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»Angenommen, ich würde ihm den Untersuchungsbericht heute Nachmittag vorlegen?«

»Er ist für all diesen Streß wirklich noch zu schwach. Außerdem, würde ihm eine so schnell abgeschlossene Untersuchung plausibel erscheinen? Nein, ich würde empfehlen, wenigstens drei Tage zu warten, besser vier oder fünf.«

»Und einstweilen«, sagt Avogadro, »wird man Verdächtige zusammentreiben und verhören, Unschuldige werden leiden, meine Leute werden ihre Energie auf die alberne Verfolgung eines nichtexistenten Attentäters vergeuden…«

»Können Sie denn nicht die Säuberungsaktion ein paar Tage aufschieben?«

»Er hat Befehl gegeben, sofort damit zu beginnen, Doktor.«

»Ja, ich weiß, aber…«

»Er befahl, sofort anzufangen, und wir haben es getan.«

»Schon?«

»Ja. Ich weiß, was ein Befehl vom Vorsitzenden bedeutet. Die ersten Verhaftungen haben bereits stattgefunden. Ich kann versuchen, die Verhöre ein wenig aufzuschieben, so daß den Gefangenen so wenig Schaden wie möglich zugefügt wird, bevor ich den Untersuchungsbericht vorlegen kann, aber ich habe keine Möglichkeit, seine Befehle zu ignorieren.« In vertraulichem Ton fügt er hinzu: »Ich möchte es auch nicht riskieren.«

»Dann wird es eine Säuberungsaktion geben«, sagte Schadrach achselzuckend. »Ich bedaure das so sehr wie Sie, denke ich, aber es gibt wohl keine Möglichkeit, etwas dagegen zu tun. Und ich habe keine wirkliche Hoffnung, daß es Ihnen gelingen wird, dem Vorsitzenden die Selbstmordtheorie schmackhaft zu machen, nicht heute Nachmittag und auch nicht nächste Woche: nicht wenn er glauben will, daß Mangu ermordet wurde. Tut mir leid.«

»Mir auch«, sagt der Sicherheitschef. »Gut. Danke für Ihre Auskunft, Doktor.« Er wendet sich zum Gehen, dann verhält er noch einmal und wirft Schadrach einen tiefen, unbehaglich forschenden Blick zu und sagt: »Ach, noch etwas, Doktor. Wissen Sie von irgendeinem Grund, den Mangu gehabt haben könnte, sich das Leben zu nehmen?«

Schadrach runzelt die Stirn. Er überdenkt die Situation.

»Nein«, antwortet er nach kurzer Pause. »Nein, nicht, daß ich wüßte.«

Er geht weiter in Kontrollraum i, wo sich viele Leute eingefunden haben, darunter mehrere, die zuvor aus dem Schlafzimmer des Vorsitzenden vertrieben wurden. Er beginnt sich ein wenig komisch vorzukommen, weil er als einziger noch immer halb angezogen herumläuft. Gonchigdorge sitzt an dem mehrere Meter langen Schaltpult, wo die eingehenden Übertragungen der Fernsehkameras in aller Welt ausgewählt und eingeschaltet werden. Während der Mann die Knöpfe drückt, verschwinden auf den Bildschirmen ringsum Ansichten und Szenen aus dem Leben und werden durch andere ersetzt. Gonchigdorge scheint die Einschaltungen ohne System und ohne tiefere Absicht vorzunehmen, in einer Art von mißmutiger Ungeduld, als hoffe er durch Zufall auf eine Bande von Desperados zu stoßen, die ein Transparent mit der Aufschrift WIR SIND VERSCHWÖRER schwenken. Aber die übertragenen Szenen enthüllen nur das übliche Menschenschicksaclass="underline" Leute, die arbeiten, gehen, leiden, streiten, sterben.

Plötzlich erscheint Horthy an Schadrachs Seite und sagt mit einem gewissen Vergnügen: »Die Verhaftungen haben bereits begonnen.«

»Ich weiß. Avogadro hat es mir erzählt.«

»Hat er Ihnen auch gesagt, daß sie einen Hauptverdächtigen haben?«

»Nein. Wen?«

Horthy reibt sich mit den Mittelfingern die vorquellenden, blutunterlaufenen Augen. Noch immer scheint ihn eine psychedelische Ausdünstung zu umgeben. »Roger Buckmaster«, sagt er. »Der Experte für Mikorelektronik, wissen Sie.«

»Ja, ich kenne ihn. Ich habe mit ihm gearbeitet.«

»Vergangene Nacht führte er in Karakorum aufrührerische Reden, die von verschiedenen Leuten gehört wurden«, sagt Horthy. »Er rief zum Sturz des Vorsitzenden auf, schrie subversive Parolen. Schließlich nahm ihn die Volksmiliz fest, kam aber zu dem Schluß, daß er bloß betrunken sei, und ließ ihn laufen.«

»Ist es das, was Ihnen passiert ist?« fragt Schadrach mit gedämpfter Stimme.

