— Ich verstehe dich nicht, sagte Eistaucher. — Habe ich schon genug Pulver?
— Nein, sagte Dorn, ohne hinzuschauen. — Natürlich verstehst du mich. Weil ich mit dem Du in dir spreche, das der Geburtstag der Dus ist, die noch kommen werden. Und wenn du mich dann verstehen wirst, dann verstehst du mich auch jetzt. Aber dann werde ich bereits tot sein, nur noch ein weißer Punkt am Nachthimmel. Wie ein Wolf werde ich mich in deine Hacken verbeißen, so wie der Wolfstäuscher sich in die Hacken des Flammenbringers verbeißt.
— Dann werde ich der Flammenbringer? Ich dachte, Flammenbringer wäre der Flammenbringer.
— Ich rede nicht mit dem Du, das jetzt hier ist, du bist zu unverschämt.
— Erzähl mir einfach, wie man die Krümmung eines Bisonhalses meißelt, so wie du es machst. Wie schaffst du es, dass die Krümmung so glatt verläuft, wenn du doch mit Stein in Stein kerbst?
— Ich kerbe nicht mit Stein in Stein, sondern mit Feuerstein in Weißstein, und das ist der Trick dabei. Man meißelt ihn in Körnchen heraus. Behalte einfach die Linie, die du meißeln willst, im Blick, und tu es.
— Kommt es also darauf an, sie zu sehen, bevor sie da ist? Kein Wunder, dass du Geburtstage aus der Zukunft brauchst.
— Tja, genau. Siehst du, du verstehst mich.
— Nein. Ich verstehe dich überhaupt nicht. Zeig mir, wie man eine solche Linie macht. Zeig mir, wie man es anfängt.
— Lass es dir von der Zukunft selbst zeigen.
— Hast du dafür deine Jahresstöcke? Um deiner Zukunft zu sagen, was genau du zu der Zeit getan hast, als du es getan hast?
— Ja, genau.
— Aber das ist albern. Dumm. Falsch herum.
— Deshalb bin ich der Schamane und du nicht.
Dorn betonte immer wieder nachdrücklich, wie wichtig seine Jahresstöcke waren. Jeden Morgen nahm er eine in einen Stab geklebte Obsidianklinge, mit der man feine Schnitte machen konnte, und schnitt eine Linie in seinen Jahresstock, immer ein schönes Stück Eichentreibholz, vom Fluss sauber gewaschen. An jedem Neumondtag schnitzte er einen Kringel über die jeweilige Tageslinie. Beim Acht-Acht-Fest kam er dann mit den anderen Schamanen zusammen, die allesamt ziemlich verrückt und unausstehlich waren, und im Laufe des Tages glichen sie ihre Stöcke miteinander ab. Auf Dorns Anweisung hin verwendete Eistaucher inzwischen seinen eigenen Jahresstock, der unabhängig von Dorns sein sollte, aber da Dorn seine Striche nie vergaß und Eistaucher manchmal schon, war keiner von ihnen besonders glücklich damit. Dorn fand, dass Heide ebenfalls einen Jahresstock verwenden sollte, weil sie ihre Striche zu dritt auch innerhalb des Rudels hätten abgleichen können, aber sie weigerte sich. Eistaucher hatte zwar den Eindruck, als käme das Heides sonstigen Tätigkeiten ohnehin sehr nahe, aber sie wollte Dorn wohl einfach keinen Gefallen tun. Also war Eistaucher immer im Unrecht, und wenn er zufälligerweise einmal nicht im Unrecht war, dann würden sie bei der großen Zusammenkunft Riesenprobleme bekommen.
— Ich glaube nicht, dass Flammenbringer ein Feuer macht, sagte Eistaucher. — Ich glaube, dass sein Horn zu uns herabstößt. Er liegt auf dem Rücken und versucht, sich mit Mutter Erde zu paaren, aber er kommt nicht nah genug heran, und die Sprudelnde Spritzmilch kommt von ihm.
— Aber die Sprudelnde Spritzmilch steht am Sommerhimmel, bemerkte Dorn.
— Das stimmt, er ist so doll gekommen, dass seine Milch bis in den Sommer gespritzt ist.
Dorn lachte auf eine Art, auf die er Eistaucher nie zuvor angelacht hatte, ehrlich belustigt.
— Das glaube ich nicht, sagte er schließlich kopfschüttelnd. — Der Feuerstock steht genau im richtigen Winkel. Und dann ist da auch noch das Feuerbrett. Diese Sterne können nicht seine Eier sein, dafür sind sie zu weit auseinander.
— Das sind seine Hüftgelenke, erklärte Eistaucher.
