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Susan steckte den Kopf aus der Hintertür. »Wie Maude.«

»Entsetzlich. Wie kannst du so etwas sagen?«

»Na ja, es ist nicht schwer, auf solche Gedanken zu kommen.« Susan streichelte Tuckers Kopf. »Sie tun ja nur, was für sie natürlich ist, und sie haben dir diese traurigen Leichen zum Geschenk gemacht. Du solltest ihnen gebührend danken.«

»Ich werde ihnen gebührend danken, sobald ich das hier weggeputzt habe.«

Ob die Leichen von Vogel und Maulwurf Harry inspirierten oder nicht, konnten die Tiere nicht sagen - jedenfalls fuhr sie mit ihrem blauen Wagen zu Kellys Betonfabrik und ließ sie draußen, während sie auf einen Plausch hineinging.

Nachdem sie in Kellys Büro, das nun seine Frau übernommen hatte, eine Weile vorsichtig um das Thema herumgeredet hatte, hielt Harry den Moment für gekommen. Sie beugte sich ruhig zu Boom Boom vor und fragte: »Hatte Kelly je geschäftlich mit Maude zu tun?«

Eine Welle der Erleichterung glitt über das Gesicht der betörenden Frau. »Oh - sicher. Sie hat die Weihnachtspost an seine Geschäftspartner verschickt, meinst du das?«

»Nein.« Harry bemerkte die Fotos von Kelly mit den Bezirksbeamten, dem Rektor der Universität von Virginia, den Regierungsvertretern. »Wie sah es aus mit Geschäften in größerem Stil?«

»Darüber gibt es keine Unterlagen.« Zur Sicherheit fragte Boom Boom bei Marie auf der Gegensprechanlage nach, und Marie bestätigte, was sie gesagt hatte.

»Und was ist mit einer intimeren Beziehung?« flüsterte Harry und wartete auf die Reaktion.

Außerehelicher Sex, für viele schockierend, verletzte Boom Booms Psyche kaum. Sie erwartete dergleichen, sogar von ihrem Mann. »Nein. Maude war nicht Kellys Typ. Allerdings scheint sie Bob Berrymans Typ gewesen zu sein.«

»Weiß das dieganze Stadt?« fragte Harry und wußte, daß es so war.

»Linda ergeht sich in Ohnmachtsanfällen. Als nächstes kommen die Gesundbeter, nehme ich an. Schwer zu glauben, daß Linda oder Maude ihn liebten, aber man kann ja nie wissen.« Ihre Wimpern, so lang, daß sie überall früher eintrafen als sie selbst, flatterten einen Moment.

»Nein.«

Boom Boom errötete. »Kelly war kein Heiliger, und unsere Ehe war alles andere als vollkommen. Wenn er fremdging, hätte er es nie in der Nähe von zu Hause getan. Was denkst du? Du glaubst offenbar, daß zwischen meinem Mann und Maude was war.«

»Ich weiß nicht. Ich hab so ein Gefühl, daß sie zusammen Geschäfte machten. Illegale.«

Boom Boom wurde etwas steifer. »Er hat auf legale Weise massenhaft Geld verdient.«

»Kelly hat den Staat gern beschissen. Ein großer unversteuerter Gewinn wäre für sein rebellisches Ich sehr verlockend gewesen - wenn sie zum Beispiel Rauschgift verschoben hätten, meine ich.«

Boom Boom, die realistisch über Kelly dachte, zögerte. Dieser Gedanke war ihr seit seiner Ermordung auch schon ein paarmal gekommen. »Ich weiß nicht, aber ich hoffe sehr, daß du diese Gedanken für dich behältst. Er ist tot. Zieh jetzt nicht seinen Namen in den Dreck.«

»Tu ich nicht, aber ich muß der Sache auf den Grund gehen. Denkst du, daß Kellys und Maudes Tod zusammenhängen?«

»Also, zuerst habe ich gar nicht gedacht, Punktum. Ich war nach dem Schock total ausgeleert, und in die Leere strömte nur Wut. Ich möchte diesen Schweinehund umbringen. Mit bloßen Händen.« Sie legte ihre Hände zusammen, als würge sie jemanden. »Im Lauf der Tage - es kommt mir komischerweise wie Jahre vor - bin ich es dann immer wieder durchgegangen. Ich weiß nicht warum, aber ich glaube, daß sein Tod mit ihrem zusammenhängt.«

»Sie haben was verschoben - darauf läuft es immer wieder hinaus, egal, wie man es angeht.«

»Im Gegensatz zu dem, was die Typen von der Regierung der Öffentlichkeit erzählen, sind Drogen leicht zu verschieben. Es ist möglich. Sie sind weiß Gott auch leicht zu verstecken. Sie brauchen nicht viel Platz. Du kannst für zwei Millionen Dollar Kokain in diese Schreibtischschubladen stopfen.«

»Was immer sie getan haben, sie sind mit einem oder mehreren Partnern aneinandergeraten.« Erst nachdem ihr diese Worte über die Lippen gekommen waren, wurde Harry klar, daß Boom Boom einer dieser Partner sein könnte. Sie war immer auf Profit aus gewesen. Andererseits konnte Harry sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß Boom Boom mit Kellys Mörder Geschäfte machte.

