»Du bist hart im Verhandeln.«
»Man soll eine Frau nie unterschätzen«, äffte Harry ihn nach. »Es wäre unangenehm, wenn einer von uns den anderen töten würde; denn du könntest die Leiche erst mitten in der Nacht beseitigen, und in dieser Hitze fängt sie nach zwei bis drei Stunden zu stinken an. Das wäre widerlich.«
»Ganz recht«, erwiderte Josiah knapp. »Was würdest du tun, wenn ich der Tote wäre?«
»Was du mit Maude getan hast. Dann würde ich ein Jahr warten, und Coop und ich würden deine Waren verkaufen. Oh, wir haben nicht deine Kontakte, Josiah, aber ich bin sicher, daß wir etwas herausschlagen könnten.« Sie log, was das Zeug hielt.
»Sei kein Esel! Mit mir kannst du ein Vermögen verdienen. Wenn du's auf eigene Faust machst, wirst du erwischt.«
»Bis hierher bin ich immerhin schon gekommen.«
Es folgte ein langes Schweigen. Der ungezündete Molotowcocktail wurde vor die Öffnung gelegt. Josiahs Hand zog sich geschwind zurück.
»Ein unumstößlicher Beweis dafür, was für ein Heiliger ich bin. Da ist der Molotowcocktail.«
»Josiah.« - Harry hoffte noch immer, ihn durch Gespräche ablenken zu können - »wie hast du die Poststempel gefälscht?«
»Meine latente künstlerische Ader gelangte vorübergehend an die Oberfläche.« Er lächelte. »Ich verfüge über diverse Wachse, Farben, Beizen, etwas Goldbronze, alles mögliche, um die Möbel zu restaurieren. Ich habe eine Farbe zusammengemischt und die Stempelbuchstaben aus alten Typen zusammengesetzt. Der Text kam mit Hilfe meines Computers zustande. Ich finde, die Postkarten waren ein Bravourstück. Zu gern habe ich mir das Gesicht des armen Rick Shaw vorgestellt, wie er versucht, daraus schlau zu werden - nachdem er gemerkt hat, daß die Postkarten ein Zeichen waren. Du hast es sehr schnell gemerkt. Ich war ungeheuer beeindruckt.«
»Aber du hattest keine Angst?«
»Ich? Nie.«
»Deine Waffe.« Harrys Stimme ließ die Forderung klingen wie eine höfliche Bitte.
»Was ist mit Coop? Ist sie wirklich da drin? Ich möchte ihre Stimme noch mal hören. Woher weiß ich, daß du sie nicht inzwischen umgebracht hast?« Josiah stellte seinerseits eine Forderung. Er wollte hören, wo Coop war.
»Hier.« Cooper nickte Harry zu. Dann stellte sie sich geschwind neben Mrs. Murphy. Tucker legte die Vorderpfoten auf die Lore.
Harry sagte auf Coopers Zeichen: »Ich zähle bis drei, dann wirfst du deine Waffe hin. Sie wirft ihre hin. Eins. zwei. drei.« Sie warf ihre Pistole hinaus, und gleichzeitig warf Josiah seine in die Öffnung.
Er hatte eine zweite Waffe. Er verschwendete keine Zeit. Er stürmte in den Tunnel und feuerte wild um sich. Mrs. Murphy sprang mit ausgefahrenen Krallen auf seinen Kopf. Dann rutschte sie auf seinen Rücken. Tucker stieß die Lore an, die trotz ihres langsamen Tempos Josiah aus dem Gleichgewicht warf, als sie in ihn hineinrumpelte. Tucker biß ihn in die Hand, die die Waffe hielt, und er sank schwankend auf den Tunnelboden, wo sein Knie auf eine Stahlschiene aufschlug. Ohne daß der Hund sein Handgelenk losließ, hob Josiah die Hand mit der Waffe und zielte auf Harry, die sich fallen ließ und zur Seite rollte. Mrs. Murphy hing an seinem Rücken und schlug ihre Krallen mit aller Kraft hinein. Cooper gab präzise und mit geübter Beherrschung einen einzigen Schuß ab. Josiah ächzte, als die Kugel mit einem dumpfen Knall in seinen Rumpf drang. Er ballerte wild drauflos. Cooper schoß noch einmal. Zwischen die Augen. Er zuckte zusammen und war tot.
»Tucker!« Harry rannte zu dem Hund, der verletzt war, aber mit dem Schwanz wedelte.
