Выбрать главу

— Hast du gehört, dass Schiefer den Löwen etwas von unserem Essen gibt?

— Nein!

— Tut er aber. Blauhäher ist richtig wütend auf ihn. Er sagt, wir hätten genug, aber er hat niemand sonst gefragt, sondern es einfach gemacht.

— Aber wir essen nur noch zehn Nüsse am Tag!

— Ich weiß. Blauhäher und Donner sind wirklich wütend auf ihn. Seine Schwester Mondtraum hat bei den Löwen eingeheiratet, und alle sagen, es sei wegen ihr und dass wir ihn überhaupt nicht kümmern.

— Dann kommen die Enten hoffentlich pünktlich zurück.

— Da hast du recht. Wenn nicht, wird man Schiefer über dem Feuer braten.

Und sie lachten. Die Enten würden schon kommen.

Das war also gut, aber derweil gingen seine Freunde auf die Jagd, und er konnte sie nicht begleiten, noch nicht. Das würde er später wiedergutmachen.

Allerdings fiel ihm auf, dass Falke schnell wuchs. Von fast jeder Jagd brachte Falke etwas mit zurück, selbst jetzt, im Hungermonat. Er wurde gut darin. Als sie Kinder gewesen waren, war Eistaucher besser in allem gewesen, was es brauchte, um ein guter Jäger zu sein. Sie hatten Wettrennen gemacht und einander gejagt, gespielt und gerungen, Steine und kleine selbst gebastelte Speere geworfen, und er wusste, dass er besser in alldem war, weil sie es oft ausprobiert hatten. Falke wusste es auch. Aber jetzt hatte sich das vielleicht geändert. Jetzt war Falke breitschultrig und hatte eine schmale Taille, weil sein ganzes Fett aufgezehrt war. Er war hochgewachsen und hatte einen schönen Kopf mit dichten Locken und kantigen Zähnen. Er sah gut aus, sehr stark und voller Anmut.

Eines Nachts am Feuer sah er Falke und Salbei dann zusammen in die Nacht hinausschlüpfen, und die Kehle schnürte sich ihm zu, und er bekam kalte Füße. Nun ja, sie würde auch Falke nicht allzu viel erlauben. Trotzdem bedeutete es etwas. Er würde mit Entchen herumspielen müssen, um Salbei auch eifersüchtig zu machen. Kleine Blicke, dumme Witze, Essen teilen oder Zöpfe flechten.

Da er im Lager festsaß, half er Heide und Blauhäher beim Schuhmachen. Das war eine Fummelarbeit, und Eistaucher führte die Knochennadel langsam durch Heides Ahlenlöcher, die alle in gleichem Abstand und in gleichem Winkel zueinander standen, in einer bogenförmigen Linie, die die Bärenfellsohlen und die Rehfelloberteile miteinander verband.

Eines Tages, als Blauhäher nicht da war, brummte Eistaucher etwas darüber, dass Salbei mit Falke ging.

— Und was stört dich daran?, fragte Heide.

— Ich bin wohl eifersüchtig.

— Eifersucht ist, wenn man nicht will, dass jemand anders etwas bekommt, das man selber hat. Neid ist, wenn man etwas will, das jemand anders hat. Für mich klingt es also eher, als wärst du neidisch und nicht eifersüchtig. Weil Salbei nämlich nicht dir gehört.

— Ist doch egal, wie das heißt, brummte Eistaucher unglücklich.

— Das ist es nicht. Du solltest besser alle Worte und ihre Bedeutungen kennen, sonst denkst du nämlich nur Grütze.

Heide wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den Schuhen zu. Bei den Winterschuhen wollte sie es mit Murmeltierfell für die Oberteile versuchen. Sie probierte gerne neue Einfälle aus. Manchmal machte sie die Dinge verkehrt herum, insbesondere für Dorn. Sie sprach selten direkt mit Dorn und sah ihn an, wie man eine Hyäne oder ein anderes wertloses Tier ansieht.

Er erwiderte ihren Blick dann mit einem finsteren Starren, als betrachtete er einen Vielfraß.

Als er in diesem Moment vorbeikam, grinste sie schaurig und sagte: — Hier, Unaussprechlicher, nimm dies als Geschenk von mir!

