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So lag er da, behaglich im Warmen. Der Mond war in seiner zweiten Nacht, und seine Sichel war ein hübsches Stück dicker als der schmale Neumond. Die Zeit von Neumond bis Vollmond verging schnell, hieß es. Schon bald sank die Mondsichel hinter den Horizont, und die Nacht wurde absolut dunkel. Nur die Sterne durchstachen die Schwärze über den wenigen verbliebenen Wolken. Die von unten angeleuchteten Bäume verschwammen im flackernden Feuerschein miteinander. Es war der zweite Tag des vierten Monats, und außerhalb der Wärmeblase, die sein Feuer umgab, hing nasse Kälte in der Luft. Der Schlaf trug Eistaucher fort.

Etwa um Mitternacht weckte ihn ein Wolfsheulen von einem fernen Höhenzug, und er warf einige weitere Äste auf die glühenden Scheite, die unter der schwebenden weißen Asche rot pulsierten. Funken stoben auf; er sah zu, wie sich ein Ast schwarz verfärbte und dann Feuer fing, das plötzliche, gelbe Hineinplatzen der Flammen in die Welt, der hypnotische, durchscheinende Tanz; dann schlief er wieder ein.

Später träumte er davon, dass er eine Furche unter einem Bergkamm emporlief und dabei einen Blick auf drei Steinböcke erhaschte, die gerade den Grat erklommen. Er hatte die Tiere direkt vor sich; alle drei blickten ihn geradeheraus und entspannt an, während ihre schönen, gekrümmten Hörner in den Himmel stachen. Felstänzer; die Lieblingstiere seiner Mutter. Mit einem Mal stand sie neben ihm, und sein Vater auch. Sie sahen die Felstänzer zu der Zeit, in der die Rentiere durch die Steppe zogen und das tiefe Donnern ihrer Hufe wie ein fernes Gewitter klang. Seine Mutter gehörte zur Rabensippe und sein Vater zu den Adlern, aber sie beide liebten unverkennbar den Steinbock; das war es, was Eistaucher von diesem Erlebnis im Gedächtnis blieb. Ihm war bewusst, wie sonderbar die Anwesenheit seiner Eltern war, und dieses Wissen weckte ihn.

Die Sterne waren über den Himmel gezogen, und die Morgendämmerung war nicht mehr fern. Er wollte wieder in den Traum eintauchen, doch es gelang ihm nicht. Dann versuchte er, so viel wie möglich davon zu behalten, ehe ihm die Erinnerung endgültig durch die Finger rann. Alles war ihm sogleich wieder präsent; er ging den Traum von seinem leisesten bis zu seinem eindrucksvollsten Moment durch; und dann vom Anfang bis zum Ende. Manche Träume wollen, dass man sich an sie erinnert, aber andere versuchen, einem zu entkommen, sodass man sie jagen muss. Dieser gehörte zur letzteren Sorte.

Seine Mutter und sein Vater hatten ihn also besucht. Das war seit einer ganzen Weile nicht mehr vorgekommen. Er versuchte, sich ihr Bild zu vergegenwärtigen oder zu begreifen, woher er im Traum so genau gewusst hatte, wer sie waren, obwohl sie nur neben ihm gestanden und, soweit er sich erinnern konnte, nichts gesagt hatten. Manchmal erinnerte er sich an Gespräche, die er im Traum geführt hatte, und manchmal nicht. Diesmal hatte er ihre Gefühle gekannt, ohne dass sie etwas hatten sagen müssen. Sie waren voll Wohlwollen und Sorge um ihn gewesen, und voller Liebe für die Felstänzer. Als Eistaucher daran dachte, dass sie nicht in der Welt der Lebenden weilten, wimmerte er leise. Wie war es wohl, nur in der Geisterwelt zu existieren, wie lebte man dort, und warum konnte man nicht zurückkommen? Warum waren sie gestorben, warum starb überhaupt etwas? Die Rätselhaftigkeit all dessen überwältigte ihn, und mit einem Mal kam er sich vor wie etwas Winziges, das von etwas Gewaltigem durchbohrt wurde. Ohne das Feuer hätte er sich völlig verloren gefühlt. Mit dem Feuer konnte er diese Dinge betrachten, es sich gestatten, dem Schmerz und dem Gewaltigen in seinem Innern nachzuspüren.

