Er betrat das Lager, und im letzten Moment wurde ihm klar, dass er sich nicht angekündigt hatte und die anderen vielleicht erschrecken würde, also stieß er den leisen Tuut-tuut-Ruf aus, den seine Namensvettern von sich gaben, wenn sie nach einem Tauchgang wieder an die Oberfläche kamen und ihre Freunde suchten.
Seine Leute hörten ihn und brachen in Jubel aus. Die Männer heulten wie Wölfe und kamen hervor, um ihn zu begrüßen. Breit grinsend riefen sie seinen Namen. Eistaucher ließ Ständer fallen, und sie hoben ihn auf und trugen ihn auf den Schultern ans Feuer. Eistaucher war froh, dass er längst leer geweint war; er war voll und zugleich leer, konnte sie alle mit einem gelassenen kleinen Lächeln beobachten. Es war ein großes Freudenfeuer. Alle Frauen und Mädchen und Jungen riefen seinen Namen und umarmten ihn nacheinander, ununterbrochen wurde er von vielen Händen berührt, und die Frauen behängten ihn mit ihren schönsten Pelzmänteln.
Selbst Heide lächelte für einen Moment, bevor sie den zahnlosen Kopf einzog und davoneilte, um mit einer Schüssel heißem Fichtentee und einigen kleinen Honigkörnerküchlein zurückzukehren.
— Iss nicht zu schnell zu viel, warnte sie ihn und klang dabei wie gewöhnlich. — Wie hast du dich da draußen geschlagen, geht es dir gut?
— Ich habe mir den Knöchel verstaucht, gab er sofort zu. — Irgendwas ist damit immer noch nicht in Ordnung.
— Ah. Sie warf Dorn einen bösen Blick zu. Von den Wanderschaften der Männer hielt sie genauso wenig wie von allen anderen unnötigen Risiken.
Dorn beachtete sie nicht. Er war selbst damit beschäftigt, Eistaucher eingehend zu mustern. Seine Miene war undurchschaubar, und Eistaucher wandte sich den anderen zu. Doch dann kam ihm das falsch vor. Es erinnerte ihn zu sehr an früher. Er wollte nicht in seine alten Gewohnheiten des Rudellebens zurückfallen, vor allem nicht, was Dorn betraf. Obwohl er sehr erleichtert war, wieder hier unter den anderen zu sein. Was war das wohl für ein Leben als Waldmann oder Reisender, wenn man Tag und Nacht gejagt wurde, niemals in seiner Wachsamkeit nachlassen und mit niemandem reden konnte?
— Erzähl uns davon!, riefen alle durcheinander. — Erzähl uns, was du getan hast, was dir widerfahren ist!
— Wartet einen Moment, sagte er und kehrte in die Gegenwart am Feuer zurück, überwand etwas, was ihm wie ein gewaltiger Abgrund an Zeit vorkam. Es war schwer. Er musste sich sammeln. Da waren so viele Gesichter, und jedes kannte er so gut wie die eigene Handfläche.
— Tja, in der ersten Nacht, bei dem Unwetter, habe ich kein Feuer in Gang bekommen.
Sie stöhnten und lachten, als sie das hörten.
— Also musste ich die ganze Nacht lang tanzen, um mich warm zu halten.
— Ach, so ein Pech! Viele Männer lachten ihn aus, und viele lachten mit ihm. — Ich hasse es, wenn das passiert!
— Am nächsten Tag habe ich dann ein Feuer in Gang bekommen. Er holte tief Luft, und als die anderen das sahen, verstummten sie, und alle Blicke richteten sich auf ihn:
— Und bei diesem Feuer blieb ich drei Tage.
Und einige der Männer und auch Heide nickten mit aufgerissenen Augen. Eistaucher warf immer wieder Blicke in Salbeis Richtung, denn vor allem ihr erzählte er seine Geschichte, ihr und Heide und natürlich Dorn:
Die letzten Worte richtete er direkt an Dorn, doch der schüttelte den Kopf. — Davon kannst du mir später erzählen, sagte er. — Das ist Schamanensache.
— In Ordnung, sagte Eistaucher. Obwohl das Folgende die bei Weitem herausragende Nacht seiner Wanderschaft gewesen war und eine gute Geschichte abgegeben hätte. Er beschloss, sie später zu erzählen. Jetzt war kein guter Zeitpunkt, um sich dem Alten zu widersetzen. Oder vielleicht doch?
Eistaucher überlegte. Aber ja, jetzt erkannte er, worum es Dorn ging. Er wollte nicht erzählen, welche Angst er vor dem Ding am Flussufer gehabt hatte; er hätte es ohnehin nicht vermitteln können, also hätte er auf die eine oder andere Art lügen müssen. Und bislang hatte er nicht gelogen.
Er sah, dass Dorn ihn genau beobachtete, um festzustellen, ob er begriff, warum er über das Ding in der Nacht schweigen sollte und über sein Entsetzen; er wollte sehen, ob Eistaucher sich verändert hatte oder nicht, und wenn ja, in welcher Weise. Aber nicht nur Dorn konnte eine versteinerte Miene aufsetzen, und so erwiderte Eistaucher seinen Blick einfach, glücklich über die Wärme des Freudenfeuers und den Anblick von Salbei dort im Feuerschein. Noch immer schien alles um ihn herum auf und ab zu hüpfen, zu erblühen und in den Himmel davonfliegen zu wollen, und nun sprangen auch die Menschen des Wolfsrudels, von ihrem inneren Feuer in Brand gesetzt, auf und ab, und jedes Gesicht spiegelte in vollkommener Weise den Charakter seines Besitzers wider, quoll über von dem jeweiligen Selbst, und er war wieder unter ihnen; und obwohl das Ärger mit sich brachte, war es die beste Art von Ärger, die es gab.
Selbst die reizbare Heide war froh, ihn wiederzuhaben, das sah er ihr an, und einmal, als sie bei einer ihrer ständigen Besorgungen nah am Feuer vorbeikam, streckte er einen Arm aus, um sie festzuhalten und sie an sich zu ziehen, weil sie die Einzige war, die ihn nicht umarmt, sondern ihn nur an der Hand berührt hatte. — Ich habe es geschafft, sagte er.
— Ja, ja, du hast es geschafft, antwortete sie und drückte ihn kurz an sich, bevor sie weiterging. — Jetzt bist du zwölf.
Zweiter Teil
Die Wölfe daheim
3
In der kühlen Morgendämmerung erwachte Eistaucher unter einer Decke von Ascheflocken. Sein Mund war ausgetrocknet, und er hatte Kopfschmerzen. Seine Wanderschaft war vorbei, und er war wieder bei seinem Rudel. Dorn stöhnte und rief nach Wasser. Die grauen Zöpfe, aus denen in alle Richtungen abgebrochene Haare herausstaken, hingen dem alten Mann übers dunkle Gesicht. Er öffnete die Augen, die rot und verklebt waren. Misstrauisch starrte er Eistaucher an; anscheinend fragte er sich noch immer, was ihm auf seiner Wanderschaft widerfahren war. Eistaucher entschied, dem Alten niemals davon zu erzählen. Seine Wanderung gehörte ihm allein. Erst jetzt verstand Eistaucher eines von Heides Sprichwörtern: Niemand anders kann dein Leben für dich leben. Er spürte die Einsamkeit in diesen Worten, die Verlassenheit. Eine weitere Lektion seiner Wanderschaft.