Es war ein Paar Schuhe aus Stachelschweinhaut. Stachelschweinmütter hatten es beim Gebären besonders leicht, weshalb man schwangeren Mädchen vorsichtig kleine Stachelschweinpüppchen als Glücksbringer vorne ins Kleid steckte. Jetzt hatte Heide also Schuhe aus Stacheltierhaut gemacht, mit der glatten Seite nach außen, sodass die Nadeln nach innen zum Fuß zeigten. Sie waren fertig und hatten sicher eine oder zwei Fäuste Arbeit gekostet, und doch waren sie abgesehen von diesem einen Augenblick schneidenden Gelächters absolut nutzlos.

— Sie gehören dir!, rief sie Dorn zu. — Mögen sie dir auf deinen Reisen Flügel verleihen!

Dorn bedachte sie mit einem bösen Blick, doch dann nahm er die Schuhe von ihr entgegen und blickte hinein. — Moment mal, ich sehe etwas, sagte er. — Du hast die Schuhe für mich aus deinem Fuchs gemacht!

Er nahm eine der Bärenkrallen an seiner Halskette und stieß sie in den Schuh hinein wie einen Visel. — So war es mit uns, sagte er und warf ihr die Schuhe wieder hin.

— Immerhin hast du dich bei deiner Viselgröße nicht vertan, sagte sie, während sie den Schuhen auswich.

— Ich habe nur den Maßstab gewahrt, weil du ja deine Mammutkolbi so zusammengeschrumpft hast.

Wütend starrten sie einander einen Moment lang an, ehe Dorn davonging.

10

Ein weiterer Morgen in der Sonne beim Erdblut-Mahlen. Dorn saß ganz in der Nähe und nähte etwas. Wenn er nicht gerade Sehnenenden abbiss, das Gesicht nur einen Daumenbreit entfernt von dem durchstochenen Fell, redete er ununterbrochen. Dann und wann befahl er Eistaucher, eine der Geschichten aufzusagen, die er auswendig kennen sollte.

— Fang mit den Jahreszeiten an, um dein Gedächtnis auf Trab zu bringen. Die kennst du schon länger, als du deinen Namen hast.

Oder auch nicht. Eistaucher seufzte und versuchte es:

Im Herbst essen wir, bis die Vögel ziehen, Und tanzen im Mondenschein. Im Winter erwarten wir schlafend den Frühling Und über uns wandern die Sterne. Im Frühling hungern wir bis zur Rückkehr der Vögel Und beten um Sonnenwärme. Im Sommer tanzen wir auf unsern Festen Und betten uns zu zweit auf den Grund.

— Nein, nein, sagte Dorn. — Es heißt:

Im Sommer tanzen wir auf dem Fest Und betten unsere Knochen in den Grund.

— Warum erinnerst du dich ausgerechnet an den Teil falsch? Außerdem heißt es:

Im Winter schauen wir schlafend gen Frühling Und über uns ziehen die Sterne.

— Versuch es noch einmal.

Eistaucher wiederholte die Verse so, wie er sie beim ersten Mal aufgesagt hatte. — Der Sommer ist die Zeit, in der die Leute beisammenliegen, erklärte er. — So gefällt es mir besser.

— Aber so ist es nicht richtig!

— Ich habe es schon oft so gehört.

Dorn gab auf und setzte seine Selbstgespräche wieder fort. — Ah, sieh einer an, das Hemd, das ich trage, habe ich im vorletzten Jahr gemacht, und zwar im neunten Monat, als wir wieder zu Hause waren, und ich saß dabei an genau dieser Stelle hier. Ich kann also eine Handlung der Vergangenheit kennen. Und nun ist das Hemd hier. Und wenn ich nächsten Sommer hierher zurückkehre, wird es auch wieder hier sein. Das Jetzt ist also das Jetzt, aber in dieses Jetzt mischt sich auch etwas Vergangenheit und Zukunft in den Dingen und pustet durch unsere Gedanken. Alles dreht sich. Denn nächstes Jahr wird es am gleichen Tag des Jahres ein Jetzt geben. Am neunzehnten Tag des fünften Monats. Das wissen wir. Deshalb ist jeder Tag der Geburtstag aller Tage im kommenden Jahr, die der heutige Tag sind.