»Lauter!«
»Vergangene Nacht.«
»Wo?«
»Sie wissen, wo, Avogadro!«
»Ich möchte es aus Ihrem Munde hören.«
»Ich habe es schon gesagt.«
»Dann sagen Sie es noch einmal. Vor Doktor Mordechai. Sagen Sie es mir.«
»Warum schneiden Sie mich nicht einfach in Stücke und lassen es damit gut sein?«
»Sie erschweren Ihre Lage selbst, Buckmaster. Und Sie machen es mir schwer, entlastendes Material für Sie zusammenzutragen.« — »Ein Jammer.«
»Sie lassen mir keine andere Wahl«, sagt Avogadro.
Buckmaster hebt den Kopf und blickt in dumpfer Erbitterung zu ihm auf. »Was soll das Theater, Avogadro! Ich kenne das Spiel. Sie werden mich eine Weile verhören, Sie werden mich der staatsfeindlichen Hetze und Verschwörung für schuldig befinden, zum Tode verurteilen, und ab mit mir in die Organfarm! Richtig? Und dort liege ich dann, ein Leichnam, der nicht tot ist, und wann immer der Vorsitzende oder ein anderes hohes Tier eine Niere, eine Lunge, ein Herz oder eine Leber braucht, kann sein Arzt kommen und mir das Benötigte herausschneiden. Während ich daliege, tot, aber warm, atmend und mit gesundem Stoffwechsel, ein Teil des Lagervorrats.«
»Buckmaster…«
Buckmaster stößt ein heiseres Lachen aus. »Der Vorsitzende befürchtet, daß die Lagerbestände zur Neige gehen könnten, und weil er die an Organzersetzung leidenden Leute draußen nicht gebrauchen kann, nimmt er uns, wirft ein paar Dutzend von seinen eigenen Leuten in die Organfarmen, nicht wahr? Also los, bringen Sie mich fort! Machen Sie mich zu Kannibalenfutter! Aber hören Sie endlich mit dieser Farce auf, ja? Hören Sie auf, mir idiotische Fragen zu stellen.«
Avogadro seufzt. »Fahren wir fort, Buckmaster. Sie sahen Doktor Mordechai in…«
»Timbuktu.«
Avogadro hebt die linke Hand. Ein Mann vom Sicherheitsdienst, der in der Ecke an einem Tisch sitzt, macht sich an einem kleinen Gerät zu schaffen. Buckmaster fährt zusammen und zuckt, und seine linke Gesichtshälfte wird vorübergehend von einem häßlichen Krampf entstellt. »Wo sahen Sie ihn?«
»Piccadilly Circus.«
Wieder hebt der andere die Hand, etwas höher. Buckmaster windet sich auf dem Stuhl, Arme und Beine zucken unkontrolliert, und der Gesichtskrampf wiederholt sich. Speichel rinnt aus den Mundwinkeln. Schadrach tritt unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Er wendet sich zum Sicherheitschef und sagt mit halblauter Stimme: »Vielleicht ist es nicht nötig, ihn…«
»Doch, es ist nötig«, erwidert Avogadro. »Sie sehen selbst, wie er sich durch seinen Starrsinn schadet.« Zu Buckmaster sagt er: »Ich bin bereit, den ganzen Tag so weiterzumachen, Buckmaster. Es langweilt mich, aber es ist meine Arbeit, und wenn ich Ihnen Schmerzen zufügen muß, dann werde ich es tun, und wenn ich Sie zum Krüppel machen muß, dann werde ich auch das tun, denn mir bleibt keine andere Wahl. Verstehen Sie mich? Kommen Sie also zur Vernunft. Also, fangen wir wieder an: Sie trafen Doktor Mordechai in…«
»Karakorum.«
»Wo in Karakorum?«
»Vor dem Zelt der Transtemporalisten.«
»Um welche Zeit?«
»Das weiß ich nicht mehr. Es war spät, aber noch vor Mitternacht.«
»Ist das richtig, Doktor Mordechai? Ihre Antworten werden protokolliert.«
»Soweit stimmt alles«, sagt Schadrach.
»Gut. Fahren Sie fort, Buckmaster. Wiederholen Sie, was Sie mir vorhin erzählten. Sie trafen Doktor Mordechai und sagten was zu ihm?«
»Ich redete einen Haufen dummes Zeug.«
»Was für dummes Zeug, Buckmaster?«
»Dummes Gerede. Die Transtemporalisten hatten mir mit ihren Drogen den Verstand durcheinandergebracht.«
»Was genau sagten Sie zu Doktor Mordechai?«
Buckmaster bleibt stumm und starrt dumpf auf den Boden.
Avogadro hebt die Linke beinahe bis in Schulterhöhe. Die Einstellung wird verändert, der Strom eingeschaltet. Buckmaster schnellt auf dem Stuhl hoch, als hätte ihn ein Speer durchbohrt. Seine Arme und Beine, an Ellbogen und Knien von Metallklammern festgehalten, schlagen und stoßen blindlings um sich. Er stößt einen rauen Schrei aus.
