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Wenn Dorn ihn morgens weckte, dann für gewöhnlich mit der leisen Frage: — Was träumst du? Und wenn Eistaucher dann langsam aus der Traumwelt auftauchte, blickte er zurück und erzählte Dorn, was dort geschehen war. Das waren seine schönsten Momente mit dem Alten, der früh morgens entspannter war. Vor sich hin nickend saß er da, betrachtete Eistauchers Gesicht und fragte ihn weiter aus, offenkundig interessiert, egal wie unwichtig oder seltsam Eistauchers Träume sein mochten.

— Die Traumwelt ist anders, bemerkte Dorn immer, wenn Eistaucher zum Ende kam. — Sie ist voll von unseren Wünschen und Ängsten, aber uns selbst fehlt es in dieser Welt an Urteilsvermögen, weshalb so viele seltsame Dinge geschehen. Wenn möglich, versuche deine Träume zu träumen, ohne dir dabei etwas zu wünschen. Beobachte einfach. Aber wenn du im Traum die Gelegenheit zum Fliegen erhältst, fliege. Vor allem das solltest du wollen. Es hat keinen Sinn, in einem Traum Sex zu wollen, weil die Leute in einem Traum einen niemals wirklich berühren. Vielleicht kommst du, aber meistens nicht, und wenn doch, dann nur, weil du mit der Erde fickst. Das kannst du sonst auch jederzeit. In Träumen solltest du dich aufs Fliegen konzentrieren, weil du in dieser Welt nicht fliegen kannst, aber in der Traumwelt schon. Und wenn du in der Traumwelt fliegst, dann übst du damit für das Fliegen in der Geisterwelt. Die Geisterwelt und die Traumwelt sind nicht dasselbe, aber sie berühren einander im Himmel. Die Traumwelt ist in dieser Welt, die Geisterwelt ist außerhalb, aber fliegen kannst du in beiden. Und draußen jenseits des Himmels sind sie auch miteinander verbunden. Deshalb kann man zwischen ihnen hin- und herfliegen. Die Geisterwelt ist der Ort, an dem alle Welten einander begegnen, deshalb begeben wir Schamanen uns dorthin. Wenn man in der Geisterwelt ist, kann man sich in allen Welten zugleich aufhalten.

Eistaucher hörte diesem Vortrag meistens nickend zu, gedanklich noch in seine Träume verstrickt, oder er schlief einfach wieder ein. Aber Dorns Fragen halfen ihm dabei, sich an die Träume zu erinnern, und wenn er nachts aufwachte, konnte er oft ohne jede Verwirrung auf sie zurückblicken, und wenn er danach einschlief und sich dabei vornahm, den Faden seines Traums wieder aufzunehmen, gelang ihm das. Und wenn er flog, wusste er, dass das etwas Gutes war, und so versuchte er, mehr zu fliegen, es zu genießen, selbst in den Träumen, in denen er anscheinend um sein Leben flog, wie es oft vorkam.

9

Am Nachmittag nach dem Malen luden sie sich auf dem Weg zurück ins Lager die Arme voller Feuerholz vom Hang unter der Felswand. Heide hatte ein paar Mittagsnüsse für Eistaucher aufgehoben, und ihr winteralter Geschmack erinnerte ihn daran, dass der Sommer kurz bevorstand. Wenn sein Bein nicht bald heilte, war es zu spät.

Er folgte Moos und Salbei und humpelte am Flussufer entlang zum Strand unter dem Steinbison. Im seichten Wasser teilten sie sich auf, um Seggen für neue Körbe zu sammeln. Unten im Schlamm brach der weiße, weiche Stiel der Pflanzen mit einem knackenden Geräusch. Die Korbweberinnen brauchten weibliche Seggen; männliche schmissen sie einem vor die Füße.

Später setzten sie sich unter den großen Fels, der den Fluss überspannte, und verarbeiteten die Blätter, damit sie nicht so viel tragen mussten. Die Außenblätter entfernten sie, schälten dann die inneren ab und spalteten sie der Länge nach, indem sie mit einem Daumennagel durch die Mittellinie fuhren. Blätter, die nicht genau in der Mitte geteilt waren, mussten sie wegwerfen. Die halbierten Blätter pressten sie mit den Fingern zusammen, bis sie glatt und biegsam wurden. Dabei musste man aufpassen, damit man sich nicht an den scharfen Kanten in die Finger schnitt. Die verarbeiteten Blätter schnürten sie zu Bündeln von mehreren Dutzend zusammen und brachten sie den Weberinnen im Lager, die sie zum Trocknen und Färben ausbreiteten. Ihre Frauen woben sehr gute Körbe, die bei den Acht-Acht-Festen hoch geschätzt wurden. Mit ihrem Wissen über Färbemittel leistete Heide einen wichtigen Beitrag dazu.

Heides Geistertier war genau genommen nicht die Spinne, sondern der Vielfraß, und das passte bestens zu ihr. Vielfraße waren Einzelgänger und standen in Sachen Schläue und Bosheit keinem anderen Tier nach. Das Gleiche galt für Heide. Dann und wann mochte sie guter Stimmung sein, was sich wahrscheinlich auch über Vielfraße sagen ließ, aber keiner der beiden ließ jemals andere an diesem Gefühl teilhaben, weil es sich in Gesellschaft sofort verflüchtigte.

