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»Nun?« fragt Katja Lindman nach einer Weile.

»Spricht er nicht?«

»Noch nicht. Das ist der nächste Schritt.«

»Das ist also dann die ganze Schau?«

»Ja. Das hört sich an, als wärst du enttäuscht.«

»Irgendwie erwartete ich mehr. Das Grinsen habe ich schon gesehen.«

»Aber nicht das Zwinkern. Das Zwinkern ist neu.«

»Trotzdem, Katja — du fügst hier und dort eine Feder hinzu, aber das ergibt noch längst keinen Adler.«

»Was hattest du erwartet? Einen gehenden, sprechenden Vorsitzenden? Die komplette Nachbildung über Nacht!« Seine Enttäuschung verärgert sie offensichtlich: sie schnappt nach Luft wie ein Karpfen, wobei die scharfen kleinen Schneidezähne zu sehen sind, die ihn immer an ein Raubtier erinnern. »Wir sind hier noch immer im Anfangsstadium. Aber ich dachte, das Zwinkern würde dir gefallen. Mir gefällt es jedenfalls.« Ihre Züge glätten sich, sie hat sich schon wieder beruhigt. »Es tut mir leid, daß ich dir die Zeit gestohlen habe. Ich hatte solchen Spaß mit dem Zwinkern, daß ich dich daran teilhaben lassen wollte.«

»Es ist ein fantastisches Zwinkern, Katja, und ich weiß wohl, daß eine Menge Arbeit darin steckt.«

»Übrigens wird Projekt Talos durch Mangus Tod sehr an Bedeutung gewinnen. Nicki Crowfoots ganze Arbeit war darauf gerichtet, die Persönlichkeit des Vorsitzenden in die neuralen Reaktionen von Mangus lebendigem Geist und Körper zu integrieren. Damit ist es nun vorbei, dieser ganze Zugang muß aufgegeben werden.«

Schadrach versteht genug von Nickis Arbeit, um zu wissen, daß dies nicht ganz richtig ist; Mangu war in der Tat die Person, auf welche das AvataraProgramm zur Persönlichkeitsverschlüsselung angelegt war, doch war mit der Verwendung von Mangus Person keine Ausschließlichkeit verknüpft; nach der geeigneten Anpassung kann das Projekt durchaus auf einen anderen Körperspender eingestellt werden. Aber es ist nicht nötig, Katja Lindman das zu sagen, wenn sie sich in dem Bewußtsein sonnen möchte, daß ihr bisher eher peripheres Projekt plötzlich zur wichtigsten Hoffnung des Vorsitzenden auf ein postmortales Überleben geworden ist. Sie hat sich zum Schluß bemüht, weniger scharf und einschüchternd zu sein, und er zieht sie so vor; er möchte nichts tun, was in ihr neue Spannungen und Abwehrmechanismen auslösen könnte.

Tatsächlich scheint sie sich in einer Art Hochstimmung zu befinden, die vermutlich der eigentliche Grund ihres Anrufs gewesen ist und die offenbar auf der vermeintlichen Aufwertung ihrer Abteilung beruht. Sie führt ihn durch das Laboratorium, zeigt ihm Diagramme von neutralen Schaltungen, Kästen mit Datenchips, Prototypen für das Rückgrat und die Beckenregion des nächsten Modells und andere Einzelheiten des Projekts Talos, die vorläufig noch ohne praktische Bedeutung sind; und nach einer Weile wird ihm klar, daß sie diese ganze Führung nur veranstaltet, um ihn zurückzuhalten und sich seine Gesellschaft für weitere Minuten zu erhalten. Das verwundert ihn. Katja Lindmans gewohnte Art ist aggressiv und herrisch, doch jetzt gibt sie sich beinahe kokett, sucht während ihrer Erklärungen immer wieder Augenkontakt und streift einmal sogar seinen Arm mit den Brüsten, als sie nebeneinander stehen und eine Schemazeichnung des künstlichen Nervensystems betrachten. Glaubt sie ihn damit aufreizen zu können? Er hat keine Ahnung, was sie denkt oder will. Dies zu erkennen, gelingt ihm selten. Auch jetzt wird er es nicht herausbringen, denn was immer sie hier vorbereiten mag, wird plötzlich von einem Piepston des Funksprechgeräts in seiner Tasche unterbrochen. Er schaltet sich ein und sagt seinen Namen. Avogadro ist am anderen Ende.

»Können Sie zu mir in die Sicherheitsabteilung kommen, Doktor?«

»Jetzt?«

»Ja, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Was ist los?« fragt Schadrach.

