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Doch je weiter nach Norden sie gingen, desto weniger Nahrung bot das Land. Am ehesten konnten sie noch von den Flüssen leben. Doch noch gab es keine Lachse und Meerforellen, die zum Sterben nach Hause zurückkehrten. An einer der Furten hing eine Reuse im Wasser, und an beiden Ufern gab es Anzeichen dafür, dass sie oft aufgesucht wurde; doch diesmal trafen sie dort niemanden an.

Als der siebte volle Mond kam, erreichten sie den Fluss namens Renfurt. Es war der Mond, in dem die Rentiere hier eintreffen würden, am westlichen Ende ihrer Jahreswanderung. Letztendlich unternahmen die Rentiere und die Leute vom Wolfsrudel Wanderungen von den verschiedenen Orten, an denen sie im Winter lebten, um hier zusammenzukommen.

Dieses Jahr waren die Rentiere allerdings nirgends zu sehen. Dorn wies das Rudel darauf hin, dass es in einem so schneereichen Jahr länger dauern konnte und dass sie Geduld haben und ihre Zeit damit verbringen sollten, eine gute Rinne herzurichten, durch die sie die Rentiere treiben konnten. Das war alles schön und gut, und sie machten sich mit Hingabe ans Werk, aber trotzdem ging ihr Essen langsam zur Neige. Immerhin hatte es sein Gutes, dass sie wieder auf ihre Nüsse zurückgreifen mussten, weil diese inzwischen nicht mehr nur etwas seltsam nach Wintergärung schmeckten, sondern ernsthaft ranzig; und das stinkende flüssige Fett in ihren Robbenhautbeuteln nahm langsam den Geschmack der Beutel an. Sie brauchten frisches Fleisch, etwas wie die Enten, nur mehr davon. Hoffentlich würden sie es bald bekommen.

Eines Nachts, während sie sich im Rauch eines blakenden Feuers aus Birkenschwamm aneinanderkauerten, der als Einziges die Mücken abhielt, verfiel Dorn in eine Visionstrance, nachdem er seine Mixtur aus Pilzen und Beifuß gegessen und anschließend wie Heides Katze gekotzt hatte. Als die Trance einsetzte, lehnte er sich schnaubend und brummelnd zurück. Niemand störte ihn, während er dalag und seinen Geist auf Reisen schickte.

Am nächsten Morgen kehrte er zu ihnen zurück und erklärte, dass die Rentiere weniger als eine Woche entfernt seien, es aber schwer sei, von so weit oben am Himmel Genaueres zu erkennen. Wie dem auch sei, sie müssten nur noch einige wenige Tage durchhalten.

Dann tauchten Wölfe auf den niedrigen Hügeln flussaufwärts auf. — Seht ihr, sagte Dorn. — Sie sind hier, um uns mitzuteilen, dass die Rentiere schon fast da sind.

— Sie sind hier, weil sie hoffen, sagte Heide. — Sie sagen sich: Die Menschen sind hier, also müssen die Rentiere auch bald kommen.

— Tja, natürlich, sagte Dorn. — Da haben sie ganz recht.

Wölfe und Menschen waren Vettern, genau wie Bären und Stachelschweine oder Biber und Bisamratten. Wölfe hatten den Menschen das Jagen und Sprechen beigebracht. Sie waren noch immer weit bessere Sänger und auch bessere Jäger. Was die Menschen im Gegenzug den Wölfen beigebracht hatten, war umstritten, und es waren verschiedene Geschichten darüber im Umlauf. Wie man Freundschaft schließt? Wie man einander hintergeht und in den Rücken fällt? In manchen wurde das eine behauptet und in manchen das andere.

Dann, eines Abends, als das Zwielicht erlosch und der Fluss neben ihnen der hellste Streifen auf dem dunklen Land war, flog ein großer Uhu über sie hinweg und stieß sein Huh-huh aus, das »ja« bedeutete.

Dorn stand auf und rief: — Sie sind hier! Der Uhu hat sie gesehen, und ich spüre ihren Hufschlag im Boden!

Niemand sonst spürte etwas, und das Land blieb dunkel und leer. Das Einzige, was sich bewegte, war das Band aus Mondlicht auf dem Fluss, und das Glucksen des Wassers war der einzige Laut. Dorn setzte sich brummelnd wieder hin. — Ihr werdet schon sehen, ihr werdet schon sehen. Der Uhu weiß immer Bescheid.