Erneut lachte Dorn. — Na schön, ist gut, sagte er. — Da haben wir eine neue Geschichte zu erzählen.
11
Die Augen sprechen aus, was die Zunge nicht sagen kann. Druck löst Widerstand aus. Selbst eine Maus kennt den Zorn. Nach Einbruch der Dunkelheit ist jede Katze ein Löwe. Im Frühling ist Mutter Erde schwanger, im Sommer gebiert sie. Kinder sind die wahren Menschen. Ein gut aussehender Junge ist vielleicht nur im Gesicht gut. Gefahr kommt ohne Vorwarnung. Am Anfang ist jedes Feuer gleich groß.
Wie sehr es ihn danach juckte, dass etwas anderes geschah. Wie sehr er wieder auf Wanderschaft wollte. Die Enten waren immer noch nicht wieder da, und Donner und Blauhäher hielten Schiefer nun täglich vor, dass er einen Teil ihres Essens dem Löwenrudel gegeben hatte. Schiefer machte immer nur ein abweisendes Gesicht, kehrte ihnen den Rücken zu und ging seines Wegs. Niemand sollte sich bei ihm über Nahrung beschweren, auch wenn sie den Hunger in den Eingeweiden spürten.
Schließlich konnte Eistaucher nicht mehr anders. Er musste auf die Jagd gehen, Kreuch hin, Kreuch her.
— Du wirst das schon schaffen, denke ich, sagte Heide zweifelnd. — Wenn nicht, komm einfach zurück. Man kann einen Fluss nicht drängen. Bricht das Eis zu schnell, gibt es eine Überschwemmung. Also sei vorsichtig. Lass dich von deinem gesunden Bein tragen. Wenn es irgendwie geht, dann wird es gut für dich sein. Wenn der Schmerz ganz verschwinden soll, musst du raus.
Also zog er mit Falke und Moos stromaufwärts, über den niedrigen Grat zwischen der Gewundenen Au und dem Zusammenfluss von Ordech und Urdecha.
Falke und Moos waren froh, dass er wieder mit ihnen auf Jagd ging, und nachdem sie ihn ein- oder zweimal nach seinem Bein gefragt hatten, erwähnten sie es nicht weiter, weil sie ihn nicht daran erinnern wollten. Das war der höfliche Umgang, den Männer auf der Jagd miteinander pflegten. Sie gingen weder langsamer noch schneller als sonst, und als sie zur Au der Mutter Bisamratte am Ordech gelangten, verfielen sie in Schweigen und folgten im Gänsemarsch und mit gesenkten Köpfen dem westlichen Höhenzug, der darum herumführte. Eistaucher konzentrierte sich auf den Boden, darauf, einen Tanzschritt zu finden, bei dem das gesunde Bein das verletzte trug. Sein Wurfspeer leistete ihm die gleichen Dienste wie Ständer auf seiner Wanderschaft, und das hintere ausgehöhlte Ende war nach einer Weile etwas mitgenommen; hoffentlich würde es noch richtig auf seine Speerschleuder passen, wenn es so weit war. Am besten achtete er darauf, es nicht direkt auf Steine aufzusetzen und es gerade, mit dem ganzen Rand um das Loch auf den Boden aufzusetzen. Ach was, natürlich würde der Speer funktionieren. Seine Freunde waren froh, und er war froh.
Oberhalb der Au trafen sie auf einige Kinder von Mutter Bisamratte, die in der Flussbiegung spielten. Ihre schwarzen Köpfe schwammen im Wasser herum, und ihre Schnurrhaare zogen kleine Kräuselungen in die Wellen um ihre Schnauzen. Sobald sie Wind davon bekamen, dass die drei jungen Männer sie beobachteten, würden sie untertauchen und Zuflucht in einem Biberbau suchen, der nahe am gegenüberliegenden Ufer aus dem Wasser ragte. Vielleicht hätten die Menschen sich im Schutz der Bäume weit genug hinabschleichen können, um einen Speer zu werfen, aber es wäre ein sehr weiter Wurf gewesen. Da war es besser, sich die Stelle zu merken, später wiederzukommen und unter Wasser eine Falle aufzustellen. Sie waren ohnehin auf der Suche nach etwas Größerem.
Größer, sagten sie zueinander und wanderten ins Hochland oberhalb des Ordech, größer, größer, größer. Und tatsächlich hatten sie heute Glück: Der Hungermonat war beinahe um, und manche Geschöpfe von Mutter Erde litten Not. Am Rande des Hochlands stand ein Elch, der unter seinem gewaltigen, ausladenden Geweih dünn aussah. Er wirkte fehl am Platz in der weiten Heidelandschaft, über die man bis zu den Eiszitzen am westlichen Horizont schauen konnte.