»Wir haben Buckmaster verhört. Ihr Name ist aufgetaucht.«

»Ach. Bin ich jetzt auch ein Tatverdächtiger?«

»Kaum. Vielleicht ein Zeuge. Können wir Sie in fünf Minuten erwarten?«

Schadrach sagt zu, schaltet das kleine Gerät aus und steckt es ein. »Ich muß gehen«, sagt er mit einem Blick in Katjas Augen. »Avogadro. Es geht um die Untersuchung des Todesfalls.«

Sie preßt einen Moment die Lippen zusammen und blickt ärgerlich, sagt aber nur, daß sie ihn bald wiederzusehen hoffe, und läßt ihn gehen, wobei sie ihre Enttäuschung geschickt hinter einer Maske von Gleichgültigkeit verbirgt. Als er das Laboratorium verläßt, atmet er auf, wie von einem Druck befreit.

Die Sicherheitsabteilung befindet sich im vierten Stock des südlichen Flügels. Schadrach ist noch nie dort gewesen und hat keine klare Vorstellung davon, was ihn erwartet, abgesehen von üblichem Polizeizubehör wie Vergrößerungsgläsern, Stempelkissen für Fingerabdrücke, Fahndungsplakaten mit möglichst kriminell aussehenden Fotos von bekannten Staatsfeinden und subversiven Eleme nten, Aktenstapeln und was dergleichen mehr ist. Vielleicht gibt es noch manche andere Dinge in der Sicherheitsabteilung, aber Schadrach bekommt sie nicht zu sehen. Ein geschmeidiger junger Chinese mit einer höflichen, weichen Stimme begrüßt ihn am Empfangsschalter und führt ihn durch ein Labyrinth von kahlen Korridoren, vorüber an winzigen Büros, durch deren offene Türen er müde aussehende Bürokraten hinter überhäuften Schreibtischen sitzen sieht. Die Abteilung könnte die Zweigniederlassung einer Krankenkasse oder jeder beliebigen Verwaltungsbehörde sein. Erst als er in den Vernehmungsraum geleitet wird, wo Avogadro und Buckmaster auf ihn warten, fühlt er, daß er unter den Hütern des Gesetzes ist.

Der Raum ist klein, rechteckig und fensterlos, mit schmutziggrünen Wänden und einer bedrückend niedrigen Decke, von der Lampen an Gelenkarmen hängen. Ihre scharf gebündelten Lichtkegel sind auf Roger Buckmaster gerichtet, der unbequem auf einem harten Stuhl mit Armstützen und einer hohen Rückenlehne sitzt. An seinen Handgelenken und Schläfen sind mit Klebeband Elektroden befestigt, deren Zuleitungen in der Rückenlehne verschwinden. Buckmaster sieht unnatürlich bleich und verschwitzt aus; seine Lippen wirken kraftlos und schlaff, die Wangen sind fleckig, die Augen blikken glasig. Offensichtlich hat Avogadro ihn schon seit geraumer Zeit in der Mangel.

Der Chef der Sicherheitsabteilung, der bei Schadrachs Eintreten neben Buckmaster steht, sieht nicht viel besser aus als dieser — verdrießlich, übermüdet, abgenutzt. »Ein Tollhaus«, murmelt er. »Fünfzig Festnahmen in einer Stunde. Alle Vernehmungszimmer sind voll, und es werden immer noch Leute eingeliefert. Verrückte, Bettler, Diebe, der ganze Abschaum von Ulan Bator. Und die Radikalen, versteht sich. Ich gehe von einer Zelle zur anderen, sehe nach dem Rechten, stelle Fragen. Und wozu? Wozu?« Ein raues, gereiztes Auflachen. »Ehe diese Säuberungswelle sich verläuft, wird es jede Menge Fleisch für die Organfarmen geben.« Langsam und mit einer Müdigkeit, die vom Widerwillen noch verstärkt wird, wendet er sich dem Mann auf dem Stuhl zu. »Nun, Buckmaster? Sie haben einen Besucher. Erkennen Sie ihn wieder?«

Buckmaster starrt auf den Boden. »Sie wissen verdammt gut, daß ich ihn kenne«, murmelt er.

»Sagen Sie mir seinen Namen.«

»Lassen Sie mich in Ruhe.«

»Sagen Sie mir seinen Namen«, drängt Avogadro in einem Ton, der bei aller Müdigkeit hinreichend bedrohlich ist, um Buckmaster davon zu überzeugen, daß Schweigen sich nicht lohnt.

»Mordechai. Schadrach Arschkriecher Mordechai. Doktor.«

»Danke, Buckmaster. Und nun sagen Sie mir, wann Sie Doktor Mordechai zuletzt gesehen haben.«

»Vergangene Nacht«, sagt Buckmaster mit kaum hörbarer Stimme.