«Da werden Sie sich 'ne andere suchen müssen«, rief einer der Reporter.
Napoleon Chotas grinste.»So lange kann ich nicht warten, fürchte ich. «Er stieß die Tür auf, verschwand in der Toilette und schloß hinter sich ab.
Drinnen wartete bereits das Medizinerteam.»Ich hab' mir schon Sorgen um Sie gemacht«, beschwerte sich der Arzt.»Antimon wirkt verdammt schnell. «Er knurrte seinen Assistenten an:»Machen Sie die Magenpumpe fertig!«
Dann wandte er sich wieder an Chotas.»Legen Sie sich auf den Boden. Das wird eine unangenehme Sache, fürchte ich.«
«Wenn ich die Alternative bedenke«, grinste Napoleon Chotas,»macht mir das überhaupt nichts aus.«
Napoleon Chotas' Honorar dafür, daß er Anastasia Savalas das Leben gerettet hatte, betrug eine Million Dollar, die auf einem Schweizer Bankkonto einbezahlt wurden. Chotas besaß eine palastartige Villa in Kolonaki — einem der besten Wohnviertel Athens —, ein Landhaus auf Korfu und ein Apartment in der Pariser Avenue Foch.
Insgesamt gesehen hatte Napoleon Chotas allen Grund, mit dem Leben zufrieden zu sein. Lediglich eine Wolke verdunkelte seinen Horizont.
Der Mann hieß Frederick Stavros und war der neueste Sozius in der Anwaltsfirma Tritsis &. Tritsis. Die anderen Partner beschwerten sich ständig über ihn.
«Er ist zweitklassig, Napoleon. In einer Kanzlei wie dieser hat er nichts verloren
«Stavros hat meinen Fall beinahe vermurkst. Der Mann ist ein Idiot
«Hast du gehört, wie Stavros sich gestern vor Gericht benommen hat? Der Richter hätte ihn beinahe rausgeworfen…«
«Verdammt noch mal, warum schmeißt du diesen Stavros nicht raus? Er ist hier nur das fünfte Rad am Wagen. Wir brauchen ihn nicht, und er schadet unserem Ruf.«
Darüber war Napoleon Chotas sich nur allzusehr im klaren. Und er war beinahe versucht, mit der Wahrheit herauszuplatzen. Ich kann ihn nicht rausschmeißen! Aber er sagte lediglich:»Gebt Stavros eine Chance. Er macht sich noch, ihr werdet schon sehen. «Und das war alles, was seine Partner aus ihm herausbrachten.
Ein Philosoph hat einmal gesagt:»Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst — du könntest es bekommen.«
Frederick Stavros, Sozius in der Anwaltsfirma Tritsis & Tritsis, hatte seinen Wunsch erfüllt bekommen und war seither einer der unglücklichsten Menschen der Welt. Er litt unter Schlaflosigkeit, hatte keinen Appetit mehr und magerte beängstigend ab.
«Du mußt zum Arzt gehen, Frederick«, drängte seine Frau.»Du siehst schrecklich aus.«
«Nein, ich… das würde nichts nützen.«
Er wußte, daß er an etwas litt, das kein Arzt hätte kurieren können. Sein schlechtes Gewissen brachte ihn um.
Frederick Stavros war ein ernsthafter junger Mann, fleißig, ehrgeizig und idealistisch. Er hatte jahrelang eine schäbige Kanzlei im Athener Armen viertel Monastiraki gehabt, für mittellose Mandanten gekämpft und oft auf sein Honorar verzichtet. Als er dann Napoleon Chotas begegnet war, hatte sein Leben sich über Nacht verändert.
Im Jahr zuvor hatte Stavros Larry Douglas verteidigt, der mit Noelle Page wegen gemeinschaftlichen Mordes an Douglas' Frau Catherine vor Gericht gestanden hatte. Der reiche Constantin Demiris hatte Napoleon Chotas mit der Verteidigung seiner Geliebten beauftragt. Stavros war von Anfang an nur allzugern bereit gewesen, Chotas die Führung zu überlassen. Er erstarrte geradezu in Ehrfurcht vor seinem brillanten Kollegen.
«Du solltest Chotas in Aktion erleben«, pflegte er zu seiner Frau zu sagen.»Der Mann ist unglaublich! Ich wollte, ich könnte eines Tages in seine Kanzlei eintreten.«
Als der Prozeß sich seinem Ende näherte, war eine überraschende Wende eingetreten. Napoleon Chotas hatte Noelle Page, Larry Douglas und Frederick Stavros lächelnd in einem kleinen Konferenzraum um sich versammelt.
