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»Es soll mir erlauben, diese Ventilfunktion zu steuern«, sagt Schadrach.

Zwei Stunden später ist Schadrach in der großen Zimmermannswerkstatt am anderen Ende dieses Vergnügungsparks von Karakorum, umgeben von Stemmeisen und Schlegeln, Hobeln und Sägen, und versucht in das meditative Eingangsstadium einzutreten. Er hat nicht viel Glück damit. Hin und wieder spürt er einen Anflug, die Anfänge eines richtigen Maßes von Konzentration, doch gelingt es ihm nicht, diese Stimmung länger als einen Augenblick festzuhalten. Immer dann, wenn er sich beglückwünscht, daß er endlich den ersehnten Zustand erreicht habe, verliert er ihn wieder. Es ist Buckmasters Schuld. Buckmaster läßt sich nicht aus dem Vordergrund seines Bewußtseins verdrängen.

Ginge es nach Buckmaster, so würde Schadrach jetzt überhaupt nicht in der Zimmermannswerkstatt stehen, sondern schlaff und im Drogenrausch im Zelt der Transtemporalisten liegen, während seine Seele durch die Jahrtausende zurückreiste, um an dem blutigen Ritual auf dem Kalvarienberg teilzunehmen. »Nehmen Sie den Trank mit mir«, bedrängte ihn Buckmaster. »Wir werden gemeinsam die Leidensgeschichte durchleben.« Aber Schadrach wollte nicht. Ein anderes Mal, vertröstete er Buckmaster freundlich. Die transtemporalen Erfahrungen verzehren zuviel Energie; er benötigt seine ganze Kraft für das bevorstehende schwierige Unternehmen. Nachdem er sich bemüht hatte, Buckmaster den Sachverhalt klarzumachen, verstand dieser oder war zumindest bereit, ihm zu verzeihen, daß er die Reise nicht gleich antreten wollte. Und Schadrach verließ das Zelt mit Buckmasters Versprechen, daß er den Entwurf für das neue telemetrische System am nächsten Tag ausarbeiten werde. Und trotz dieses guten Ergebnisses verfolgt Buckmaster ihn noch immer.

Wie verblüffend es war, Buckmasters mönchisches Gehabe von ihm abfallen zu sehen, als er die Implikationen von Schadrachs Vorhaben begriff: sein Atem beschleunigte sich, Farbe stieg ihm in die Wangen, die Augen blitzten in ungeduldigem Interesse. Er stellte hundert Fragen, verlangte Spezifikationen und Leistungsschwellen, Größenangaben und bevorzugte Platzierung im Körper. Es kostete ihm kaum eine halbe Stunde, um das Funktionsschema in großen Zügen zu entwerfen. Für die Ausarbeitung benötige er einen Datenanschluß, sagte er, aber das sei kein Problem: Cifolia könne ihm eine Direktschaltung per Telefon herstellen. Er war Feuer und Flamme, lachte wiederholt laut und durchdringend auf, wenn er sich die Wirkungsweise des neuen Systems vorstellte. Und dann ergriff ebenso unvermittelt eine neue Verwandlung von ihm Besitz. Die weltentrückte Heiterkeit kehrte zurück. Die Probleme der Mikroelektronik waren vergessen; er war wieder ein Mönch, gelassen, in sich gekehrt, erfüllt von frommen Visionen. Und er lud Schadrach ein, mit ihm die Passion Christi zu erleben.

Der arme verrückte Buckmaster.

Bemüht, seinen eigenen inneren Frieden wiederzufinden, nimmt Schadrach einen Hobel auf, legt ihn weg, fährt mit den Fingern über die gekrümmte Klinge eines Schnitzmessers, drückt sich eine Raspel gegen die Stirn. Besser. Ein wenig besser. Die Berührung des kalten Metalls beruhigt ihn. Der arme verrückte Buckmaster wird inzwischen den Trank genommen haben. Und wird auf den Flügeln des Traums davongeschwebt sein, um zu sehen, wie sie die Dornenkrone anbringen, die Nägel einschlagen und die Lanze in den Leib des Gekreuzigten stoßen. Verrückt? Buckmaster ist ein glücklicher Mensch. Er hat einen Platz jenseits allen Schmerzes gefunden, hat die Häscher des Vorsitzenden überlistet. Er ist aus seiner Qual zur Heiligkeit gelangt, und jeden Tag wandelt er mit den Aposteln und dem Erlöser. Für ihn ist das Palästina der Bibel realer als die Gegenwart, aus der er geflohen ist, und wer kann es ihm verdenken? Mehr noch, wer kann daran etwas aussetzen? Schadrach wäre imstande, die gleiche Wahl zu treffen, wenn er könnte. Natürlich wird die Realität früher oder später in Buckmasters Fantasie eindringen: eine Zeit wird kommen — und das schon bald —, da Buckmasters letzte Immunisierung ihre Wirksamkeit verliert, und es wird ihm wahrscheinlich nicht gelingen, eine weitere Dosis aufzutreiben. Aber das bereitet ihm offensichtlich keine Sorgen.

