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In Wim Vandeens Gedächtnis war alles gespeichert, was er jemals gesehen, gehört oder gelesen hatte. Sein Wissensfundus war geradezu unglaublich. Die harmloseste Frage zu irgendeinem Thema konnte eine Informationsflut auslösen — und doch wai er ein ungeselliger Mensch.

Catherine diskutierte mit Evelyn über ihn.»Wim verstehe ich einfach nicht.«

«Wim ist ein Exzentriker«, erklärte Evelyn ihr.»Du mußt ihn einfach so nehmen, wie er ist. Ihn interessieren nur Zahlen. Aus Menschen macht er sich nichts, glaub' ich.«

«Hat er denn Freunde?«

«Nein.«

«Geht er jemals aus? Ich meine — geht er mit Frauen aus?«

«Nein.«

Catherine hatte das Gefühl, Wim sei isoliert und einsam, und empfand eine gewisse Verwandtschaft zu ihm.

Wims enzyklopädisches Wissen verblüffte Catherine immer wieder. Eines Morgens kam sie mit Ohrenschmerzen ins Büro.

«Bei diesem Wetter werden sie bloß schlimmer«, sagte Wim barsch.»An Ihrer Stelle würd' ich zum Ohrenarzt gehen.«

«Danke, Wim. Ich…«

«Das menschliche Ohr besteht aus drei Abschnitten: äußeres Ohr, Mittelohr und inneres Ohr. Zum äußeren Ohr gehören die Ohrmuschel und der durchs Trommelfell vom Mittelohr getrennte äußere Gehörgang. Das Mittelohr besteht aus der Paukenhöhle mit Hammer, Amboß und Steigbügel. Das ovale und das Schneckenfenster führen zum inneren Ohr, dem Labyrinth, das die Bogengänge und die Schnecke mit dem Cortischen Organ umfaßt. Die Ohrtrompete verbindet die Paukenhöhle mit der Rachenhöhle. «Sprach's und ließ sie stehen.

Einige Tage später gingen Evelyn und Catherine mit Wim zum Lunch in den Pub Ram's Head. Im Hinterzimmer spielten die Stammgäste Darts.

«Interessieren Sie sich für Sport, Wim?«fragte Catherine.»Haben Sie sich schon mal ein Baseballspiel angesehen?«

«Baseball«, sagte Wim prompt.»Ein Baseball hat dreiundzwanzig Komma fünf Zentimeter Umfang. Er besteht aus einem mit Garn umsponnenen Hartgummikern und ist mit weißem Leder überzogen. Der Schläger wird im allgemeinen aus Eschenholz hergestellt und hat bei nicht mehr als hundertsechs Zentimeter Länge einen maximalen Durchmesser von nicht mehr als sieben Zentimetern.«

Die Theorie beherrscht er, dachte Catherine, aber hat er je gespürt, wie aufregend es ist, etwas selbst zu tun?

«Haben Sie jemals irgendeinen Sport ausgeübt? Vielleicht Basketball?«

«Basketball wird auf Holz- oder Betonboden gespielt. Der Ball besteht aus einer kugelförmigen Lederhülle mit fünfundsiebzig bis achtzig Zentimeter Umfang, in der eine Gummiblase mit null Komma neun Bar Innendruck steckt. Der Ball wiegt sechshundert bis sechshundertfünfzig Gramm. Dieses Spiel ist 1891 von James Naismith erfunden worden. «Damit war Catherines Frage beantwortet.

Gelegentlich konnte Wim einen in der Öffentlichkeit auch in

Verlegenheit bringen. An einem Sonntag fuhren Evelyn und Catherine mit ihm nach Maidenhead an der Themse, wo sie mittags im Compleat Angler einkehrten. Der Kellner kam an ihren Tisch und sagte:»Heute haben wir frische Miesmuscheln.«

Catherine wandte sich an Wim.»Mögen Sie Miesmuscheln?«

Er legte sofort los.»Mytilus edulis, die gemeine oder eßbare Miesmuschel, mit länglicher, fast keilförmiger Schale und bis acht Zentimeter Länge, meist einfarbig violettblau oder violett gestreift auf hellerem Grund, kommt in fast allen Meeren rings um Europa vor.«

Der Kellner starrte ihn an.»Möchten Sie welche bestellen, Sir?«

«Ich mag keine Muscheln«, knurrte er.

Catherine verstand sich gut mit allen Leuten, mit denen sie zusammenarbeitete, aber Wim bedeutete ihr besonders viel. Er war staunenswert intelligent, aber zugleich auch schüchtern und offenbar sehr einsam.

