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»Anästhesie«, sagt Warhaftig.

Der Anästhesiearzt steuert von seiner Konsole aus den gelenkigen Metallarm des UltraschallAkupunkturgeräts über den Körper des Vorsitzenden und manövriert den spitz zulaufenden Ultraschallkopf minutiös an Ort und Stelle. Sobald er den Akupunkturpunkt des neuralen Energieleiters gefunden hat, läßt er den scharf gebündelten Ultraschallstrahl in den entspannten, bewegungslosen Körper stoßen. Keine Akupunkturnadel verletzt die Haut des alten Mannes. Warhaftig überprüft mit Hilfe angehefteter Hautelektroden die Reaktionen des Patienten, berät mit dem Anästhesiearzt, prüft wieder, bittet Mordechai um eine Ablesung, unternimmt einen neuen Versuch mit erhöhter Spannung, und diesmal bleibt das schmerzliche Zusammenzucken aus. Der Vorsitzende erlaubt nicht, daß ihm eine allgemeine Anästhesie verabreicht wird — der Verlust des Bewußtseins ähnelt zu sehr dem Tod —, und Warhaftig lehnt alle chemischen Anästhesiemethoden ab, so daß Akupunktur für Arzt und Patient die geeignete Methode ist. Noch immer bei vollem Bewußtsein und beängstigend munter, kommentiert der Patient seine zunehmende Fühllosigkeit.

Schließlich stimmen Warhaftig und der Anästhesiearzt darin überein, daß der Prozeß abgeschlossen sei.

»Wir fangen jetzt an«, erklärt der Chirurg.

Die Helligkeit der Beleuchtung schwankt, als alle chirurgischen Geräte und unterstützenden Systeme gleichzeitig eingeschaltet werden. Zur Linken vom Chirurgen steht die Maschine mit der Ersatzleber, die das Blut des Patienten abpumpt und durch die Dialysefilter drückt. Zur Rechten wartet die neue Leber, die seit ihrer Entnahme vom Spender in einer geeisten Salzlösung gelagert worden ist und nun von warmer Flüssigkeit auf Körpertemperatur gebracht wird. Warhaftig überprüft ein letztes Mal sein Laser-Schneidgerät, dann setzt er es an, und der feine, blendende Lichtstrahl schneidet eine dünne rote Linie in den Unterleib des Patienten, der völlig bewegungslos bleibt. Der Chirurg wirft dem Leibarzt einen fragenden Blick zu. Schadrach nickt.

Warhaftig schneidet mit geschickten, energischen Bewegungen tiefer. Während eines jeden Schnitts bringt ein Assistenzarzt Stahlklammern an, mit denen die Wundränder auseinandergezogen werden. Der Vorsitzende verfolgt die Anfangsphasen mit angespannter Aufmerksamkeit, ohne den Chirurgen mit Fragen zu behelligen. Doch als seine inneren Organe bloßgelegt werden, wendet er den Kopf ab und starrt zur Decke empor. Vielleicht findet er den Anblick seiner Eingeweide erschrekkend oder abstoßend, aber vielleicht ist er nur gelangweilt, nachdem er so viele Male aufgeschnitten worden ist.

Nun ist die dunkle, kranke Leber sichtbar, schwer, schwammig, fleckig. Warhaftig klemmt mit geschickten Fingern die Arterien und Venen ab, dann durchschneidet sein Laserskalpell die Pfortader, die Leberarterie, die untere vena cava, das ligamentun teres, und den Gallenleiter. »Das war’s«, murmelt er und hebt des Vorsitzenden dritte Leber aus der Bauchhöhle. Die vierte wartet in unmittelbarer Nähe, groß, plump und gesund.

Nun beginnt der schwierigste Teil der Operation. Jeder Metzger kann einen Einschnitt machen, aber nur ein Künstler kann Adern vernähen. Warhaftig verwendet dazu ein anderes Lasergerät, eines, das verschweißt, statt zu schneiden. Langsam und sorgfältig, ohne Zeichen von Ermüdung oder Nervosität zu zeigen, schließt er die stillgelegten Arterien, die Venen und den Gallenleiter an die neue Leber an. Der Patient liegt schlaff da, beinahe wie in Vollnarkose, die Augen glasig, mit halboffenem Mund. Schadrach hat diese Reaktion schon des öfteren gesehen und versteht sie gut; sie ist weder ein Anzeichen von Erschöpfung noch von Schock, sondern nicht mehr als eine Art Yogaübung, mit deren Hilfe der Vorsitzende sich von der langwierigen und nervenbeanspruchenden Operation ablöst. Seine Funktionssignale kommen noch immer gleichmäßig und unvermindert, wobei im Enzephalogramm der Alpharhythmus vorherrscht.

