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»Ich will nichts davon hören«, sagt er.

»Du haßt mich doch.«

»Nein. Ich bin bloß nicht an deiner unechten Rolle interessiert.«

»Oder an meiner Liebe?«

»Wenn sie sich so äußert, wie ich es erlebt habe, kann ich darauf verzichten.«

Sie schweigt einen Moment lang, dann nimmt sie einen neuen Anlauf und sagt: »Was hast du vor, Schadrach?«

»Wie meinst du das? Was soll ich vorhaben?«

»Du wirst nicht in Ulan Bator bleiben?«

»Alle raten mir zur Flucht.«

»Ja.«

»Es würde nichts nützen.«

»Du könntest dich retten«, sagt sie.

Er schüttelt den Kopf. »Ich würde nicht entkommen. In Asien gibt es nicht viele Nigger. Ich falle überall auf. Und die Überwachung ist fast vollkommen. Du weißt das selbst. Du hast mir selbst gesagt, daß ein Entkommen unmöglich sei. Außerdem würde es dein Projekt wieder durcheinander bringen, wenn ich verschwände.«

»Ach, Schadrach!«

»Ich meine, schließlich bin ich die Schlüsselfigur, nicht wahr?«

»Sei kein Kind.«

»Ihr würdet einen neuen Wirt für den Vorsitzenden suchen müssen. Und dann müßtet ihr mit dem Kalibrieren wieder von vorn anfangen. Du…«

»Hör auf, bitte.«

»Schon gut«, sagt er. »Jedenfalls wäre jeder Versuch, dem Sicherheitsdienst zu entkommen, zum Scheitern verurteilt.«

»Du willst es nicht mal versuchen?«

»Ich werde es nicht mal versuchen.«

Sie mustert ihn längere Zeit schweigend. Dann schlägt sie den Blick nieder und sagt: »Ich sollte darüber Erleichterung empfinden, nehme ich an.«

»Warum?«

»Wenn du nicht die Verantwortung für eine Rettung übernehmen willst, dann brauche ich nicht die Verantwortung für — für…«

»Für das zu übernehmen, was mit mir geschehen wird, wenn ich bleibe?«

»Ja.«

»Das stimmt. Insofern brauchst du keinerlei Schuldgefühle zu haben. Ich bin gewarnt worden, und trotzdem treffe ich aus freien Stücken die Wahl, dazubleiben und mich den Dingen zu stellen, die auf mich zukommen. Du hast die Absolution, Nicki. Deine Hände sind von meinem Blut gereinigt.«

»Verhöhnst du mich, Schadrach?«

»Das zu beurteilen, überlasse ich dir.«

»Ich weiß nie, wann du höhnisch oder ironisch bist.«

»Nun, diesmal nicht«, sagt Schadrach.

Sie starren einander an. Er fühlt noch immer diese seltsame Anziehungskraft, diese groteske und unangemessene Lust. Er vermutet, daß er sie hier und jetzt im Büro haben könnte, wenn er nur die Hand ausstrecken würde. Dann denkt er an Eis und seine Kollegen, wie sie jenseits der abgesperrten Bürotür umhereilen, geschäftig mit ihren Computerberechnungen und Schimpansen, ja, mit ihren simulierten Persönlichkeitsübertragungen in die körperliche Hülle des armen Schadrach Mordechai, und seine Glut kühlt ein wenig ab. Aber nur ein wenig.

Nicki lacht.

»Was gibt es da zu lachen?« fragt er.

»Erinnerst du dich«, sagt sie, »wie wir über die Vorstellung sprachen, daß du und der alte Mann ein einziges Lebenssystem wärt, eine sich selbst berichtigende Einheit zur Informationsverarbeitung? Das war vor dieser ganzen Geschichte. Mangu lebte noch, glaube ich. Ich sprach darüber, wie der Meißel und der Schlegel und der Stein Teilaspekte des Bildhauers darstellen, oder besser, daß der Bildhauer und seine Werkzeuge und Materialien zusammen eine einzige denkende und handelnde Einheit ergeben, eine einzige Person, und wie du und der Vorsitzende…«

»Ja. Ich erinnere mich.«

»Das trifft nun noch mehr zu, nicht wahr? Im buchstäblichsten Sinne. Es is eine seltsame Ironie, finde ich. Dein Nervensystem und das seinige, ineinander verstrickt, nicht zu unterscheiden. Als wir damals sprachen, sagtest du, es sei keine echte Analogie, der alte Mann könne Daten auf dich übertragen, doch du könntest nicht zurücksenden, so daß der Informationsfluß begrenzt sei. Das wird sich nun ändern. Es wird unmöglich sein, zu bestimmen, wo der eine von euch aufhört und der andere anfängt. Aber schon damals wollte ich dir sagen, daß du die Idee nicht richtig begriffen hättest, daß der Marmor kein Bildhauerwerk entwerfen kann, aber nichtsdestoweniger Teil des gesamten Bildhauerwerks ist; und daß du deinem Patienten keine Daten eingeben kannst, aber nichtsdestoweniger Teil seines Gesamtsystems bist. Es gibt ein Zusammenwirken, eine Rückkopplung, die dich mit ihm und ihn mit dir verbindet, es gibt…« Sie hat sehr schnell gesprochen, doch nun hält sie plötzlich inne und sagt in völlig verändertem Ton: »Schadrach, ich kann nicht verstehen, warum du dich nicht verstecken willst!«