«Gibt's denn keine Möglichkeit für Wim, ein normales Leben zu führen?«fragte Catherine eines Tages Evelyn.»Sich zu verlieben und zu heiraten?«

Evelyn seufzte.»Ich hab' dir gesagt, wo's bei ihm fehlt. Er kennt keine Gefühle. Er ist zu keiner Bindung fähig.«

Aber das konnte Catherine nicht glauben. In seinem Blick hatte sie schon mehrmals Interesse…Zuneigung… Lachen… aufblitzen sehen. Sie wollte Wim helfen, ihn aus seinem Schneckenhaus locken. Oder hatte sie sich das alles nur eingebildet?

Eines Tages kam eine Einladung zu einem Wohltätigkeitsball im Savoy.

Catherine ging damit in Wims Büro.»Wim, können Sie tanzen?«

Er starrte sie an.»Beim Foxtrott besteht die rhythmische Einheit aus eineinhalb Takten im Viervierteltakt. Der Mann beginnt den Grundschritt mit dem linken Fuß und macht zwei Schritte vorwärts. Die Frau beginnt mit dem rechten Fuß und macht zwei Schritte rückwärts. Nach diesen beiden langsamen Schritten folgt ein rascher Schritt rechtwinklig zu den langsamen Schritten. Um zu dippen, tritt der Mann mit dem linken Fuß vor, gibt im Knie nach — langsam — und bringt dann den rechten Fuß nach vorn — langsam.

Danach tritt er mit dem linken Fuß nach links — schnell — und zieht den rechten Fuß an den linken heran — schnell.«

Catherine stand da und wußte nicht, was sie sagen sollte. Er weiß alle Worte, aber er versteht ihre Bedeutung nicht.

Constantin Demiris rief spätabends an, als Catherine gerade ins Bett gehen wollte.

«Costa«, meldete er sich.»Ich störe doch nicht?«

«Nein, natürlich nicht. «Sie freute sich, seine Stimme zu hören. Sie hätte gern öfter mit ihm gesprochen, ihn um Rat gebeten. Schließlich war er der einzige Mensch auf der Welt, der ihre Vergangenheit wirklich kannte. Er erschien ihr wie ein alter Freund.

«Ich habe in den letzten Tagen oft an Sie gedacht, Catherine. Ich mache mir Sorgen, ob Sie in London nicht zu einsam sind. Schließlich kennen Sie dort fast niemand.«

«Ich fühle mich manchmal ein bißchen einsam«, gab Catherine zu.»Aber ich komme schon zurecht. Ich denke oft an Ihren Rat, die Vergangenheit zu vergessen und nur für die Zukunft zu leben.«

«Richtig! Und weil wir gerade bei der Zukunft sind: Ich bin morgen in London. Wollen Sie abends mit mir zum Essen gehen?«

«Sehr gern«, antwortete Catherine sofort. Sie freute sich schon jetzt darauf. Endlich würde sie Gelegenheit haben, Costa zu sagen, wie dankbar sie ihm war.

Constantin Demiris lächelte in sich hinein, als er den Hörer auflegte. Die Jagd hat begonnen.

Sie dinierten im Ritz. Der Speisesaal war elegant, das Essen köstlich. Aber Catherine war zu aufgeregt, um auf etwas anderes als den Mann zu achten, der ihr gegenübersaß. Sie hatte ihm so viel zu erzählen!

«Die Leute im Büro sind alle sehr nett zu mir«, berichtete Catherine.»Und Wims Gedächtnis verblüfft mich immer wieder. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der… «

Aber Demiris hörte kaum zu. Er beobachtete sie und dachte, wie schön sie war — und wie verletzlich. Ich darf nichts überstürzen. Nein, ich umgarne sie langsam, um den Sieg dann um so mehr auszukosten. Das ist meine Rache an dir, Noelle, an dir und an deinem Liebhaber.

«Sind Sie länger in London?«fragte Catherinegerade.

«Nur zwei oder drei Tage. Ich bin geschäftlich hier. «Das stimmte, aber er wußte recht gut, daß er seine Geschäfte am Telefon hätte abwickeln können. Nein, er war nach London geflogen, um seine Kampagne zu beginnen, Catherine enger an sich zu binden, sie emotional von sich abhängig zu machen. Jetzt beugte er sich vor.»Catherine, habe ich Ihnen schon einmal erzählt, wie ich als junger Mann auf den saudiarabischen Ölfeldern gearbeitet habe?«

Auch am nächsten Abend ging Demiris wieder mit Catherine zum Essen aus.

«Evelyn hat mir erzählt, wie hervorragend Sie im Büro arbeiten. Ich werde Ihr Gehalt erhöhen.«

«Sie sind bisher schon so großzügig gewesen!«wandte Catherine ein.»Ich…«