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Und das war alles gewesen, was sie herausbekommen hatte. Anfangs war sie zu krank gewesen, um sich Sorgen wegen ihrer ungeklärten Vergangenheit zu machen, aber im Laufe der Monate war sie genesen und wieder zu Kräften gekommen.

Als sie sich stark genug fühlte, verbrachte sie ihre Tage damit, in dem strahlenden Licht, das die Landschaft leuchten ließ, und der nach Wein und Zitronen duftenden sanften Brise den üppig blühenden Klostergarten zu pflegen.

Die Atmosphäre, in der sie lebte, war heiter und gelassen, und doch fand sie keine Ruhe. Ich habe mich verirrt, dachte sie, aber niemanden kümmert es. Weshalb nicht? Habe ich etwas Böses getan? Wer bin ich? Wer bin ich? Wer bin ich?

Wieder stiegen Bilder aus ihrem Unterbewußtsein auf. Eines Morgens sah sie sich beim Aufwachen plötzlich in einem Zimmer, in dem ein nackter Mann sie auszog. Nur ein Traum? Oder etwas, das in der Vergangenheit wirklich geschehen war? Wer war dieser Mann? Jemand, mit dem sie verheiratet war? Hatte sie einen Ehemann? Sie trug keinen Ehering. Tatsächlich besaß sie nichts außer der schwarzen Ordenstracht einer Karmelitin, die Mutter Theresa ihr gegeben hatte, und eine Brosche: einen kleinen goldenen Vogel mit Rubinen als Augen und ausgebreiteten Schwingen.

Sie war eine namenlose Unbekannte, eine Fremde, die unter Fremden lebte. Hier gab es niemanden, der ihr helfen konnte — keinen Psychiater, der ihr hätte sagen können, daß ihre Psyche ein so schweres Trauma erlitten hatte, daß sie nur bei Verstand bleiben konnte, indem sie die Schrecken der Vergangenheit verdrängte.

Und die Bilder folgten rascher und immer rascher aufeinander, als habe ihr Gedächtnis sich plötzlich in ein gigantisches Puzzle verwandelt, von dem hier und da einzelne Teile zusammenpaßten. Einmal sah sie sich in einem riesigen Atelier voller Soldaten, in dem offenbar ein Film gedreht wurde. Bin ich Schauspielerin gewesen? Nein, sie schien für irgend etwas verantwortlich zu sein. Aber wofür?

Ein Soldat überreichte ihr einen Blumenstrauß. Den müssen Sie selbst bezahlen, sagte er lachend.

Zwei Nächte später träumte sie wieder von diesem Mann. Sie verabschiedete sich auf einem Flughafen von ihm — und wachte schluchzend auf, weil sie ihn verloren hatte.

Danach fand sie keinen Frieden mehr. Dies waren keine bloßen Träume, sondern Bruchstücke ihres Lebens, ihrer Vergangenheit. Ich muß herausfinden, wer ich gewesen bin. Wer bin ich?

Und eines Nachts gab ihr Unterbewußtsein ganz unerwartet, ohne die geringste Vorwarnung, einen Namen preis. Catherine. Ich heiße Catherine Alexander.

2

Obwohl das Imperium, das Constantin Demiris aufgebaut hatte, auf keiner Landkarte eingetragen war, herrschte er über ein Reich, das größer und mächtiger war als viele Staaten. Er gehörte zu den reichsten Männern der Welt, und sein Einfluß war unermeßlich groß. Er besaß weder Titel noch bekleidete er ein offizielles Amt, doch er kaufte und verkaufte regelmäßig Botschafter, Kardinale, Ministerpräsidenten und Staatsoberhäupter. Demiris hatte seine Tentakel überallhin ausgestreckt und entschied mit über das Wohl und Weh Dutzender von Staaten.

Constantin Demiris war eine charismatische Gestalt: hochintelligent, von imposanter Statur, relativ groß, breitschultrig und muskelbepackt. Sein Gesicht mit dem dunklen Teint beherrschten eine kräftige griechische Nase und pechschwarze Augen. Er sah wie ein Habicht aus, ein Raubvogel. Wenn er wollte, konnte er unwiderstehlich charmant sein. Er beherrschte acht Sprachen und war ein glänzender Erzähler. Er besaß eine der bedeutendsten Kunstsammlungen der Welt, mehrere Privatflugzeuge und ein Dutzend Luxusapartments, Villen und Schlösser in aller Herren Ländern. Er war ein Kenner und Genießer schöner Dinge und schöner Frauen. Als Liebhaber schien er für jede Überraschung gut zu sein, und seine Liebesaffären waren so farbig wie seine finanziellen Abenteuer.