»Ich sagte es dir. Weil es nutzlos ist. Ich sage es allen, die mir diesen Rat geben, aber sie scheinen mir nicht glauben zu wollen.«

Er versucht sich selbst als einen Teil dieses Dschingis Khan II. Mao-Gesamtsystems zu sehen und überdenkt die Analogien. Kein Zweifel, seine Empfänger und Signalgeber verbinden ihn auf eine ganz besondere Art mit dem Vorsitzenden. Aber für das Gesamtsystem des Alten ist er nicht mehr und nicht weniger wichtig, als es der Marmorklotz für das gesamte Bildhauersystem ist. Wenn der Bildhauer denkt, daß ein gegebener Marmorklotz für die Bedürfnisse des Gesamtsystems nicht länger notwendig ist, dann kann er ihn jederzeit wegwerfen und einen anderen in das System einführen.

Nicki blickt ihn beschwörend an.

»Wenn du nicht versuchen willst, dich zu retten«, sagt sie, »dann kann niemand sonst etwas für dich tun.«

Sobald er und der Vorsitzende einen Körper miteinander teilen, werden sie wahrhaft eine integrierte Einheit zur Informationsverarbeitung sein. Selbstverständlich benötigt eine solche Einheit nur einen Biorechner, ein Gehirn, einen Verstand, ein Selbst. Doch dieses Selbst wird nicht das Selbst von Schadrach Mordechai sein.

»Ich weiß das«, sagt er. »Wir haben bereits darüber diskutiert. Ich übernehme die volle Verantwortung.«

»Ist es dir denn völlig gleich?«

»Vielleicht. Ich weiß nicht.«

»Schadrach…«

Sie macht eine halb ausgeführte Bewegung, als wolle sie ihn am Arm fassen, eine Art Reflex, um nach einem Ertrinkenden zu greifen. Er weicht zurück. Es ist eine Wand zwischen ihnen, eine undurchlässige Barriere aus Worten und Ängsten, Zweifeln und Schuldgefühlen. Er sucht hinter dieser Wand Zuflucht, aber noch immer ist diese Anziehung zwischen ihnen, diese heiße erotische Spannung. Sie durchbohrt die Barriere, trägt sie ab, durchbricht sie. Die Barriere ist fort, und er liebt sie, haßt sie, begehrt und verabscheut sie. Er macht eine halbe Bewegung auf sie zu und hält inne. Sie sind wie zwei Halbwüchsige, unsicher und ratlos, machen mißlungene Vorstöße und nervöse Rückzüge. Sie scheint wie er die winzigen Veränderungen des Gleichgewichts zu fühlen, die sich in rascher Folge in und zwischen ihnen ereignen. Die Szene hat eine unleugbare Komik, zugleich aber birgt sie eine auf Entladung drängende, wachsende Spannung, die bitterernst, gewalttätig und alles andere als komisch ist.

Und plötzlich kommen sie zusammen, umarmen einander und stehen wie in einem betrunkenen Ringkampf; ihre Lippen finden sich, ihre Finger wühlen sich ins Fleisch. Er ist erschrocken über die Macht des blinden, vernunftlosen Triebs, der in ihm aufbrodelt und keinen rationalen Gedanken neben sich duldet. »Nein«, ächzt er, während er sich schon an sie drängt, an ihren Kleidern zerrt und die Fülle ihrer Brüste unter dem Arbeitsmantel findet. »Nein«, winselt sie, anscheinend genauso bestürzt. Aber keiner von ihnen kann widerstehen. Sie stolpern lächerlich herum, schwanken, fallen schließlich zwischen Schreibtisch und Ablageschrank auf den Teppich.

Sie kleiden sich nicht aus. Runter mit dem Reißverschluß, hoch mit dem Rock; dies ist kein zärtlicher Liebesakt, sondern eine wilde, animalische Paarung, ein triebhaftes Ineinanderkeilen von Fleisch. Seine Hände gleiten über die glatten, festen Säulen ihrer Schenkel, die Finger fühlen den geheimen Spalt dazwischen, schon heiß und feucht, und sie keucht und stößt ihm das Becken entgegen, und blindlings bohrt er sich in sie. Auf dem Boden ist kaum genug Platz für ihre Körper; sie zieht die Beine an, und er greift unter sie, umfaßt ihre Hinterbacken und rammt ihn mit verrückter Energie in sie hinein. Beinahe sofort kommt sie mit ungewohnten kleinen Schauern und kichernden Lauten, und er folgt mit wilden galvanischen Zuckungen, die ihm einen heiseren Aufschrei entreißen, der draußen im Laboratorium wahrscheinlich nicht ungehört bleibt. Dann sinkt er wie ein nasser Sack über sie und schnauft erschöpft in ihrer geduldigen Umarmung, die bereit scheint, ihn noch stunden- und tagelang so festzuhalten, aber nach zwei oder drei Minuten löst er sich von ihr, benommen, bestürzt, kaum glaubend, was eben zwischen ihnen geschehen ist.