Kurz nach der Morgendämmerung zog sich der Himmel wieder zu, aber diesmal war die Wolkendecke dünn und brachte keinen Regen. Der Wind war böig und riss Ascheflocken aus dem Glutbett mit sich. Eistauchers Unterschlupf war nach wie vor recht gut geschützt, und obwohl ihm an der vom Feuer abgewandten Seite kalt wurde, konnte er sich einfach drehen und spüren, wie die strahlende Hitze ihm die kalte Haut versengte. Dies war der zweite Tag seiner Wanderschaft; doch jetzt fühlte er sich trotz all seiner Annehmlichkeiten traurig und einsam. Er seufzte. Dies war seine Initiation als Schamane. Er trat in eine neue Welt, in eine andere Existenz über; es ging nicht nur darum, Zeit allein zu verbringen. Das hatten ihm seine Eltern mit ihrem Besuch sagen wollen: Er musste sich etwas stellen, etwas lernen, etwas erreichen. Sich in etwas anderes verwandeln: einen Zauberer, einen Mann in der Welt. Natürlich waren seine Eltern tot.

Er ging zum Bach hinab, um zu trinken, suchte mehr Feuerholz und trug ein großes Stück von einem alten Stamm mit sich zurück, das dem Feuer erst als Dach dienen und dann zum Teil der Glut werden würde.

Dann war es an der Zeit, mehr zu essen aufzutreiben. Er schritt die Wiese auf der Suche nach Spuren, Kötteln oder anderen Anzeichen von Tieren ab und in der Hoffnung, einen guten Platz für eine Schlinge zu finden. Schlingen machte man am besten aus Hautriemen. Borkenschnüre waren nur selten fest genug. Als er an der Stelle vorbeikam, an der der Bach von der Wiese floss, entfernte er den oberen Damm, musste aber feststellen, dass es in der oberen Biegung keine Fische gab, die er flussabwärts jagen konnte, also suchte er weiter die Wiese ab, wobei er die Flecken alten Schnees ausließ. Am Ufer waren Wasserstellen mit vielen Tierspuren, aber die meisten davon waren unbewachsen, sodass sich eine Schlinge kaum verstecken ließ. Er brauchte einen schmalen Durchgang zwischen zwei Büschen, durch den ein am Wasser aufgeschrecktes Tier vielleicht blindlings fliehen würde. Schließlich fand er eine passende Stelle. Doch er hatte nach wie vor kein geeignetes Material für seine Schlinge. Mit seinem Hackstein schnitt er ein paar Ruten von einer Erle, biegsam, fest und lang, spaltete sie an den Enden und flocht drei davon ineinander. Wenn er diese Stolperfalle dicht über dem Boden festband, würde sich vielleicht ein junges Reh oder eine Ziege darin verfangen. Etwas Besseres bekam er an diesem Morgen nicht hin, also brachte er seine Schlinge sorgfältig zwischen den beiden Büschen an. Wenn auch nur ein kleines Tier hineintappte, während er zusah, würde ihm das Zeit geben, zuzupacken. Allerdings musste er auf der Lauer liegen, um im richtigen Moment da zu sein, sonst würde seine mögliche Beute sich freistrampeln. Bei Sonnenuntergang würde er also zurückkehren in der Hoffnung, ein trinkendes Reh aufscheuchen zu können.

Als er die Schlinge so gut wie möglich ausgelegt hatte, ging er zurück ans Feuer und suchte nach guten Wurfsteinen. Selbst ein Schneehase oder Schneehuhn wäre ihm sehr willkommen gewesen. Als er zwei gute Steine gefunden hatte, suchte er den Boden auf der dem Sonnenaufgang zugewandten Talseite nach mehr Beeren vom Vorjahr ab. Er sah einen Mistelzweig in einem Baum mit kahlen Ästen und dachte darüber nach, hinaufzuklettern und die weißen Beeren zu kauen. Dabei entstand ein zähes weißes Zeug, das man zwischen Zweige spannen konnte, um kleine Vögel zu fangen, die daran festklebten. Aber es waren noch keine kleinen Vögel unterwegs. Er kam zu einem Brombeergestrüpp und schluckte zu den alten, toten Beeren noch ein paar weiße Pilze herunter, von denen er wusste, dass sie ungefährlich waren. Dann eilte er zurück, um nach seinem Feuer zu sehen.

Dem Feuer ging es gut. Eistaucher legte einen weiteren Scheit auf und machte sich auf den Weg in die andere Richtung. Stromabwärts wurde das Untertal tiefer, aber nicht breiter, und auf seiner östlichen Seite gab es eine Lücke, dort, wo die Obere Klamm ins Untertal einmündete. Die Obere Klamm war eine höher gelegene Schlucht, die sich nach Nordosten erstreckte. Jenseits dieser Bresche, wo der Osthang wieder anstieg, thronte ein hoher Felsen namens Elchgeweih über einer niedrigen, breiten Felswand. Unterhalb der Felswand fiel ein bewaldeter Hang zum Bach des Untertals hin steil ab. Der Grund war noch großteils schneebedeckt.