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Sie sehen einander an, zwinkern, bemühen sich, die Fassung zurückzugewinnen, lächeln in peinlicher Verlegenheit.

Er rafft sich auf, erhebt sich schwankend, stopft sein erschlafftes feuchtes Glied in den Hosenlatz. Nicki liegt da, die Beine noch ausgebreitet, den zerknitterten Rock hochgeschoben, das Gesicht schweißglänzend. Schadrach wendet den Blick ab; der Anblick ihrer Blöße stößt ihn nicht eigentlich ab, aber irgendwie widerstrebt es ihm, hinzusehen. Vielleicht fürchtet er sich vor der Macht, die diese haarige, feuchte Höhle über ihn hat; jedenfalls bringt er seine Kleider in Ordnung, hüstelt verlegen, bückt sich, um Nicki aufzuhelfen. Aber sie erhebt sich ohne seine Hilfe, und sie stehen einander gegenüber. Er weiß nichts zu sagen. Es ist ein unangenehmer Augenblick, aber sie rettet ihn und sich selbst davor, indem sie seine Hand ergreift und ihm ein warmes, liebevolles Lächeln schenkt, indem sie ihn zu einem leichten, flüchtig seine Lippen streifenden Kuß zu sich zieht, der das Geschehene eingesteht und zugleich den Vorhang darüberzieht. Es ist Zeit, daß er geht.

»Rette dich«, murmelt sie zum Abschied. »Niemand kann es für dich tun.«

»Ich muß noch darüber nachdenken.«

»Dann tue das. Aber nimm dir nicht zuviel Zeit dafür. Ich liebe dich, Schadrach.«

Er weiß, was er darauf erwidern sollte, aber die Worte sind unmöglich. Er drückt ihr statt dessen die Hand und geht rasch hinaus.

19

Er hat seit Tagen erklärt, daß er nicht weglaufen werde. Er hat es zu Cifolia, zu Horthy, zu Nicki, zu Katja und allen anderen wohlmeinenden Freunden gesagt, die seine Untätigkeit nicht verstehen und ihm raten, sich zu retten. Aber schließlich, nach weiteren Tagen qualvoller Unschlüssigkeit, faßt er doch noch den Entschluß, Ulan Bator zu verlassen.

Es ist nicht gerade ein Fluchtversuch, denn an seiner Überzeugung, daß es keine Möglichkeit gebe, sich der Überwachung zu entziehen, hat sich nichts geändert. Er wird nicht versuchen, sich heimlich davonzumachen; er beabsichtigt sogar, den Vorsitzenden von seinem Weggang zu unterrichten. Nein, es ist keine Flucht, es ist mehr wie eine Urlaubsreise. Für seine Entscheidung gibt es zwei unmittelbare Ursachen: einmal die Bemerkung Horthys, daß manche Leute besser denken könnten, wenn sie auf der Flucht sind, und zum ändern Nickis Wiederaufgreifen der Vorstellung, daß er und der alte Mann ein einziges System darstellten: das hat ihn auf eine Idee gebracht. Er weiß nicht, ob und wie nützlich die Idee in der Verwirklichung sein mag, und braucht Zeit, um sie eingehend zu durchdenken. Vielleicht kann er wirklich besser denken, wenn er unterwegs ist. Er wird auf jeden Fall die Hauptstadt verlassen. Er beginnt sich sogar auf die Reise zu freuen, verspricht sich davon Abwechslung und Unterhaltung, vielleicht sogar neue Erfahrungen. Ein zaghafter Optimismus stellt sich ein. Er wird es sich etwas kosten lassen, wird von Kontinent zu Kontinent springen und eine Weltreise machen, die sehr wohl das letzte große Abenteuer seines Lebens werden mag.

