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Bela Horthy nimmt ihn auf dem Korridor beiseite und sagt mit gedämpfter Stimme: »Cifolia sagt mir, daß Sie bleiben wollen.«

»Einstweilen«, antwortet Schadrach. »Ich muß denken.«

»Denken ist nützlich, ja. Aber warum das Denken in Ulan Bator besorgen?«

»Ich lebe nun mal hier.«

»Einstweilen«, sagt Horthy. Er wendet sich Schadrach voll zu und blickt ihm offen in die Augen. Seine vorquellenden Augen blicken besorgt. Er muß zu den Verschwörern gehören, denkt Schadrach, und die Erkenntnis überrascht ihn kaum noch. »Laufen Sie, Mordechai«, raunt Horthy ihm zu.

»Was nützt es? Man wird mich fangen.«

»Nur wenn Sie leichtfertig sind. Buckmaster ist nach wie vor auf freiem Fuß.«

»Haben Sie keine Angst, so etwas zu sagen? Wo hier hinter jeder Tapete…«

»Abhörwanzen stecken können?«

»Ja.«

»Alles wird überwacht. Alles wird auf Band genommen. Na und? Wer kann alle die Bänder abhören? Der Sicherheitsdienst geht in der Masse des Materials unter. Er beschränkt sich seit langem auf Stichproben.« Horthy zwinkert ihm zu. »Gehen Sie. Wie Buckmaster gegangen ist.«

»Es wäre nutzlos.«

»Der Meinung bin ich nicht. Ich rate Ihnen, davonzulaufen. Ich rate es Ihnen ernstlich. Sie müssen wissen, manche Leute denken besser, wenn sie auf der Flucht sind.«

Horthy lächelt. Er drückt ihm die Hand, ehe er sich zum Gehen wendet.

Als er sich entfernt, ruft Schadrach ihm nach: »Sagen Sie, gehören Sie auch dazu?«

»Wozu?« fragt Horthy zurück und lacht.

28. Mai 2012

Weitere dunkle Träume. Ich ging hinunter zum Platz Sukhe Bators und fand, daß man in der Mitte eine Statue von mir errichtet hatte, eine kolossale Bronzestatue, die bereits grüne Patina ansetzte. Meine Arme waren wie die eines segnenden Priesters ausgebreitet. Mein Gesicht sah schrecklich aus: runzlig, eingefallen, grauenhaft, das Gesicht eines Zweihundertjährigen. Und die Statue hatte keine Beine. Sie endete bei den Hüften, schwebte frei in der Luft, als ob die Beine einmal dagewesen, dann aber weggehauen worden wären. Die Statue aber hatte ihre ursprüngliche Höhe behalten. Ein alter Arbeiter fegte verwelkte Blumen zusammen, und ich sagte zu ihm: »Ist der Vorsitzende tot?« und er sagte: »Tot und fort, die Stücke wurden nach Dalan-Dsadagad zurückgeschickt. Gut, daß wir sie los sind.« Die Stücke. Man hatte die Stücke zurückgeschickt. Das gefällt mir nicht. In meinem Kopf spukt dieser Tage zuviel Tod. Das Spiel hat seinen Reiz verloren. Ich muß etwas dagegen tun.

Nach dem Frühstück beschloß ich einen Inspektionsgang durch die Laboratorien zu machen, wo meine Forschungsprojekte bearbeitet werden. Wenn einen der Gedanke an den Tod drückt, tut es gut, jene zu besuchen, die einem das Leben verlängern helfen.

Ein kluger Einfall. Fühlte mich sofort besser. Der erste persönliche Besuch in Monaten. Sollte öfter hingehen.

Der erste Besuch galt Phönix. Die Leiterin Sarafrazi ist ein hübsches, zierliches Frauenzimmer, wunderbare Augen, ein schönes Gesicht. Mein unerwarteter Anblick erschreckte sie. Sie zeigte mir ihre Affen, ihre blubbernden Chemikalienbehälter, die eingelegten Gehirne. Optimistische Prognosen, abgegeben mit gepreßter, kehliger Stimme. Sie wird mich wieder jung machen, behauptet sie. Bin dessen nicht so sicher, sagte ihr aber, sie solle fleißig dranbleiben. Sie war vor Ehrfurcht wie gelähmt. Als ich ging, dachte ich, sie werde gleich auf die Knie fallen.