Und am nächsten Morgen kamen sie. Die Ersten rannten platschend in den Fluss und schwammen ans andere Ufer, und dann hielten einige auf der großen Wiese in der Biegung des Flusses an, um altes und neues Gras zu zupfen, das nun unter dem schmelzenden Schnee zum Vorschein kam. Rentiere aßen im Winter besser als im Sommer, weshalb sie jetzt fett waren und noch immer ihr langes Winterfell trugen.

Auf ihrem Sommerzug waren die Rentiere immer schrecklich in Eile. Sie folgten in lockeren Reihen aufeinander, gerieten manchmal unvermittelt in leichte Panik und wurden schneller, um dann wieder ungeduldig zu warten, wenn eine andere Reihe sich vor sie schob, oder sie drängten sich zwischen die anderen, um bloß nicht stehen zu bleiben. Es waren viele Dutzend, die über die Wiese und die umliegenden niedrigen Hügel strömten, und sie rannten dahin wie von einer unbändigen Kraft getrieben. Als sie schließlich anhielten, um Nahrung zu suchen und sich umzublicken, wirkten sie überrascht und voll Unbehagen darüber, dass sie sich nicht mehr beeilen mussten. Sie waren in ihrer Sommerheimat angekommen. Die Rentiere wanderten nach Westen und Osten, im Gegensatz zu den Vögeln, die nach Norden und Süden wanderten. Und wenn sie ihr Sommerziel erreichten, wurden sie jedes Mal von Mücken, Bremsen, Wölfen und Menschen empfangen, alles Rudel, die Gefahr und Schmerzen für die Rentiere bedeuteten und die sie deshalb entweder mit Schwanzschlägen verscheuchten, sie mieden oder denen sie sich in Reihen breitbrüstiger Bullen mit gesenkten Köpfen und spitzen Geweihen entgegenstellten. Niemand wusste genau, warum sie herkamen, aber es hieß, dass ihre Sommernahrung hier am frühesten wuchs.

Das Wolfsrudel wandte fast immer die gleiche Technik am gleichen Ort an, um Rentiere zu fangen und zu töten. Manchmal sagte Dorn, dass man es seit den alten Zeiten so mache, aber dann behauptete er wieder, dass er selbst als Kind darauf gekommen sei, als er beobachtet habe, wie die Männer durch die Steppe rannten und die Tiere einzeln zur Strecke brachten.

Die Steppe war hier zwar so eben wie überall sonst auch, aber nach Norden hin verliefen niedrige Hügelketten, und überall lagen Felsbrocken herum. Viele waren zu groß, um sie von der Stelle zu bewegen, aber es gab auch natürliche Mauern aus kleineren Felsen, und manchmal verliefen zwei davon nebeneinander. Wie immer suchten die Leute vom Wolfsrudel sich eine dieser Doppelreihen und räumten den Boden zwischen den beiden kniehohen Wällen frei, sodass ein verlockend bequemer Durchgang entstand.

Die zu Dutzenden eintreffenden Rentiere zogen ähnlich wie ein Gänseschwarm durchs Land, in lockeren Reihen von etwa zwanzig Tieren. Manchmal schlossen sie sich anderen Reihen an oder teilten sich auf, wenn das Gelände sie in diese oder jene Richtung drängte. Sie hatten es alle eilig, obwohl keines von ihnen wusste, wohin sie eigentlich wollten. Bedachte man den weiten Weg, den sie zurückgelegt hatten — sie kamen viele Tagesreisen aus dem Norden und Osten, und niemand konnte mit Gewissheit sagen, wo sie überwinterten —, trabten sie in höchstmöglichem Tempo, schneller, so schien es, als es sich auf Dauer durchhalten ließ. Sie waren starke und schnelle Geschöpfe, deren Schwerpunkt weit vorne lag wie bei Nashörnern, Hyänen oder Bisons, mit massigen Schultern und langen, schweren Hälsen und Köpfen, und die Männchen hatten mächtige Geweihe. Einer der Gründe für ihre Eile schien darin zu bestehen, dass sie ihre Köpfe einholen mussten, bevor sie nach vorne überkippten.