Constantin Demiris war stolz darauf, ein Patriot zu sein. Vor seiner Villa in Kolonaki und auf seiner Privatinsel Psara war stets die blau-weiße griechische Fahne aufgezogen — aber er zahlte keine Steuern. Demiris fühlte sich in keiner Weise verpflichtet, sich an die für gewöhnliche Sterbliche geltenden Gesetze zu halten. In seinen Adern floß Ichor — das Blut der Götter.

Fast alle Menschen, auf die Demiris traf, wollten etwas von ihm: Kapital für ein geschäftliches Projekt, eine Spende für wohltätige Zwecke oder einfach nur die Macht, die ihnen seine Freundschaft verleihen würde. Demiris machte sich einen Spaß daraus herauszubekommen, was diese Leute wirklich wollten — meistens etwas ganz anderes, als sie vorgaben. Sein analytischer Verstand mißtraute jedem äußeren Anschein, so daß er nichts glaubte, was ihm erzählt wurde, und keinem Menschen traute. Journalisten, die aus seinem Leben berichteten, bekamen nur den liebenswürdigen Charme eines kultivierten Mannes von Welt zu sehen. Sie hatten keinen Grund, hinter dieser Fassade den Killer, den Instinkt des Raubtiers zu vermuten.

Er war ein unbarmherziger Mann, der eine Kränkung niemals vergaß. Bei den alten Griechen war das Wort Dikeossini, Gerechtigkeit, oft gleichbedeutend mit Ekdikissis, Rache, gewesen, und Demiris war von beiden besessen. Nie vergaß er eine Beleidigung, die er jemals erlitten hatte, und wer das Unglück hatte, sich seine Feindschaft zuzuziehen, mußte dafür hundertfach büßen. Doch der Betroffene merkte es nicht gleich, denn Constantin Demiris machte seine Rache zu einem Spiel, bei dem er geduldig und voller Genuß komplizierte Fallen konstruierte und raffinierte Netze wob, in denen sich seine Feinde verfingen und zugrunde gingen.

Er studierte seine Opfer sorgfältig, analysierte ihre Persönlichkeit und wog ihre Stärken und Schwächen ab.

Auf einer Abendgesellschaft hatte Demiris einmal zufällig mitbekommen, wie ein Filmproduzent ihn als» diesen schmierigen Griechen «bezeichnete. Demiris wartete geduldig. Zwei Jahre später nahm der Produzent für eine Großproduktion, die er mit eigenen Mitteln drehte, eine weltbekannte Filmschauspielerin unter Vertrag. Demiris wartete, bis der Film zur Hälfte fertig war, dann brachte er die Hauptdarstellerin mit seinem beträchtlichen Charme dazu, die Dreharbeiten abzubrechen, um ihm auf seiner Jacht Gesellschaft zu leisten.

«Das werden unsere Flitterwochen«, versprach Demiris ihr.

Sie bekam die Flitterwochen, aber nicht die Hochzeit. Der Film konnte nicht zu Ende gedreht werden, und der Produzent mußte schließlich Konkurs anmelden.

Es gab einige Figuren in Demiris' Spiel, mit denen er noch alte Rechnungen zu begleichen hatte, aber er hatte es damit nicht eilig. Er genoß die Vorfreude, die Planung und die Ausführung. Heutzutage machte er sich keine Feinde mehr, weil niemand es sich leisten konnte, sein Feind zu sein, deshalb waren seine Opfer ausschließlich Menschen, die früher seine Wege gekreuzt hatten.

Aber Constantin Demiris' Sinn für Dikeossini war ambivalent. So wie er niemals eine Kränkung vergaß, so vergaß er auch nie einen Gefallen. Ein armer Fischer, der ihn als Jungen einmal für kurze Zeit bei sich aufgenommen hatte, fand sich als Eigner einer Fischfangflotte wieder. Eine Prostituierte, die den jungen Mann zum Abendessen eingeladen hatte, als er zu arm gewesen war, um sie zu bezahlen, erbte auf geheimnisvolle Weise ein Mietshaus, ohne jemals zu erfahren, wer ihr Wohltäter gewesen war.

Demiris war als Sohn eines Hafenarbeiters in Piräus auf die Welt gekommen. Er hatte 14 Brüder und Schwestern, für die es daheim nie genug zu essen gab.

Schon in frühester Jugend bewies Constantin Demiris seine geradezu unheimliche Geschäftstüchtigkeit. Das mit Gelegenheitsarbeiten nach der Schule verdiente Geld hielt er so eisern zusammen, daß er schon als Sechzehnjähriger mit einem älteren Partner einen Imbißstand im Hafen aufmachen konnte. Das