Warhaftig arbeitet unablässig. Die neue Leber ist angeschlossen. Der Puls des Patienten steigt und muß berichtigt werden, aber das ist eine Erscheinung, die nicht unerwartet kommt. Nachdem er die neue Leber in der Bauchhöhle untergebracht hat, gewissenhaft und bedächtig, fügt der Chirurg Bauchfell, Muskelschichten und Haut wieder zusammen. Die Nähte sind makellos und werden nur minimale Narben zurücklassen. Nun ist die Bauchdecke geschlossen. Warhaftig tritt zurück, kühl und selbstzufrieden, und wirft einen letzten Blick auf die Ablesungen der Körperfunktionen, bevor er sich abwendet. Die Verpflanzung hat genau fünf Stunden in Anspruch genommen. Schadrach beugt sich vorwärts, um das Gesicht des alten Mannes zu betrachten. Er scheint zu schlafen; die Gesichtsmuskeln sind entspannt, die Augen ruhen, die schmächtige Brust hebt und senkt sich gleichmäßig.

Aber nein, Schadrachs Schatten scheint dem Bewußtsein des Patienten nicht entgangen zu sein, denn die dünnen Lippen verziehen sich zu einem frostigen Lächeln; das linke Auge öffnet sich und zwinkert ihm unverkennbar zu.

»Nun, damit hätten wir wieder eine überstanden«, sagt Dschingis Kahn II. Mao mit klarer Stimme.

5

Am frühen Abend, nachdem die Tagesarbeit getan ist und er sich seiner hippokratischen Pflichten entledigt hat, geht es ab nach Karakorum, dem Vergnügungspark des Volkes, der jedoch längst zum Amüsierzentrum für privilegierte Funktionäre aus Regierung und Partei geworden ist.

Schadrach holt Nicki Crowfoot drei Stunden nach der Operation in ihrem Laboratorium ab, das in einem Anbau eines Regierungspalastes untergebracht ist. Es ist ein weitläufiger Raum mit grün gestrichenen Wänden und voller Käfige mit unglücklichen Versuchstieren, der Alptraum eines Zoo, mit verrückt gewordenen Tieren, krähenden Bussarden, miauenden Hunden und schwanzwedelnden Katzen. Wo keine Käfige sind, breiten sich Labortische, Regale mit Unmengen von Reagenzgläsern und Flaschen aus, elektronische Geräte und Speichereinheiten. Es riecht nach Tieren, Lysol, Formaldehyd, Äthylalkohol, Mäusedreck und den Dämpfen von Bunsenbrennern. Die meisten Mitarbeiter des Avatara-Projekts sind für den Tag nach Haus gegangen, aber Crowfoot, angetan mit einem grauen Laborkittel und ausgetretenen Sandalen, arbeitet noch an einer fünf Meter langen Anhäufung von Rechnereinheiten, Eingabestationen, Bildschirmen und Tonbandgeräten, als er hereinkommt. Sie steht mit dem Rücken zur Tür und beobachtet pyrotechnische Ausbrüche von Grün, Blau und Rot auf dem Schaubild eines großen Oszilloskops. Schadrach nähert sich leise von hinten, schiebt die Hände unter ihren Armen durch und faßt ihre Brüste durch den Kittel. Bei der ersten Berührung fährt sie erschrocken zusammen, und er fühlt, wie ihr Rücken sich versteift, doch dann entspannt sie sich und dreht nicht einmal den Kopf.

»Idiot«, sagt sie, doch in ihrer Stimme ist nur Zärtlichkeit. »Lenk mich nicht ab. Ich habe hier eine dreifache Simulation. Das grüne Band ist das Persönlichkeitsbild des Vorsitzenden, und das blaue darüber ist unser Persönlichkeitskonstrukt vom April, und…«

»Das kannst du alles wegschmeißen. Der Vorsitzende ist auf dem Operationstisch gestorben, als wir ihm die Leber herausholten. Seit einer Stunde toben die Kämpfe um seine Nachfolge. Die Stadt…«

Sie windet sich in seiner Umarmung, dreht sich um und starrt ihn entsetzt an.

»… steht in Flammen, und wenn du genau hinhörst, kannst du die Explosionen hören, wo die Statuen in die Luft gesprengt werden…«

Sie sieht seinen Gesichtsausdruck und fängt an zu lachen. »Du bist wirklich verrückt! Mich so zu erschrecken!«

»Tatsächlich geht es ihm ausgezeichnet, obwohl Warhaftig die neue Leber mit der Oberseite nach unten hineingetan hat.«

»Hör auf, Schadrach.«

»Also gut. Er ist wirklich in guter Verfassung. Er hat sich zehn Minuten zur Erholung ausgebeten, und nun ist er im Tagungsraum des Revolutionsrates und vollführt mit den übrigen Mitgliedern einen mongolischen Säbeltanz.«