Am Abend nach der Entscheidung sucht er den Vorsitzenden auf. Der alte Mann hat sich vom letzten Eingriff erholt, doch sind seine Kräfte noch nicht ganz wiederhergestellt. Er sieht ein wenig fiebrig aus, ein wenig gerötet, und die scharfen, mißtrauischen Augen zeigen einen unnatürlichen Glanz, aber im ganzen ist er gesund, lebhaft und wach. Er hat den halben Tag in seinem Büro gearbeitet und ist noch zu dieser vorgerückten Stunde in Akten und Pläne vertieft. Während Schadrach die gewohnte Untersuchung macht und die verordneten Medikamente zur Einnahme dosiert, kommt der alte Mann wieder auf Mangus Staatsbegräbnis zu sprechen, das wegen der Aortaverpflanzung verschoben werden mußte und im Bewußtsein des Vorsitzenden mehr und mehr zur fixen Idee zu werden scheint. »Fünfzigtausend Mann werden aufmarschieren!« erzählt er Schadrach mit aufgeregt fistelnder Stimme. »Eine Parade der Luftstreitkräfte, Raketen, tausend Fahnen, sechs Militärkapellen! Der Revolutionsrat vollzählig auf der Tribüne, wenn der Katafalk vorbeizieht, gezogen von dreizehn geschmückten Steppenpferden. Folkloregruppen, Bogenschützen, Dämonenbeschwörer. Ein gewaltiger Scheiterhaufen, der von flammenden Pfeilen der Bogenschützen in Brand gesetzt wird. Tausende von Turnern in verschiedenfarbiger Kleidung, die…«Er hält inne. »Sie haben doch nicht wieder etwas gefunden, was Sie mir herausschneiden wollen, oder? Ich kann jetzt keinen weiteren Eingriff gebrauchen. Das Staatsbegräbnis darf nicht ein zweites Mal verschoben werden.«

»Ich sehe keinen Grund, warum es verschoben werden sollte.«

»Gut. Sehr gut. Es soll ein Ereignis werden, an das man sich noch in Jahrhunderten erinnern wird. Wann immer ein großer Mann stirbt, wird man davon sprechen, daß er ein Begräbnis verdient habe, ›so großartig wie Mangus Begräbnis‹. Übrigens werden Sie bei mir auf der Tribüne sitzen, Doktor. Zu meiner Rechten. Ein besonderes Zeichen meiner Gunst, das Sie hoffentlich zu schätzen wissen.«

Schadrach holt tief Atem. Das kann schwierig werden.

»Mit Ihrer gütigen Erlaubnis werde ich zum Zeitpunkt der Trauerfeierlichkeiten nicht in Ulan Bator sein.«

Der alte Mann hebt überrascht die schweren Lider, aber nur für einen Moment. »So?« sagt er.

»Ich möchte für eine Weile fort«, sagt Schadrach. »Die letzte Zeit war sehr anstrengend für mich.«

»Sie sehen tatsächlich blaß aus, Doktor«, sagt der alte Mann trocken.

»Ich bin sehr müde, ja.«

»Ja. Armer Mann.«

»Sie sind seit der Leberverpflanzung viel kräftiger geworden«, sagt Schadrach. »In den kommenden Wochen werden Sie mich nicht mehr jeden Tag benötigen. Selbstverständlich kann ich jederzeit schnell nach Ulan Bator zurückkommen, falls irgendeine Notsituation eintreten sollte.«

Die glitzernden kleinen Augen mustern ihn forschend. Schadrachs Ankündigung scheint den alten Mann kaum zu beunruhigen. Schadrach fühlt sich verunsichert; er hat nicht den Wunsch, unentbehrlich zu sein und die aus Unentbehrlichkeit erwachsende Bürde zu tragen, aber auf der anderen Seite sähe er es gern, wenn der Vorsitzende ihn für unentbehrlich halten würde. Seine einzige Rettung liegt jetzt in der Unentbehrlichkeit.

»Wohin wollen Sie?« fragt der Vorsitzende.

»Darüber habe ich noch nicht entschieden.«

»Sie haben noch keine Vorstellung?«

»Nein. Fort von hier, das ist alles, was ich weiß.«

»Ich verstehe. Und für wie lange?«

»Ein paar Wochen. Höchstens einen Monat.«

»Es wird seltsam sein, Sie nicht in der Nähe zu haben.«

»Dann habe ich Ihre Erlaubnis?«

»Selbstverständlich haben Sie meine Erlaubnis.« Der alte Mann lächelt heiter, sehr zufrieden mit seiner Großzügigkeit. Dann geht plötzlich ein Schatten über seine Züge, die Stirn legt sich in tiefe Falten, und ein düsterer und besorgter Ausdruck kommt in die Augen. »Aber was, wenn ich krank werde? Angenommen, ich erleide einen Schlaganfall. Angenommen, mein Herz versagt?«

»Natürlich kann ich jederzeit sofort zurückkehren, wenn…«