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Dorn stieß ein Knurren aus, als sähe er Eistaucher an, dass dieser etwas verschwieg, und missbillige es. Dann schnaubte er wie ein Nashorn und kroch durch das Lager zur Sonnenaufgangsseite, wo Heide ihr Nest hatte. All ihre Sachen waren um sie herum auf Holzborden verstaut, die einen hübschen kleinen Windschutz bildeten. Dort drin befand sie sich jetzt, und als sie Dorn sah, erhob sie sich im Eingang, um ihm den Weg zu versperren. Dorn griff zwischen ihre Beine nach ihrem Wasserkürbis, aber sie trat ihm gegen den Unterarm.

— Ich spreche nicht mit Unaussprechlichen, sagte sie, — aber jeder weiß, dass man sich von meinem Nest fernhalten sollte.

— Ich möchte nur etwas Wasser, jammerte er.

— Niemand rührt meine Sachen an. Man hält sich von meinem Nest fern. Ich habe alles mit Gift bestäubt, von dem man krank wird. Jeder weiß das.

Dorn blieb geschlagen liegen. — Eistaucher, sagte er. — Hol mir bitte einen Eimer Wasser. Du hörst ja, was Heide sagt.

— Hol ihn dir selbst, sagte Eistaucher. — Ich bin nicht mehr dein Lehrling.

— Du bist gerade erst mein Lehrling geworden, hast du das nicht mitbekommen? Tu, was ich dir sage, und werd nicht unverschämt. Er warf Eistaucher einen herrischen Blick aus seinen roten Augen zu. — Das ist es, was deine Wanderschaft dich hätte lehren sollen.

Eistaucher kramte in einer Netztasche nach seinen richtigen Kleidern, die Heide für ihn aufbewahrt hatte. — Sie hat mich gelehrt, dass ich nicht dein Lehrling bin.

Aber in Wirklichkeit war er natürlich genau das. Es sei denn, er gab den Weg des Schamanen endgültig auf, und dann würde er wahrscheinlich auch das Rudel verlassen müssen. Dorns höhnischer, rotäugiger Blick machte ihm das nur allzu deutlich.

Eistaucher zog sich an und stapfte durchs Lager, um Arbeiten für den alten Zauberer zu erledigen. Er fühlte sich, als hätte er sich in einer Schlinge verfangen, obwohl er gewarnt gewesen war. Er konnte förmlich zusehen, wie er in die Falle tappte, und ihm wurde ganz schlecht davon. Manchmal war der Morgen nach einer großen Nacht so, ein Schlachtfest, auf das die Raben schissen, Sonnenlicht, das einem in die Augen stach, das Lager voll schmutziger Asche, die Menschen widerwärtig. An einem solchen Morgen verschwand man am besten schnellstens aus dem Lager, ging hinunter zum Fluss und sprang ins Wasser.

Also tat Eistaucher genau das. Die einzige eisfreie Stelle war über Nacht zugefroren, aber die dünne, durchsichtige Schicht ließ sich leicht aufbrechen. Welch ein Genuss es war, sich ins sandige, seichte Wasser gleiten zu lassen, sich abzureiben, bis das eiskalte schwarze Nass ihn frösteln ließ, und dabei die ganze Zeit zu wissen, dass das Lagerfeuer ihn wieder aufwärmen würde und dass seine Kleider gleich am Ufer lagen. Ah, welch ein Genuss, zu Hause zu sein!

Abgesehen von den Leuten. Obwohl er sich am vorangegangenen Abend wirklich sehr darüber gefreut hatte, sie zu sehen. Leute sind eher Wölfe als Vielfraße, Leute sind eher Löwen als Leoparden, weil sie in Rudeln unterwegs sind. All ihre Gesichter im Flammenschein zu sehen: Er durfte nicht vergessen, wie sich das anfühlte, wie intensiv und tröstlich dieses Gefühl war. Warum war es so schnell wieder verflogen? Es gab so viel, was er von seiner Wanderschaft nicht vergessen durfte. Man würde ihn auffordern, den Rest zu erzählen, was er nicht tun würde; doch erinnern musste er sich. Seine Wanderschaft gehörte ihm, sie war sein Besitz. Und sie hatte ihn einiges gelehrt. Zumindest, wenn er seine Lektionen nicht vergaß. Schon jetzt kam sie ihm vor wie ein lange zurückliegender Traum.

Er humpelte den Hang des Gewundenen Bergs hinauf zu der flachen Stelle, von der aus ein Sims bis zum Schwanz des Steinbisons verlief. Es war ein guter Aussichtspunkt, von dem aus man nicht nur die Große Schlucht in beide Richtungen überblicken konnte, sondern auch die Gewundene Au bis zum grauen Höhenzug dahinter. Dort unten, unterhalb einer kleinen Balme, schmiegte sich ihr Lager an den Fels.

