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Eistaucher machte sich auf den Weg dorthin, wo der Unterbach und die Obere Klamm aufeinandertrafen. Dort befand sich eine kleine, überfrorene Ebene oberhalb eines Erlenbruchs, auf der sich vielleicht etwas Interessantes finden ließ. Mit Sicherheit würde es dort Spuren geben.

Ein Knacken aus dem Wald oben am Hang ließ ihn erstarren, und er stand ganz und gar regungslos, als eine junge Ricke zwischen den Bäumen hervorbrach, verfolgt von zwei Braunbären. Das Reh hatte sich den linken Hinterlauf gebrochen und sprang auf drei Beinen, deutlich verlangsamt, den Hang hinab. Der vordere Bär rannte hingegen mit erschreckender Geschwindigkeit, holte die Ricke ein, schleuderte sie zu Boden und ging ihr wie ein Wolf an die Kehle. Eistaucher hatte schon gesehen, wie Bären ihrer Beute ins Genick bissen, wie eine Katze es tat. Aber Bären waren zu allem Möglichen imstande. In dieser Hinsicht waren sie beinahe wie Menschen, was nur folgerichtig war, da sie ja in den alten Zeiten Menschen gewesen waren. Und sie sahen immer noch aus wie Menschen: Große, gefährliche, in Pelze gehüllte Gestalten.

Eistaucher verharrte regungslos und sah zu, wie der vordere Bär ein paar Bissen aus der Kehle des Rehs riss und das Blut aufleckte. Ihm lief beim Zusehen das Wasser im Mund zusammen. Das Reh zuckte noch; Bären hatten in dieser Hinsicht keinen Sinn für Anstand.

Der zweite Bär griff den ersten von hinten an. Zwei junge Männchen, erkannte Eistaucher, die nun gegeneinander kämpften, einander dabei aber vor allem wild anknurrten und nacheinander schlugen, ohne Schaden anzurichten. Es sah aus, als setzten sie einen zuvor begonnenen Streit fort. Sie waren blind für ihre Umgebung, weshalb Eistaucher seine beiden Steine nach ihnen warf und beide traf. Der aus dem Nichts kommende Schmerz erschreckte sie, und sie flohen gemeinsam zwischen die Bäume, ohne sich auch nur umzublicken. Nach den Geräuschen zu urteilen stritten sie sich auch dort weiter.

Eistaucher rannte so schnell er konnte zu dem Reh und versuchte dabei angestrengt, in alle Richtungen zugleich zu blicken. Sicherlich blieb ihm nur wenig Zeit, bevor die Bären zurückkehrten oder ein anderes Tier vorbeikam. Keiner der herumliegenden Steine war scharfkantig genug, um das Reh damit zu häuten, und der erste Bär hatte gerade erst zu fressen begonnen. Eisläufer zog das Tier auf den Bauch, spreizte ihm die Hinterläufe und begann, leise Danksagungen ausstoßend, mit einem seiner Wurfsteine auf das hintere Hüftgelenk einzuhacken. Schnell hatte er den Hüftknochen gebrochen, löste dann das Bein von der Wirbelsäule, durchschnitt Haut und Sehnen und zertrümmerte das Gelenk in der Hoffnung, zumindest eine Keule mitnehmen zu können, wenn er fliehen musste. Zweifellos trug der die Schlucht emporwehende Wind den Geruch von Blut weit davon.

Er hackte noch immer auf das Hüftgelenk des Rehs ein, das noch nicht völlig durchtrennt war, als eine Bewegung oben am Hang seine Aufmerksamkeit erregte. Schlimmer hätte es nicht kommen können: Aus dem Wald näherten sich drei Löwinnen in lockerem, federndem Gang.

Eistaucher stürzte weg von der kleinen Lichtung, rannte vorgebeugt zwischen den Bäumen hindurch und die andere Seite der Schlucht hoch, sprang über einen Haufen Felsbrocken, warf sich dahinter flach auf den Boden und versuchte, zu Atem zu kommen, ohne dabei laut zu keuchen.

Die Löwinnen hatten bei dem Tier angehalten und beschnüffelten es, während sie sich umsahen. Sie wussten, dass das Reh gerade erst getötet worden war. Eistaucher zog zwei weitere Steine unter sich hervor. Wenn er es zu seinem Feuer zurückschaffte, konnte er sich die Löwinnen wahrscheinlich vom Leib halten, auch wenn es, falls sie ihn wirklich wollten, schwer werden würde, sobald sie erkannten, dass er allein war. Löwen waren sehr gut darin, ihre Chancen in jeder denkbaren Jagdsituation einzuschätzen, und sie würden wissen, dass sie ihn töten konnten, wenn es ihnen nichts ausmachte, zuvor ein paar Steine abzubekommen. Manche Löwinnen rannten mitten in einen Steinhagel hinein, wenn ihnen danach war. Hoffentlich würde das Reh ihre Aufmerksamkeit weiter beanspruchen und ihren gröbsten Hunger stillen.