»Wenn du es herausfindest, Mary Minor Haristeen, dann sag es mir zwanzig Minuten bevor du es Rick Shaw sagst. Ich zahle dir zehntausend Dollar für die Information.«

Harry schluckte. Zehntausend Dollar. Gott, die hatte sie dringend nötig.

Schweigen umfing sie; eine Art atmosphärischer Widerstreit hing in der Luft. Boom Boom brach das Schweigen: »Überleg's dir.«

Harry schluckte noch einmal. »Mach ich.« Sie zögerte. »Wieso hab ich das Gefühl, daß du mir was verheimlichst?«

Boom Booms Gesicht wurde plötzlich starr. »Ich erzähle dir alles, was ich über Kelly weiß. Wenn er ein Geheimnis hatte, dann hat er es mir verschwiegen.«

»Was ist mit Fair?« Harrys Lippen waren weiß.

»Ich weiß nicht, was du meinst.« Boom Booms Augen huschten durch den Raum. »Bist du gekommen, weil du was über Kelly wissen wolltest oder weil du was über Fair wissen willst? Du hast ihn rausgeworfen, Harry. Was kümmert's dich, was er macht?«

»Es wird mich immer kümmern, was er macht. Ich kann bloß nicht mit ihm leben.« Harry wurde rot. »Er war einfach nicht. da.«

»Wie meinst du das?«

»Er war gefühlsmäßig nicht da.« Sie seufzte. »Daß eine Ehe kaputtgeht, ist eine Sache, aber es ist genauso schlimm, daß dabei Freundschaften kaputtgehen. Alle Leute ergreifen Partei.«

»Was hattest du erwartet?« Kein Mitgefühl von Boom Booms Seite.

Das brachte das Faß zum Überlaufen. »Von dir jedenfalls mehr!« Harry biß die Zähne zusammen. »Zwischen ihm und Kelly war es nicht mehr wie früher, seit Fair sich an dich rangemacht hat, aber wir sind befreundet geblieben.«

»Das war voriges Jahr. Alle waren betrunken! Sieh mal, Harry, die Menschen wollen sich nicht in Selbstbetrachtungen ergehen. Laß mich dir einen Rat geben, was Crozet betrifft.«

Harry unterbrach sie. »Ich habe mein ganzes Leben hier gelebt. Was weißt du, das ich nicht weiß?«

»Daß eine Scheidung die Leute erschreckt. Von außen betrachtet schien eure Ehe in Ordnung. Die Leute wollen nicht glauben, daß der Schein trügen könnte. Jetzt hast du Verwirrung gestiftet. Du siehst vielleicht in dich hinein, aber das nützt dir in der öffentlichen Meinung gar nichts. Wir befinden uns in Albemarle County. Keine Veränderungen bitte. Laß alles, wie es ist. Bleib, wie du bist. Sich ändern wird als Schuldgeständnis betrachtet. Himmel, die Leute leben lieber in ihrem häuslichen Еlend, als daß sie eine Chance ergreifen, etwas daran zu ändern.«

Noch nie hatte Harry von Boom Boom derart unverblümte Wahrheiten zu hören bekommen. Sie machte den Mund auf, aber sie brachte keinen Ton heraus. Schließlich fand sie die Sprache wieder. »Wie ich sehe, hast du viel nachgedacht.«

»Allerdings.«

Das Gespräch hatte die Spannung vergrößert, anstatt sie aufzulösen.

Als Harry nach Hause fuhr, kam es ihr vor, als seien die Nachmittagsschatten länger geworden. Das Gefühl einer Bedrohung begann sie zu quälen.

Sie blieb bei ihrem eingespielten täglichen Einerlei, wie es alle taten. Anfangs hatten dieses Einerlei wie auch der Gedanke an die Scheidung ihr Entsetzen über die Morde gedämpft, aber jetzt fühlte sie sich aus dem Gleichgewicht geworfen, das Einerlei erschien ihr wie eine Farce. Die makabren Morde wurden ihr allmählich in ihrer ganzen Realität bewußt.

Sie trat aufs Gaspedal, aber sie konnte den Schatten, die die sinkende Sonne warf, nicht davonfahren.