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Also blieb er dicht am Grat, schlich den Pfad entlang und spähte dabei den Hang hinab ins Obertal, wo die Alten auf ihrem Weg nach unten nach wie vor deutlich zu erkennen waren. Hier gab es viel offenen, felsigen Grund, nur unterbrochen von den Bäumen am Bach und ein paar vereinzelten Wäldchen auf den Talseiten. Hier und da waren am Hang ein paar Wiesen und Gesträuche in die Landschaft gesprenkelt.

Auf der anderen Seite befand sich direkt unterhalb des Grats eine niedrige Felswand, darunter der lange, bewaldete Hang des Untertals. Da Eistaucher sich so weit oben unsicher fühlte, heimgesucht von etwas, das er nicht sehen konnte, änderte er seine Pläne erneut: Er beschloss, die erste Rampe hinabzulaufen, die die Felswand durchschnitt und auf der er ins Untertal gelangen konnte. Von dort würde er talabwärts gehen, sodass er eine Biegung flussabwärts vom Steinbison auf den Strom treffen würde. Dann konnte er am Fluss entlang ins Lager zurückkehren. Heute Nacht war ohnehin nicht Vollmond, aber es war die letzte Nacht davor, wenn er sich nicht irrte. Er musste also nur noch einen guten Unterschlupf finden, und er kannte eine kleine Höhle auf der anderen Seite des Flusses. Dort konnte er die Nacht verbringen. Die Alten waren im Obertal, und er würde im Untertal sein. Das war gut.

Wolken tauchten am Himmel auf, als die Sonne unterging, nach innen gekrümmt wie Farnspitzen, das Weiß rosa verfärbt vor dem blauen Pulsieren des Himmels. Als das Sonnenlicht erlosch, stand der Mond bereits groß und leicht gerötet im Osten. Auf der linken Seite war er etwas blasser als auf der rechten, oder zumindest hatte Eistaucher diesen Eindruck. Das machte ihm Sorgen: Es war schon vorgekommen, dass Jungen eine Nacht zu früh von ihrer Jägerwanderschaft zurückgekehrt waren, wodurch sie den Eindruck erweckt hatten, schnell wieder nach Hause zu wollen. Man hatte sie ausgelacht. Andererseits war Moos, indem er eine Nacht zu spät heimgekehrt war, übervorsichtig erschienen. Das Problem war, dass nicht jeder Vollmond gleich aussah: Mal war er etwas größer und mal etwas kleiner, und auch sein Schein veränderte sich leicht, sodass der makellose Ring aus hellem Licht, der ihn umgab, manchmal erst um Mitternacht auftauchte, anstatt sich sofort nach Sonnenuntergang zu zeigen. Noch schlimmer war, dass dieser leuchtende Ring manchmal erschien, kurz bevor der Mond sich im Osten erhob. Man konnte sich also vertun, selbst wenn man genau aufpasste.

In dieser Nacht schwoll und schrumpfte der dicke, helle Mond mit jedem Herzschlag, sprang mit jedem Blinzeln, stand aber jederzeit riesig und leuchtend am Himmel. In seinem Licht konnte Eistaucher jede Einzelheit am Grunde des Untertals erkennen, obwohl alles ein mondweiß bestäubtes Grau-in-Grau war. Es lag unter ihm wie ein Geisterschatten der Tagwelt, Mutter Erde in all ihrer Schönheit, und schwebend blickte er hinunter, sah, wie das Mondlicht dort, wo keine Eisdecke war, auf den bloß liegenden, schwarzen Kräuselungen des eisigen Flusses schimmerte. Die Felswände schienen aus sich heraus zu leuchten, und doch waren ihre Schatten kohlschwarz und verliehen der Landschaft ein entschieden gemeißeltes Aussehen, als sei die Große Schlucht mit einer riesigen, scharfen Klinge in die Landschaft gekerbt worden. Ah, das Mondlicht!