Eine Weile kroch er auf den beiden Steinen in seinen Händen und auf seinen Zehen herum, wie eine Eidechse. Als er weit genug außer Sicht der Löwinnen war, stand er auf und rannte so schnell und leise wie möglich zu seinem Feuer zurück.

Es war heruntergebrannt, aber noch immer heiß genug, um jedes Holz in Brand zu setzen. Er warf Äste verschiedenster Größen darauf, um es auflodern zu lassen und auch um Fackeln zu seiner Verteidigung zu haben.

Als das erledigt war, eilte er zurück zu dem toten Reh, aber auf einem Umweg, der ihn weiter oben am Hang herauskommen ließ. Ein unbewachsenes, schneebedecktes Stück Hang bot ihm freie Sicht auf die kleine Ebene mit den Löwen darauf.

Das Reh war inzwischen zu einem großen Teil aufgefressen, aber auch die Reste wären noch ein Festmahl für Eistaucher, und Haut und Knochen würden ihm ebenfalls von großem Nutzen sein. Am besten musste er sich wie ein Rabe verhalten und auf die Löwen hinabscheißen, bis sie den Rest liegen ließen, ohne dass er dabei vom Himmel geholt wurde. Also schlich er sich hangabwärts näher heran, alle Sinne nach außen gekehrt, mit einem Kribbeln auf der Haut und sich aller Vorgänge im Tal gewärtig. Alles zeichnete sich so scharf ab, als hätte er sich in einen Falken verwandelt. Felsbrocken schienen von innen heraus zu leuchten, und Bäume bebten und raschelten im leichten Wind, der nach wie vor die Schlucht heraufwehte.

Die Löwinnen, von denen jede so groß war wie ein kleiner Bär, lungerten bei den Überresten des Rehs herum und säuberten sich die blutigen Schnauzen mit den Pfoten wie ganz gewöhnliche Katzen. Vollgefressene Löwen konnte man mit einem Steinhagel von ihrer Beute vertreiben, aber normalerweise hatte man dafür mehrere Männer mit Speeren. Für ihn allein lagen die Dinge anders. Die Löwinnen mochten zu dem Schluss gelangen, dass ein so vermessener Dummkopf einen guten Nachtisch abgab, auch wenn sie sich nicht die Mühe gemacht hätten, jemanden zu jagen, der sie in Frieden ließ. Es kam also darauf an, ihre Laune richtig einzuschätzen — und den Umfang ihrer Bäuche, die breit auf dem Boden lagen wie blassbraune Wasserschläuche. Eistaucher hielt hinter einem umgestürzten Baum inne und beobachtete die drei Löwinnen eine Weile. Sie waren groß und schön und strahlten jenen magischen Glanz aus, der Löwen immer zu eigen war — gewaltige Katzen, die sich der Form nach nicht von den kleineren Tieren unterschieden, die sich in Lagernähe herumtrieben, abgesehen davon, dass diese Riesen, die so viel wogen wie zwei oder drei ausgewachsene Männer, wie Wölfe in Rudeln jagten. Es war eine Ehrfurcht gebietende Kombination, die jedem anderen Geschöpf Schreckliches verhieß. Wunderschöne Götter, die auf Erden wandelten, Götter der Jagd, die vor nichts Angst hatten.

Ein Stein in der richtigen Größe, der kräftig genug geworfen den Kopf traf, konnte ein schlimmer Treffer sein, besonders, wenn er aus einer erhöhten Position kam. Aber höchstwahrscheinlich würde er die Tiere irgendwo an Bauch oder Rücken treffen, wenn überhaupt. Würden sie sich beleidigt trollen oder losstürmen, um den Plagegeist zu töten? In diesem Punkt durfte er sich nicht vertun.

Eine ganze Weile wartete er und sah zu, wie die Löwinnen sich putzten. Zweifellos gehörten sie zu den schönsten Tieren überhaupt, zu den neun heiligen Geschöpfen. Wie könnte es anders sein? Welches lebende Wesen konnte gottgleicher sein als die Löwen mit ihrer gemächlichen Eleganz und ihrer mörderischen Kraft, ihrer katzengleichen Wolfshaftigkeit? Die Art, wie sie sich umsahen, mit den schwarzen Tränenstreifen, die wie Festbemalung von ihren Augen herabflossen. Unweigerlich verzagte man unter ihrem Blick. Nein, sie waren unvergleichlich. Sie konnten alles töten, was sie wollten.

Eine von ihnen erhob sich nach einer Weile und schlenderte zum Trinken an den Bach hinunter. Die anderen beiden folgten ihr. Damit waren sie ein gutes Stück weit entfernt. Eistaucher kam zu dem Schluss, dass der Abstand groß genug war, und so flitzte er den Hang hinab und hackte die traurigen Überreste der Keule frei, die er ursprünglich hatte nehmen wollen. Mit einem festen, zweihändigen Schlag trennte er auch den zerkauten Kopf ab, ehe er beides ergriff und die Schlucht hoch und bis zurück zu seinem Feuer rannte, so schnell, dass ihm der Schweiß ausbrach und er den größten Teil des Wegs über keuchend nach Luft schnappte. Als er sein Lager erreichte, pochte ihm das Herz bis zum Hals.