»Sagen Sie es uns, Buckmaster. Bitte.«
»Ich beschuldigte ihn, Schlechtes zu tun.«
»Sprechen Sie weiter.«
»Ich nannte ihn einen Judas.«
»Und einen schwarzen Bastard«, sagte Schadrach.
Avogadro gibt ihm mit einem sanften Rippenstoß zu verstehen, daß seine Einmischung unwillkommen ist.
»Drücken Sie sich genauer aus, Buckmaster. Wessen beschuldigten Sie Doktor Mordechai?«
»Ich beschuldigte ihn, seine Arbeit zu tun.«
»Wieso das?«
»Seine Arbeit besteht darin, den Vorsitzenden am Leben zu erhalten. Ich sagte, er sei verantwortlich dafür, daß der Vorsitzende vor fünf Jahren nicht gestorben ist.«
»Trifft das zu, Doktor Mordechai?«
Schadfach zögert. Er möchte nicht gern daran beteiligt sein, daß Buckmaster zur Organfarm geschickt wird. Aber jeder Versuch, den Mann jetzt zu schützen, wäre töricht. Die Wahrheit über den nächtlichen Zwischenfall in Karakorum ist bereits ans Licht gezerrt und aufgezeichnet, und was jetzt geschieht, ist lediglich eine Bestätigung für das Protokoll, komplett mit seiner Zeugenaussage. Buckmaster hat sich mit dem eigenen Mund das Urteil gesprochen. Keine Lüge kann ihn noch retten; sie kann nur den Lügner in Gefahr bringen.
»So ist es«, sagt er.
»Ich verstehe. Buckmaster, bedauern Sie, daß der Vorsitzende nicht schon vor fünf Jahren gestorben ist?«
»Lassen Sie mich in Ruhe, Avogadro.«
»Antworten Sie! Wünschen Sie wirklich den Tod des Vorsitzenden? Ist das Ihre Einstellung?«
»Ich hatte die Droge im Kopf!«
»Jetzt haben Sie die Droge nicht im Kopf, Buckmaster. Von welcher Art sind Ihre Gefühle zum Vorsitzenden in diesem Augenblick?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß es einfach nicht.«
»Sind Ihre Gefühle feindseliger Natur?«
»Vielleicht. Hören Sie, Avogadro, zwingen Sie nicht noch mehr aus mir heraus. Sie haben mich, Sie können mich heute Abend den Kannibalen übergeben, reicht Ihnen das noch nicht?«
»Wir können dieses Verhör beenden, sobald Sie sich kooperationswillig zeigen.«
»Gut«, murmelt Buckmaster. »Gut.« Er richtet sich auf, scheint irgendeine innere Kraft zu finden, die ihm Würde verleiht. »Ich halte nichts vom Regime des Vorsitzenden, Ich befinde mich mit der Politik des Revolutionsrates nicht in Übereinstimmung. Ich bedaure, daß ich ihnen gedient und meine Arbeitskraft zur Verfügung gestellt habe. Ich war letzte Nacht überreizt und überhäufte Doktor Mordechai mit Beschimpfungen, deren ich mich heute schäme. Aber ich habe niemals illoyal gehandelt, Avogadro! Und ich habe nicht das geringste mit dem Tod Mangus zu tun. Ich weiß überhaupt nichts darüber und schwöre, daß ich weder direkt noch indirekt daran beteiligt war.«
Avogadro nickt. »Doktor Mordechai, erwähnte der Gefangene letzte Nacht Mangus Namen?«
»Ich glaube nicht.«
»Können Sie sich präziser dazu äußern?«
Schadrach überlegt. »Nein«, sagt er schließlich. »Nach meinem besten Wissen sagte er nichts über Mangu.«
»Stieß der Gefangene irgendwelche Drohungen gegen das Leben des Vorsitzenden aus?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Versuchen Sie sich zu erinnern, Doktor.«
Schadrach schüttelt den Kopf. »Sie müssen verstehen, ich war auch gerade aus dem Zelt der Transtemporalisten gekommen. Während Buckmasters Tirade war ich mit meinen Gedanken zeitweilig noch anderswo. Er äußerte sich kritisch über die Regierung, ja, sogar sehr entschieden, aber ich denke nicht, daß er direkte Drohungen gegen bestimmte Personen ausstieß. Nein.«
»Dann muß ich Ihre Erinnerung auffrischen«, sagte Avogadro und gibt seinem Assistenten in der Ecke ein Zeichen. Es folgt ein zischendes Geräusch, und dann, aus einem unsichtbaren Lautsprecher, der Klang einer seltsam vertrauten, doch zugleich fremdklingenden Stimme. Es ist seine eigene.