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Catherine hatte ihm verblüfft zugehört.

«Das… das ist sehr interessant«, murmelte sie schließlich.

Wim Vandeen sah zu Boden.

«Wim ist schüchtern, wenn er mit jemandem bekannt gemacht wird«, erklärte Evelyn ihr.

Schüchtern? dachte. Catherine. Der Mann ist unheimlich. Und der soll ein Genie sein? Was für ein Job ist das hier bloß?

In Athen, in seinem Büro in der Agiou Geronda, ließ Constantin Demiris sich vom Chauffeur Alfred aus London telefonisch Bericht erstatten.

«Ich habe Miss Alexander vom Flughafen aus direkt in ihre Wohnung gefahren, Mr. Demiris. Wie von Ihnen angeordnet, habe ich sie gefragt, ob sie sonst irgendwohin gebracht zu werden wünsche, aber sie hat verneint.«

«Sie hat also keinen Kontakt zu irgendwem aufgenommen?«

«Nein, Sir. Es sei denn, sie hat von der Wohnung aus telefoniert,

Sir.«

Diese Möglichkeit machte Demiris keine Sorgen. Die Haushälterin Anna würde ihm ebenfalls Bericht erstatten. Er legte zufrieden den Hörer auf. Catherine stellte also keine unmittelbare Gefahr für ihn dar, und er würde dafür sorgen, daß sie ständig überwacht wurde. Sie stand ganz allein auf der Welt. Der einzige, an den sie sich hilfesuchend wenden konnte, war ihr Wohltäter Constantin Demiris. Ich muß bald eine Londonreise einplanen, überlegte er sich freudig. Sehr bald.

Catherine Alexander fand ihre neue Stellung interessant. Aus Constantin Demiris' weltumspannendem Reich gingen täglich Berichte ein: Produktionsziffern eines Stahlwerks in Indiana,

Ergebnisse der Betriebsprüfung einer Autofabrik in Italien, Abrechnungen eines Pressekonzerns in Australien, einer Goldmine, einer Versicherungsgesellschaft. Catherine stellte die Daten übersichtlich zusammen und gab sie sofort an Wim Vandeen weiter. Wim überflog sie, wobei sein eigenartig begabtes Gehirn auf Hochtouren arbeitete, und errechnete fast augenblicklich, wieviel Prozent Gewinn oder Verlust diese Zahlen für die Hellenic Trade Corporation bedeuteten.

Catherine machte es Spaß, ihre neuen Kollegen besser kennenzulernen. Die Schönheit des alten Gebäudes, in dem sie arbeitete, begeisterte sie jeden Tag aufs neue.

Als sie das Evelyn Kaye in Wims Gegenwart erzählte, sagte dieser:»Dieses Gebäude ist 1721 von Sir Christopher Wren als königliches Zollhaus erbaut worden. Nach dem großen Feuer von London hat Christopher Wren fünfzig Kirchen wiederaufgebaut. Seine berühmtesten Kirchen sind St. Paul's, St. Michaels und St. Bride's. Seine bekanntesten Profanbauten sind die Royal Exchange und das Burlington House. Er ist 1723 gestorben und liegt in St. Paul's begraben. Dieses Haus ist 1907 zu einem Bürogebäude umgebaut worden. Sein Keller hat während der deutschen

Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg als öffentlicher Schutzbunker gedient.«

Der noch existierende Luftschutzraum war ein großes bombensicheres Kellergeschoß, das durch eine schwere Stahltür vom übrigen Keller abgetrennt war. Catherine warf einen Blick in den Raum und dachte an die tapferen britischen Männer, Frauen und Kinder, die hier vor dem Bombenhagel von Hitlers Luftwaffe Schutz gefunden hatten.

Der eigentliche Keller war riesig und erstreckte sich unter dem ganzen Gebäude. Hier unten standen ein großer Heizkessel und ein Dutzend Schaltschränke der Telefonanlagen der Firmen in diesem Gebäude. Der alte Heizkessel hatte seine Mucken. Catherine hatte schon mehrmals Wartungstechniker in den Keller begleitet, damit sie sich den Kessel ansehen konnten. Jeder von ihnen werkelte daran herum, behauptete, jetzt funktioniere er wieder, und ging.

«Er sieht so gefährlich aus«, meinte Catherine.»Kann er vielleicht mal explodieren?«

«Nein, Miss, natürlich nicht! Sehen Sie das Sicherheitsventil hier? Sollte der Kessel jemals zu heiß werden, kann der Überdruck durch das Ventil ausgeglichen werden, und alles ist wieder in Butter. Kein Problem, Miss.«

War der Arbeitstag dann zu Ende, gab es London zu entdecken. London… ein Füllhorn wunderbarer Konzerte, Ballettabende und Theatervorstellungen. Es gab interessante alte Buchhandlungen wie Foyles oder Hatchards, Dutzende von Museen, kleine Antiquitätengeschäfte und Restaurants. Catherine besuchte die Lithographiewerkstätten im Cecil Court, kaufte bei Harrods, Fortnum & Mason und Marks &. Spencer ein und trank sonntags Tee im Savoy.