Er erreichte einen Punkt auf dem Höhenzug, von dem aus er in die große Schleife hinabschauen konnte, die der Fluss stromabwärts ihres Lagers zog. Sie hatte genau die gleiche Form wie die, in der sich ihr Lager befand, aber in ihr floss noch Wasser, während sich das Flussbett bei ihrem Lager in eine grasbewachsene Senke verwandelt hatte. Eistaucher erkannte, dass ein weiterer Steinbison sich über den Strom spannen würde, sobald das Wasser die stromaufwärts gelegene Biegung durchbrochen hatte, während die Schleife selbst austrocknen und sich ebenfalls in eine Wiese verwandeln würde. Der gekrümmte Lauf, den das eisige Wasser auf dem Weg vom Schatten ins Mondlicht nahm. Es gab leise, nasse Laute von sich, die bis hier oben zu hören waren. Selbst jetzt, wo der Fluss noch größtenteils vereist war, sang er sich selbst etwas vor. Schwarze Spuren zogen sich wie lange, schmale Teiche über die weiß schimmernde Fläche. Manche sahen aus, als lägen sie höher als das Eis, andere waren schwarze Löcher in weißem Hermelin.

Im Schatten unter den Erlen an der Uferkrümmung fiel ihm eine Bewegung ins Auge. Es sah aus wie ein Mensch, aber als es ins weiße Mondlicht trat und sich ans verschneite Flussufer stellte, erkannte Eistaucher, dass es einen Tierkopf hatte, dunkel und rund: riesige Eulenaugen über einer katzenartigen Schnauze, Hörner, gewunden wie die eines Steinbocks … etwas Derartiges hatte Eistaucher noch nie gesehen, und der Anblick ließ ihn leicht schwindeln. Die Augen waren eindeutig Eulenaugen, groß und rund; damit blieb diesem Wesen sicher nichts verborgen. Eistaucher erstarrte, den Rücken an einen Baum gepresst, in der Hoffnung, mit dessen schwarzem Umriss zu verschmelzen. Aber das Ding starrte direkt zu ihm hoch und hielt den Blick weiter auf ihn gerichtet, während es stromaufwärts am Ufer entlangschritt. Es hob den rechten Arm, und er sah, dass es eine Pfote als Hand hatte, eine Katzenpfote; und es hatte einen Löwenkopf, jetzt sah er es, aber mit Eulenaugen und mit Hörnern, die sich um Katzenohren wanden. Die Ohren waren aufgestellt und ihm zugekehrt, sie lauschten seinem Herzen, das ihm bis zum Hals schlug. Dann verschwand das Geschöpf in den Schatten der Felswand.

Unwillkürlich war Eistaucher zurückgewichen, in Richtung des Grats. Das Entsetzen hatte ihm die Kehle durchbohrt wie ein Speer; er konnte kaum atmen, und ihm war am ganzen Leib heiß. Mit einem Mal musste er dringend scheißen, ein Steppentier, das sich für die Flucht bereit machte. Er kniff die Hinterbacken zusammen und verkrampfte seine Eingeweide.

Dann wandte er sich wimmernd ab und rannte mit leerem Kopf los, blindlings und ohne seine Beine zu spüren. Es war außerordentlich gefährlich, so durch die Nacht zu fliehen, aber ich konnte ihm nicht helfen; in jenem Moment des Entsetzens gab es für mich keine Möglichkeit, in sein Inneres durchzudringen.

Durch Zufall fand er sich erneut auf dem Pfad am Hang wieder. Er hielt inne, weil er einfach nicht mehr konnte. Keuchend blickte er sich um, voller Angst davor, was er vielleicht sehen würde. Und er fürchtete sich zu Recht: Da war der Löwenmensch mit den Eulenaugen wieder, doch nun befand er sich weiter oben auf dem Grat, als habe er Eistaucher im Flug überholt. Mit einem blökenden Schrei drehte Eistaucher sich um und humpelte hangabwärts. Er war noch immer zu Tode erschreckt, aber nun hatte er zu sich zurückgefunden und spürte den Schmerz im linken Bein. Schluchzend rannte er weiter.