Von hier sah es klein wie ein Kinderspielzeug aus. Das Rudelhaus war ein ordentliches rundes Ding aus Fichtenstämmen und Tierhäuten, mit einem Loch oben im Dach, aus dem Rauch aufstieg. Noch immer kamen Leute herausgetaumelt, benommen vom Tageslicht oder vielmehr von der vorangegangenen Nacht. Im Eingang des Frauenhauses saßen wie immer Gams und Blauhäher. Eistauchers Freunde Falke und Moos schliefen noch zwischen ihren Fellen, auf der Rampe unter der Balme. Da waren Dorn und Heide, und am anderen Ende des Lagers Schiefer und Steinbock, die Holz auf das große Lagerfeuer legten. Eistaucher war mit allen dort unten so vertraut, dass er sie auf jede Entfernung, selbst wenn sie kaum mehr als kleine Punkte waren, erkennen konnte. Und er konnte auch sehen, was sie wahrscheinlich gerade taten und was sie sagen würden, wenn man sie ansprach. Es war zum Schreien.

Heide hielt ihr Blasrohr auf Dorn gerichtet. Ihre Pfeile waren in Gift getunkt, das einen innerhalb weniger Herzschläge töten konnte. Dorn hatte die Hände erhoben, beschimpfte sie aber offenbar wütend. Seine Worte konnten ebenso giftig sein wie ihre Pfeile. Bei den großen Festen hatte er schon Leute zu Tode geflucht.

Eistaucher sah zu ihnen hinab, als beobachtete er ein fremdes Rudel. Rauch stieg auf, und die Leute saßen futternd in der Morgenkälte. Während er auf Wanderschaft gewesen war, hatte er sich nach Hause zurückgewünscht, und jetzt wollte er wieder auf Wanderschaft sein. Aber natürlich, hätte Heide zu ihm gesagt, wenn er ihr davon erzählt hätte. Man will immer nur das, was man nicht hat. Bei Dingen, die man hat, vergisst man, dass man sie will. Darin liegt unsere Dummheit.

Das Lager war aufgebaut wie fast alle Balmen-Lager, die Eistaucher bisher gesehen hatte. Allerdings gab es oft sogar noch bessere Felsüberhänge als den ihren. Viele befanden sich stromauf- und abwärts an den Schluchtwänden der Urdecha, andere an Flussläufen im Westen und Süden. Die Felswände, vor denen diese Lager errichtet waren, waren normalerweise bemalt, so auch bei ihnen. Vom Steinbison aus gesehen waren die Malereien winzig, ein Gewirr roter und schwarzer Punkte. Eistaucher konnte gerade so das lange Band gemalter Wölfe bei der Jagd erkennen, etwa vier Dutzend, die einander im Lauf Richtung Lager überlappten. Sie waren das Wolfsrudel. In diesem Frühjahr waren sie zwei Dutzend und zwei.

Schiefer stand am Feuer und erzählte Steinbock etwas. Schiefer war breitschultrig und hatte einen mächtigen Brustkorb. Er war nicht besonders groß, aber massig, und obwohl sein Körper die Form eines Flusskiesels hatte, war er schnell auf den Beinen. Ein sehr kluger Jäger und sehr zielsicher mit dem Wurfspieß. Er hatte ein sanftes, freundliches Gesicht, begegnete allen Angehörigen des Rudels mit Aufmerksamkeit und war umgänglich. Oft scherzte er, aber im Herzen war er sehr ernst, weil er sich zutiefst der Aufgabe verpflichtet fühlte, für genug Nahrung zu sorgen, damit sie Winter und Frühling überstanden. Das verstand er darunter, ein Anführer zu sein. Normalerweise war das etwas, worum sich die Frauen kümmerten, doch er half ihnen bei ihrer Arbeit und machte Vorschläge, wer was übernehmen sollte. Jeden Sommer, wenn die Vögel zurückkehrten und das Rudel nicht verhungert war, stimmte ihn das für ein Weilchen fröhlich; aber ab der Mittsommernacht begann er wieder damit, sich abzurackern.

Im Moment waren die Vögel noch nicht zurückgekehrt. Ihre Nahrungsvorräte gingen zur Neige, und Schiefer redete heftig auf Steinbock ein. Er sprach immer vom Essen: Mit Donner und den Frauen redete er über das Kochen und Angeln, mit den Männern über das Jagen und Fallenstellen. Er hatte ihre Vorratsgruben eigenhändig gegraben und kleidete sie immer wieder neu aus. Er sprach mit Angehörigen anderer Rudel, um in Erfahrung zu bringen, was sie wussten. Er und Dorn hatten sich ein Zählsystem ausgedacht, das so ähnlich wie Dorns Jahresstöcke funktionierte, mit sauberen Treibholzstücken, in die sie Kerben für ihre Beutel mit Tierfett und Nüssen, ihre getrockneten Lachse und ihre geräucherten Rentiersteaks machten. Alles, was sie an Nahrung für die kalten Monate ansammelten, wurde eingelagert und mit Kerben festgehalten. Von den Markierungen des letzten Winters und davon ausgehend, wie gesund die Leute im Sommer gewesen waren, wie viel Fett sie angesetzt hatten, wusste er, wie viel Essen jeder einzelne Angehörige des Rudels brauchen würde. Er wusste besser als man selbst, wie hungrig man sein würde.