Allerdings war Heides Verhalten in dieser Hinsicht nicht völlig vorhersehbar. Manchmal atmete sie etwas von Dorns Pfeifenrauch ein und ließ sich ans Feuer sinken, um in der Hitze zu schmoren wie eine Katze und mit dem Nächstbesten aus dem Rudel zu plaudern. Und manchmal, wenn der schwere, graue Regen niederging, der einen ansonsten ereignislosen Tag ankündigte, war sie es, die ein fröhliches Lied anstimmte, in einem heiteren, den Umständen völlig unangemessenen Ton. Offensichtlich meinte sie es sarkastisch und wollte sich über die anderen lustig machen. Doch wenn alle unter ihrer Balme saßen und in den herabströmenden Regen starrten, brachte Heides Gesang sie irgendwann zum Lachen.

Eistauchers Geistertier war natürlich der Eistaucher. Einmal war er als Kind wohl ganz hingerissen vom Ruf eines Eistauchers auf dem nächtlichen Fluss gewesen, und er hatte mit seinen kleinen Armen gewedelt und einen ganz roten Kopf bekommen bei dem Versuch, das seltsame Lied mitzusingen, sodass ihm die Erwachsenen in jener Nacht seinen Namen gegeben hatten. Und seitdem lief Eistaucher immer ein Schauer über den Rücken, und heiße Tränen traten ihm in die Augen, wenn er seine Namensvettern in ihrer unirdischen Sprache miteinander reden hörte, die auf ihre glucksende Art sogar noch seltsamer war als die der Wölfe. Dann erhob er sich aus seinem Bett, stellte sich an den Rand des Lagers und erwiderte die Rufe, trötete und tutete in der Hoffnung, dass die großen, wunderschönen schwarz-weißen Vögel mit den roten Augen ihn hörten und dass sie erkannten, dass er ihre Sprache zwar nicht beherrschte, sie aber liebte. Und tatsächlich hörten sie ihn manchmal und antworteten, und Dorn sagte, dass einem Mann nur selten eine so große Ehre zuteilwurde und dass der Ruf eines Eistauchers die wunderbarste Stimme war, die einem Menschen zu Ohren kommen konnte. Welches Glück er hatte, dass sein Geistertier seinen Ruf des Nachts erwiderte und seine Gedanken zu den Sternen emporsandte!

Kreuch beklagte sich noch immer, weshalb es am besten war, in Lagernähe zu bleiben und zur Sonne um eine schnelle Heilung zu beten. Den Knöchel immer wieder im Sonnenbad strecken, Heide darum bitten, ihn noch einmal einzureiben. Ruh ihn aus, sagte sie immer. Massiere ihn und ertaste dabei genau, wo es wehtut und wie. Fang dort, wo es sich gut anfühlt, zu drücken an und drück dann sehr langsam in den Schmerz hinein. Und halte ihn so viel wie möglich in die Sonne.

Also ging er hinunter an den Fluss, wo die Sonne niederknallte und vom Wasser zurückgeworfen wurde. Der Sand unter ihm war warm, und es fühlte sich an, als küsste ihn die Sonne.

Als Salbei also ganz allein am Ufer auftauchte und sich neben ihn setzte, versuchte er, sie auch zu küssen. Er beugte sich zu ihr hinüber und sah, dass sie sah, was er vorhatte, und dann sah er den begierigen Ausdruck, der in ihre Augen trat, und verliebte sich in sie. Einmal mehr. So viele Male war ihm das schon passiert, seit sie kleine Kinder gewesen waren, und dieses Mal war sein Visel hart, und sie rieb ihn, während sie sich küssten, bis es aus ihm herausspritzte, und sooft er daran dachte, rieb er beim Küssen ihren kleinen Fuchs, bis auch sie erbebte, sich um ihren Bauch zusammenkrümmte und mit dem Mund an seinem Hals quietschte.

— Spritzt es in dir drin?, fragte er.

— Es zieht sich zusammen.

Sie umfasste seinen Arm mit der Hand und drückte ihn rhythmisch, um es ihm zu zeigen, und dabei wurde sein Visel wieder hart. Weibliche Bisons und Ricken zogen sich so zusammen, und ihre Kolbis pochten rosig, wenn sie einen Bullen oder Hirsch wollten. Es war absolut klar, wie Eistaucher und Salbei zusammenpassten: Finger im Handschuh, Geweih in Spalte, Reiher und Füchsin. Aber Salbei war sehr streng, weil man ihr vor Kurzem im Frauenhaus den roten Punkt aufgemalt hatte. Auf keinen Fall wollte sie ihm erlauben, seinen Visel in sie reinzustecken. Also küssten sie sich nur noch etwas und unterhielten sich dann in der Sonne, zufrieden und wohlwollend. Das Glitzern auf dem Flusswasser tanzte in seinen Augen, und sein Nachglühen fühlte sich wie ein Leuchten an, das von ihm ausging. Er wusste, wie er wieder heil wurde. Selbst Kreuch verheilte allmählich.