Das Nachdenken über Buckmasters neu gefundenen Seelenfrieden läßt Schadrach selbst einen Abglanz davon zuteil werden. Diesmal gelingt es ihm, die meditative Konzentration zu erhalten und jenen klaren, lichten Ort im Innern zu erreichen, der von keinem Sturm erreicht wird. Buckmaster verschwindet, der Vorsitzende verschwindet, Schadrach verschwindet. Stundenlang arbeitet er ruhig und erfüllt an seiner Werkbank, völlig eins mit seinem Werkzeug, seinem Holz. Als er spät am Tag die Werkstatt verläßt, ist er in einem Zustand, der an Ekstase grenzt.

Eine Stunde nach Dunkelwerden trifft er in Ulan Bator ein. Als erstes ruft er Katja Lindman an.

»Ich möchte dich sprechen«, sagt er.

»Ich hoffte, du würdest anrufen. Ich hatte von deiner Rückkehr gehört.«

Sie treffen sich im Kasino, einem Gemeinschaftsraum im Kantinenbetrieb, der von Regierungsangestellten der mittleren Kategorie bevorzugt wird. Es gibt Tische mit Bedienung, und der allgemeine Lärm ist gewöhnlich so, daß man ohne Furcht vor Abhörgeräten sprechen kann. Die Decke des Saals ist mit lang herabhängenden Schriftbändern aus goldglänzender Metallfolie dekoriert, die sich sanft in den Luftströmungen bewegen. Ein riesiges Porträt des Vorsitzenden beherrscht die Ostwand, während die Wand gegenüber den etwas kleineren Konterfeis berühmter Revolutionshelden der Vergangenheit vorbehalten ist.

Das erste, was sie sagt, nachdem sie einen freien Tisch gefunden und sich gesetzt haben, ist: »Ich habe nicht geglaubt, daß du jemals zurückkommen würdest.«

»Ich hatte nie die Absicht, unterzutauchen. Ich wollte nur für eine Weile aus allem herauskommen und Zeit haben, mir eine Strategie auszudenken.«

»Und ist dir das gelungen?«

»Ich hoffe es. Bald werde ich es genauer wissen.«

»Ich werde dich nicht mit Fragen behelligen.«

»Dafür bin ich dir dankbar.«

Sie lächelt. »Es freut mich, daß du wieder da bist. Nur mache ich nur Sorgen wegen der Gefahr, in der du schwebst.«

»Wenn ich mir keine Sorgen mache, warum solltest du?«

»Das brauche ich nicht zu beantworten.« Sie beugt sich vor und blickt ihm forschend in die Augen. »Ich habe dich vermißt, Schadrach. Es erstaunte mich, wie sehr ich dich vermißte. Aber du hast es nicht gern, wenn ich so etwas sage, nicht wahr?«

»Wie kommst du auf die Idee?«

»Deine Miene. Du machst ein so unbehagliches Gesicht. Aus meinem Mund magst du keine sanften Worte hören. Du meinst, zu einem forschen, scharfen Typ wie mir paßt das nicht.«

»Ich bin es einfach nicht gewohnt, dich von der Seite zu sehen. Sie ist mir nicht vertraut.«

»Wahrscheinlich gefällt es dir nicht einmal, daß ich in einem Kleid gekommen bin. Aber wenn du willst, kann ich wieder die andere Katja sein und mir den Labormantel überziehen.«

Es hört sich beinahe an, als meine sie es ernst.

Er nimmt ihre Hand. »Hör auf damit«, sagt er. »Du siehst gut aus.«

»Danke.«

Sie entzieht ihm die Hand.

»Wirklich. Ich hätte es gleich sagen sollen, nicht wahr? So geht das Spiel. Und nun mußt du sagen…«

»Wir sollten einander nichts vorspielen, Schadrach. Einverstanden?«

»Einverstanden. Hast du dieses ausgeschnittene Kleid für mich angezogen, oder für dich?«

»Für uns beide.«

»Ah. Einfach, weil es dir Spaß machte, nicht? Weil dir danach war, als femme fatale zu erscheinen. Richtig?«

»Richtig«, sagt sie. »Was dagegen?«

»Nein, warum?«

»Ist es erlaubt, dir zu sagen, daß ich dich vermißt habe? Du solltest mich nicht zwingen, eine Art von Maschine zu sein, Schadrach. Erwarte nicht, daß ich immer dem Bild gleiche, das du dir von mir machst. Ich verlange nicht, daß du mir sagst, du hättest mich vermißt. Aber gib mir das Recht, auszudrücken, was ich empfinde. Gib mir das Recht, gelegentlich albern zu sein, sentimental oder inkonsequent, wenn mir danach ist. Ohne dir gleich Gedanken zu machen, welches nun die richtige Katja sei. Ich bin immer die richtige Katja, wer immer ich im Moment sein mag. War?«