teures Automobil in den zwanziger Jahren, aber wenn man einen besaß, mußte man auch einen Mechaniker haben. Er ging dauernd kaputt. Duselig ist also etwas Außergewöhnliches und Schlechtes.«