Gelegentlich kamen ihr wieder die alten Bilder und Erinnerungen. So vieles erinnerte sie an Larry. Eine Stimme… eine Redensart… ein Rasierwasser… ein Lied. Nein. Die Vergangenheit ist abgeschlossen. Nur die Zukunft zählt noch. Sie wurde mit jedem Tag stärker.

Catherine freundete sich mit Evelyn Kaye an, und die beiden gingen gelegentlich miteinander aus. An einem Sonntag besuchten sie den Kunstmarkt am Themseufer. Dutzende von jungen und alten Malern zeigten hier ihre Bilder, die keine Galerie ausstellen wollte. Die meisten Gemälde waren schrecklich. Trotzdem kaufte Catherine aus Mitleid eines.

«Und wo willst du's aufhängen?«fragte Evelyn entgeistert.

«Im Heizraum«, sagte Catherine.

Auf ihren Streifzügen durch London sahen sie auch Pflastermaler, die mit Farbkreiden Gemälde auf den Gehsteig zauberten. Manche dieser Arbeiten waren erstaunlich gut. Passanten blieben stehen, um sie zu bewundern und den Künstlern ein paar Münzen in die aufgestellten Blechdosen zu werfen. Eines Nachmittags sah Catherine auf dem Rückweg vom Lunch einem älteren Mann zu, der an einer wundervollen Landschaft arbeitete. Als er gerade fertig wurde, begann es zu regnen, und der Alte stand da und sah zu, wie sein Bild weggewaschen wurde. Fast wie mein bisheriges Leben, dachte Catherine.

Evelyn Kaye nahm Catherine zum Shepherd's Market mit.»Ein interessanter Platz. Er wird dir gefallen.«

Die Szenerie war jedenfalls farbig. Es gab dort das über 300 Jahre alte Restaurant Tiddy Dols, einen Zeitungskiosk, ein Lebensmittelgeschäft, einen Frisiersalon, eine Bäckerei, mehrere Antiquitätengeschäfte und hübsche zwei- bis dreigeschossige Stadthäuser.

Die Namensschilder an einigen der Briefkästen waren merkwürdig. Auf einem stand Helen und darunter FranzösischUnterricht, auf einem anderen Rosie und darunter GriechischLektionen.

«Ist das hier eine Art Sprachenschule?«fragte Catherine.

Evelyn lachte laut.»In gewisser Beziehung schon. Aber die Kenntnisse, die diese Mädchen vermitteln, stehen in keiner Schule auf dem Lehrplan.«

Evelyn lachte noch lauter, als Catherine errötete.

Catherine war viel allein, aber sie führte ein zu aktives Leben, um sich einsam zu fühlen. Sie stürzte sich in ihr neues Leben, als versuche sie, all die kostbaren Augenblicke nachzuholen, um die sie gebracht worden war. Und sie weigerte sich bewußt, sich Sorgen um ihre Vergangenheit oder Zukunft zu machen. Sie besuchte Windsor Castle, Canterbury mit seiner schönen Kathedrale und

Hampton Court. An Wochenenden fuhr sie aufs Land und übernachtete in originellen kleinen Gasthöfen. Sie machte weite Spaziergänge und aß mittags in ländlichen Pubs, über denen noch die Atmosphäre früherer Jahrhunderte zu liegen schien.

Ich lebe dachte sie. Niemand wird als glücklicher Mensch geboren. Jeder ist seines Glückes Schmied. Ich kann für mich sorgen. Ich bin jung und gesund und habe wundervolle Erlebnisse vor mir.

Am Montag würde sie ins Büro zurückkehren. Zurück zu Evelyn und den Mädchen und zu Wim Vandeen.

Wim Vandeen war ihr ein Rätsel.

Catherine hatte noch nie einen Menschen wie ihn kennengelernt. Die Hellenic Trade Corporation hatte 20 Angestellte, und Wim Vandeen kannte von jedem einzelnen das Monatsgehalt, die Abzüge und die Sozialversicherungsnummer. Obwohl alle Geschäftsvorgänge verbucht wurden, speicherte Wim sämtliche Zahlen im Kopf. Er kannte den Cash-flow jeder Abteilung und wußte die Vergleichszahlen für jeden Vormonat — und das über die fünf Jahre hinweg, die er bei der Firma arbeitete.