Von dort direkt zum Talos-Laboratorium. Kam auch hier unangemeldet, aber die Lindman ist eine eiskalte Person. Nach dem letzten Klatsch soll sie Mordechais neue Geliebte sein. Kann nicht verstehen, was er an ihr findet. Etwas an ihrem Mund gefällt mir nicht, es verdirbt ihr Gesicht. Sieht aus wie der Mund irgendeines wilden Nagetiers. Sie hat einen mechanischen Vorsitzenden mit lebensechter Plastikhaut in ihrem Labor stehen, sehr groß und dem äußeren Anschein nach nicht übel gemacht, aber unterhalb der Mitte noch unfertig, einfach ein Gerüst ohne Beine. Ohne Beine: Das Denkmal des Vorsitzenden. »Machen Sie die Beine fertig«, sagte ich zu ihr, worauf sie mir einen sonderbaren Blick zuwarf. Dann sagte sie, die Beine kämen als letztes, wichtiger sei es, die inneren Steuerkreise fertig zu bauen. Die Frau weiß, was sie will, läßt sich von mir keinen Unsinn einreden. Auch dann nicht, wenn ich Vorsitzender des Revolutionsrates bin. Ihr Roboter kann zwinkern, lächeln, die Arme bewegen. Gonchigdorge begleitete mich und sagte: »Es ist genau wie Sie, eine bemerkenswerte Ähnlichkeit«, aber ich kann dem nur bedingt zustimmen. Raffiniert und einfallsreich, aber mechanisch. Einen solchen Nachfolger möchte ich nicht. Ich würde das Talos-Projekt nicht abblasen, jedenfalls jetzt noch nicht, aber es wird mit Sicherheit nicht hervorbringen, was ich brauche.

Wir gingen weiter zu Nicki Crowfoots Laboratorium. Avatara. Eine schöne Frau, aber ungewohnt nervös, deprimiert und geistesabwesend. Schuldgefühle wegen Mordechai, vermute ich. Die sollte sie auch haben. Aber sie bleibt eine loyale Dienerin. »Wann werden Sie bereit sein, die Übertragung durchzuführen?« fragte ich sie, und sie sagte: »Es ist nur noch eine Frage von Monaten.« Die Auskunft bewirkte eine so starke Aufwallung von freudiger Erregung, daß Mordechai anrief, um zu hören, wie es mir gehe. Sagte ihm, er solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. Aber ich bin seine eigene Angelegenheit. Jedenfalls gibt mir Avatara Hoffnung. Bald werde ich in einem neuen, gesunden Körper stecken. Ehe der erste Schnee fällt, werde ich mit Mordechais Lippen zur Welt sprechen und die Luft mit seinen Lungen atmen.

Als er im Laufe des Nachmittags unangemeldet das Laboratorium des Avatara-Projekts betritt, wird Schadrach sofort von Manfred Eis gestoppt, Nicki Crowfoots Stellvertreter, der aus einem Labyrinth von Elektronik zum Vorschein kommt und ihm wie der Blitze schleudernde Thor den Weg vertritt.

»Wir sind im Moment sehr beschäftigt«, sagt er im Ton einer Herausforderung.

»Freut mich, das zu hören.«

»Was verschafft uns die Ehre?«

»Nur ein Routinebesuch«, antwortet Schadrach freundlich. »Ich wollte sehen, welche Fortschritte Sie gemacht haben. Bin einige Zeit nicht hier gewesen.«

Tatsächlich sind mehrere Wochen vergangen, seit er das Laboratorium zuletzt aufsuchte, und nach seinem ›Fahrplan‹ stattet er jedem Projekt wenigstens einmal im Monat einen Informationsbesuch ab. Aber Eis läßt ihn spüren, daß er jetzt nicht willkommen ist. Er ist ein kühler, humorloser Mann, der auf Distanz hält, ein Klischee-Teutone, steif und breitschultrig, mit kantigen Kinnladen und sehr nordisch, mit frostigen blauen Augen, ebenmäßigen Zähnen und weichem Blondhaar. Nur die Schmisse fehlen. Schadrach ist die arische Schroffheit des Doktor Eis längst gewohnt, aber heute ist etwas Neues in seinem Verhalten, etwas halb Gönnerhaftes und halb Geringschätziges, was Schadrach beunruhigt, weil er vermutet, daß es mit seiner persönlichen Beteiligung am Projekt Avatara zu tun hat.