»Mir? Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«

»In der U-Bahnstation. Wir sahen uns dort, erinnern Sie sich? Die Fernsehnachrichten brachten gerade einen Ausschnitt aus Mangus Rede. Sie machten ein paar Bemerkungen über das Verteilungsprogramm für die Ronkevic-Immunisierung, und dann kamen zwei Milizionäre und stiegen mit Ihnen in den Zug.«

»Nein«, sagte Horthy. »Sie müssen sich irren.« Seine Augen begegnen Schadrachs Blick und halten ihn fest. Es sind einschüchternde Augen, kalt und feindselig, trotz ihrer blutunterlaufenen Verschwommenheit. Langsam und mit Nachdruck sagt Horthy: »Es war jemand anders, den Sie in Karakorum sahen, Doktor Mordechai.«

»Sie waren letzte Nacht nicht dort?«

»Es war jemand anders.«

Schadrach beschließt den unverblümten Wink zu befolgen und von seiner Version abzulassen. »Wie Sie wollen. Erzählen Sie mir von Buckmaster. Warum hält man ihn für den Tatverdächtigen?«

»Sein exzentrisches Verhalten in der vergangenen Nacht war verdächtig.«

»Ist das alles?«

»Was den Rest angeht, so werden Sie die Sicherheitsleute fragen müssen.«

»Wurde er zum Zeitpunkt der Tat in der Nähe von Mangus Wohnung angetroffen?«

»Das kann ich nicht sagen, Doktor Mordechai.«

»Ich verstehe.« Auf einem der Bildschirme sieht man ein junges Mädchen Blut spucken. Ein Opfer der Organzersetzung. Horthy scheint bei dem Anblick ein Lächeln zu unterdrücken, als sei ihm kein Schrecken fremd. Schadrach sagt: »Noch etwas. Sie sahen Mangu fallen, nicht wahr?«

»Ja.«

»Und dann verständigten Sie den Vorsitzenden?«

»Zuerst verständigte ich die Palastwache.«

»Natürlich.«

»Dann eilte ich hinauf. Die Sicherheitsleute hatten das obere Geschoß bereits gesperrt, aber sie ließen mich durch.«

»Und Sie gingen direkt zum Schlafraum des Vorsitzenden?«

Horthy nickt. »Auch der war bewacht. Ich erhielt nur Zutritt, weil ich auf meinen Beraterstatus pochte und erklärte, daß ich eine außerordentlich wichtige Nachricht hätte.«

»War der Vorsitzende wach?«

»Ja. Er las Akten, die der Revolutionsrat ihm zur Entscheidung weitergeleitet hatte.«

»Wie war nach Ihrem Eindruck sein allgemeiner Gesundheitszustand?«

»Recht gut. Er sah blaß und schwach aus, aber nicht übermäßig, und in Anbetracht seiner schweren Operation erschien er mir sogar verhältnismäßig frisch. Er begrüßte mich und sah meiner Miene an, daß etwas vorgefallen war, fragte mich, und ich erzählte ihm, was geschehen war.«

»Und das war?«

»Daß Mangu aus dem Fenster gefallen war, natürlich«, sagte Horthy mit einem Anflug von Gereiztheit.

»Drückten Sie es so aus? ›Mango ist aus seinem Fenster gefallen‹?«

»Ungefähr so.«

»Sagten Sie vielleicht, daß er hinausgestoßen wurde?«

»Warum verhören Sie mich, Doktor Mordechai?«

»Bitte antworten Sie. Es ist wichtig. Ich muß wissen, ob der Vorsitzende allein zu der Schlußfolgerung gelangte, daß Mangu ermordet wurde, oder ob Sie es ihm unabsichtlich suggerierten.«

Horthy starrt ihn unheilvoll an. »Ich sagte dem Vorsitzenden genau, was ich gesehen hatte: daß Mangu aus dem Fenster gefallen war. Ich zog keine Schlüsse, wie es geschehen sein mochte. Selbst wenn jemand ihn gestoßen hätte, wie hätte ich das vom Hof aus sehen können? Ich wurde ja erst durch den Sturz auf ihn aufmerksam und erkannte ihn nicht eher, als bis er den Boden beinahe erreicht hatte.« Ein beunruhigendes Leuchten erscheint in Horthys Augen. Er beugt sich näher zu Schadrach und sagt in einem vertraulichen Ton: »Er sah so heiter aus, Doktor Mordechai! Wie er so herabflog, die Augen weit offen, das Haar vom Luftzug aus der Stirn gestrichen, da konnte ich einen Augenblick lang seine Zähne sehen. Ich glaube, er lächelte. Lächelte! Und dann schlug er am Boden auf.«