Cooper nahm Mrs. Murphy auf den Arm und ging zu Harry hinüber. Sie küßte die Katze, deren Fell noch gesträubt war. »Gut gemacht, Mrs. Murphy.« Sie bückte sich, um Josiahs Puls zu fühlen. Dann ließ sie seinen Arm fallen wie ein verfaultes Stück Fleisch. »Harry, wenn die zwei ihn nicht aus dem Gleichgewicht gebracht hätten, hätte er eine von uns erwischt. Er hatte eine Schnellfeuerwaffe. Der Tunnel ist nicht besonders breit. Er war kein Dummkopf, außer daß er sich im Postamt verplappert hat.«
Harry setzte sich auf die feuchte Erde, und Tucker leckte ihr die Tränen vom Gesicht. Mrs. Murphy stellte sich auf die Hinterbeine und legte die Vorderpfoten an Harrys Hals. Harry rieb ihre Wange in Mrs. Murphys weichem Fell.
»Komisch, Cooper, ich hab nicht an mich gedacht. Ich hab an diese beiden gedacht. Wenn er Mrs. Murphy oder Tucker etwas angetan hätte, ich wäre imstande gewesen, ihn mit meinen bloßen Händen zu töten. Mein Verstand war vollkommen ruhig und glasklar.«
»Sie haben Mumm, Harry. Ich war bewaffnet. Sie haben Ihre Waffe rausgeworfen, um ihn reinzulegen.«
»Sonst wäre er nicht reingekommen. Ich weiß nicht - vielleicht doch. Gott, es kommt mir vor wie ein Traum. So ein gerissener Schweinehund. Er hatte zwei Pistolen.«
Cooper filzte die Leiche. »Und ein Stilett.«
46
Erleichtert kehrte Mrs. Hogendobber am Tag nach der Schießerei mit Josiah zurück. Für die Medien waren die heroische Posthalterin, ihre tapfere Katze und ihr mutiger Hund sowie die beherzte Officer Cooper, die im Feuerhagel so kühl geblieben war, ein gefundenes Fressen. Harry fand den Rummel fast so schlimm, wie im Tunnel in der Falle zu sitzen.
Rick Shaw, der über das Gefecht mit Josiah genau informiert worden war, erwähnte in seinem Bericht mit keinem Wort, daß Josiah sich an Mim Sanburnes Arm Zutritt zu den Häusern der Reichen verschafft hatte. Natürlich wußte es ganz Crozet, und Mims reiche Freundinnen wußten es auch, aber wenigstens dieses Detail wurde nicht in großer Aufmachung überall in Amerika verbreitet. Big Jim freute sich insgeheim, daß der Snobismus seiner Frau zum Verhängnis geworden war, und er war heilfroh, Josiah los zu sein.
Pewter beneidete ihre Freundinnen schrecklich und fraß doppelt soviel wie sonst, als Entschädigung dafür, daß ihr der Ruhm verwehrt war.
Fair und Boom Boom traten nun gemeinsam in der Öffentlichkeit auf. Noch wurden keine Versprechungen gemacht. Sie kämpften darum, mitten in dem glühendheißen Klatsch über sie Boden unter den Füßen zu bekommen. Harry wurde von der harten Ehefrau, die ihren Mann hinausgeworfen hatte, zum unschuldigen Opfer - nach der öffentlichen, nicht nach Harrys eigener Meinung.
Susan bewog Harry, es zur Entspannung einmal mit Golf zu versuchen. Harry war nicht sicher, daß es sie entspannte, aber sie wurde ganz besessen davon.
Little Marilyn und Mim versöhnten sich bis zu einem gewissen Grade. Mim besaß genug Verstand, um zu wissen, daß sie ihre Tochter nie wieder beherrschen würde.
Rob brachte pünktlich die Post und holte sie ebenso pünktlich ab. Harry las weiterhin die Postkarten. Lindsay Astrove kehrte aus Europa zurück und bedauerte, das Drama verpaßt zu haben. Jim Sanburne und der Stadtrat von Crozet beschlossen, aus dem Skandal Geld zu schlagen. Sie boten Tunneltouren an. Die Touristen fuhren in Handkarren hinauf. Eine hübsche Broschüre über das Leben von Claudius Crozet wurde gedruckt und für zwölf Dollar fünfzig verkauft.
Das Leben wurde wieder normal, was immer das war.
Crozet war ein unvollkommener Winkel in der Welt, mit seltenen Momenten der Vollkommenheit. Harry, Mrs. Murphy und Tucker wurden an einem klaren Tag im September Zeugen eines solchen.
Harry blickte aus dem Fenster des Postamts und sah Stafford Sanburne mit seiner schönen Frau aus dem Zug steigen. Er wurde von Mim und Little Marilyn begrüßt. Er strahlte übers ganze Gesicht. Harry auch.
Nachwort
Ich hoffe, mein erster Kriminalroman hat Ihnen gefallen. Wenn ja, sagen Sie es meinem Verleger. Vielleicht gibt er mir einen Vorschuß auf den nächsten. Oh, ich höre Schritte in der Diele. »Sneaky Pie, was ist das da in meiner Schreibmaschine?«