«Ich komme eben aus einer Besprechung mit den Richtern«, hatte er ihnen erklärt.»Falls die Angeklagten sich schuldig bekennen, wird Mr. Douglas des Landes verwiesen und darf nie mehr nach Griechenland zurückkehren. Noelle wird zu fünf Jahren Haft verurteilt, von denen sie aber nach Abschluß des Revisionsverfahrens nur etwa sechs Monate absitzen muß.«
Noelle Page und Larry Douglas waren sofort bereit gewesen, sich schuldig zu bekennen. Als die Angeklagten und ihre Verteidiger dann vor dem Richtertisch gestanden hatten, um das Urteil zu hören, hatte der Vorsitzende Richter gesagt:»In Fällen, in denen ein Mord nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte, haben griechische Gerichte noch nie auf die Todesstrafe erkannt. Deshalb sind wir offen gesagt erstaunt gewesen, als die Angeklagten, die bisher geleugnet hatten, sich nun schuldig bekannt haben. Somit bleibt uns keine andere Möglichkeit, als die Angeklagten Noelle Page und Lawrence Douglas zum Tode durch Erschießen zu verurteilen. Das Urteil ist binnen dreißig Tagen zu vollstrecken.«
In diesem Augenblick hatte Stavros erkannt, daß Napoleon Chotas sie alle hereingelegt hatte. Eine Absprache mit den Richtern hatte es nie gegeben. Constantin Demiris hatte Chotas nicht damit beauftragt, Noelle Page zu verteidigen, sondern dafür zu sorgen, daß sie verurteilt wurde. Das war seine Rache an der Frau, die ihn betrogen hatte. Und Stavros war ahnungslos an diesem kaltblütigen Komplott beteiligt worden.
Das darfst du nicht zulassen! hatte der junge Anwalt gedacht. Du mußt zum Richter gehen und ihm mitteilen, was Chotas getan hat. Das Urteil muß aufgehoben werden!
Und dann war Napoleon Chotas zu ihm gekommen und hatte gesagt:»Darf ich Sie morgen mittag zum Essen einladen, falls Sie Zeit haben, Frederick? Ich möchte, daß Sie meine Partner kennenlernen… «
Vier Wochen später war Frederick Stavros mit eigenem großen Büro und sehr großzügigem Gehalt Sozius der angesehenen Kanzlei Tritsis & Tritsis. Er hatte seine Seele dem Teufel verkauft.
Aber seine tiefen Schuldgefühle ließen sich nicht abschütteln, und er war inzwischen zu der Erkenntnis gekommen, daß er sich nicht länger an diese schreckliche Abmachung halten konnte. So kann 's nicht weitergehen. Ich bin ein Mörder, sagte er sich.
Dann faßte er einen Entschluß.
Eines Morgens erschien er in aller Frühe in Napoleon Chotas' Arbeitszimmer.»Leon, ich… «
«Mein Gott, Mann, Sie sehen ja furchtbar aus!«stellte Chotas fest.»Wollen Sie nicht ein paar Tage Urlaub machen, Frederick? Das täte Ihnen bestimmt gut.«
Aber Stavros wußte, daß sein Problem damit nicht zu lösen war.»Leon, ich bin Ihnen sehr dankbar für alles, was Sie für mich getan haben, aber ich… ich kann nicht hierbleiben.«
Chotas starrte ihn überrascht an.»Wie meinen Sie das? Sie haben sich doch gut eingewöhnt.«
«Nein. Ich… ich werde aufgerieben.«
«Aufgerieben? Ich verstehe nicht, was Ihnen so zusetzt.«
Frederick Stavros wollte seinen Ohren nicht trauen.»Was Sie…was wir Noelle Page und Larry Douglas angetan haben. Haben Sie… denn gar keine Gewissensbisse?«
Chotas kniff die Augen zusammen. Vorsichtig.»Frederick, manchmal muß man der Gerechtigkeit auf verschlungenen Pfaden zum Sieg verhelfen. «Napoleon Chotas lächelte.»Glauben Sie mir, wir haben uns nichts vorzuwerfen. Die beiden sind schuldig gewesen.«
«Wir haben sie in den Tod geschickt. Wir haben sie reingelegt. Damit kann ich nicht länger leben. Tut mir leid, aber ich kündige hiermit. Ich bleibe nur noch bis zum Monatsende.«
«Ich nehme Ihre Kündigung nicht an«, stellte Chotas nachdrücklich fest.»Warum tun Sie nicht, was ich vorgeschlagen habe? Machen Sie ein paar Tage Urlaub, damit…«
«Nein! Mit dem, was ich weiß, könnte ich hier nie glücklich werden. Tut mir leid, Leon.«
Chotas musterte ihn mit kaltem Blick.»Ist Ihnen überhaupt klar, was Sie tun? Sie werfen eine brillante Karriere einfach weg… Ihr ganzes Leben.«
«Nein, ich rette mein Leben.«