Geschäft florierte, aber sein Partner brachte ihn durch Betrug um seinen Anteil. Demiris brauchte zehn Jahre, um den Mann zu vernichten. Der Junge brannte förmlich vor Ehrgeiz. Oft lag er nachts wach und starrte mit leuchtenden Augen in die Dunkelheit. Ich werde reich sein. Ich werde berühmt sein. Eines Tages wird jeder meinen Namen kennen. Das war das einzige Wiegenlied, bei dem er Schlaf fand. Er hatte keine Ahnung, wie es dazu kommen würde. Er wußte nur, daß es geschehen würde.
Als Constantin Demiris an seinem 17. Geburtstag auf einen Zeitungsartikel über die Ölfelder Saudi-Arabiens stieß, hatte er das Gefühl, ihm würde sich plötzlich ein Zaubertor in die Zukunft öffnen.
«Ich gehe nach Saudi-Arabien«, erklärte er seinem Vater.»Ich werde auf den Ölfeldern arbeiten.«
«Stasou! Was verstehst du schon von Ölfeldern?«
«Nichts, Vater. Aber ich werde es lernen.«
Einen Monat später war Constantin Demiris unterwegs nach Saudi-Arabien.
Bei der Trans-Continental Oil Corporation war es üblich, daß ausländische Angestellte einen Zweijahresvertrag unterschrieben, aber das störte Demiris nicht weiter. Er hatte die Absicht, in SaudiArabien zu bleiben, bis er sein Glück gemacht hatte. Er hatte sich wundervolle Abenteuer aus 1001 Nacht und ein geheimnisvolles Märchenland mit exotischen Schönheiten und aus der Erde sprudelndem schwarzem Gold vorgestellt. Die Wirklichkeit war ein Schock.
Frühmorgens an einem Sommertag kam Demiris in Fadhili an, einem trostlosen Camp mitten in der Wüste, dessen häßliche Steingebäude von Barastis umgeben waren. In diesen kleinen Hütten aus Ästen und Zweigen hausten rund tausend einfache Arbeiter, die meisten von ihnen Saudis. Die wenigen Frauen, die über die staubigen Straßen schlurften, waren tief verschleiert.
Demiris betrat das Gebäude, in dem J.J. McIntyre, der Personalchef, sein Büro hatte.
Mclntyre hob den Kopf, als der junge Mann hereinkam.»So, Sie sind von der Zentrale angestellt worden, was?«
«Ja, Sir.«
«Schon mal auf Ölfeldern gearbeitet, Sohn?«
Demiris war sekundenlang versucht zu lügen.»Nein, Sir.«
Mclntyre grinste.»Hier wird's Ihnen gefallen! Eine Million Meilen von jeglicher Zivilisation entfernt, schlechtes Essen, keine Frauen, die Sie anfassen dürfen, ohne den Pimmel abgeschnitten zu kriegen, und Abend für Abend diese gottverdammte Langeweile. Aber die Bezahlung ist gut, was?«
«Ich bin hier, um zu lernen«, sagte Demiris ernsthaft.
«Ach wirklich? Dann erzähle ich Ihnen am besten, was Sie als erstes lernen müssen. Sie sind jetzt in einem islamischen Land. Das bedeutet absolutes Alkoholverbot. Wer beim Stehlen erwischt wird, kriegt die rechte Hand abgehackt. Beim zweiten Mal die linke. Beim dritten Mal einen Fuß. Mörder werden geköpft.«
«Ich habe nicht vor, jemanden zu ermorden.«
«Warten Sie's ab«, grunzte Mclntyre.»Sie sind eben erst angekommen.«
Im Lager herrschte ein babylonisches Sprachgewirr, weil die Arbeiter und Angestellten aus aller Herren Ländern sich ihrer Muttersprache bedienten. Mit seinem guten Ohr für Sprachen war Demiris bald in der Lage, ihren Unterhaltungen zu folgen. Die Männer bauten Straßen durch die Wüste, errichteten Unterkünfte, stellten Generatoren auf, verlegten Telefonkabel, richteten Werkstätten ein, Wasserleitungen und Drainagen und erfüllten Hunderte von weiteren Aufgaben. Sie schufteten bei Temperaturen von über 40 °C im Schatten und litten unter Fliegen, Moskitos, Sandstürmen, Fieber und Ruhr.
Selbst hier in der Wüste gab es eine gesellschaftliche Hierarchie. Ganz oben standen die Männer, die nach Öl suchten, und unten waren die Bauarbeiter zu finden, die» Holzköpfe «hießen, und das als» Glanzhosen «bezeichnete Büropersonal.
Fast alle Männer, die mit der eigentlichen Ölsuche zu tun hatten — die Geologen, Vermesser, Ingenieure und Petrolchemiker —, waren Amerikaner, denn der neue Gestängebohrer war in den Vereinigten
Staaten entwickelt worden, und die Amerikaner beherrschten seine Handhabung am besten. Constantin Demiris bemühte sich sehr um ihre Freundschaft.
Der junge Mann verbrachte möglichst viel Zeit in Gesellschaft der Bohrleute und bestürmte sie unermüdlich mit Fragen. Die so gewonnenen Informationen sog er auf wie der heiße Wüstensand das Wasser.
«Wird der Bohrmeißel nicht stumpf, wenn er ständig arbeitet?«
«Natürlich. Dann müssen wir das gottverdammte Bohrgestänge raufziehen, unten einen neuen Bohrmeißel dranschrauben und das Gestänge wieder runterlassen. Willst du auch mal Driller werden?«
«Nein, Sir. Ich werde Ölquellen besitzen.«
«Glückwunsch. Kann ich jetzt weiterarbeiten?«
«Entschuldigung, woher wissen Sie, wo Sie bohren müssen?«
«Wir haben viele Geologen — Steinschnüffler —, die unterirdische Schichten vermessen und Gesteinsproben analysieren. Danach sind die Seilwürger an der Reihe, um
«Entschuldigung, was ist ein Seilwürger?«
«Ein Driller. Sobald sie…«
Constantin Demiris arbeitete vom frühen Morgen bis Sonnenuntergang, transportierte Bohrtürme durch die glutheiße Wüste, säuberte Bohrausrüstungen und lenkte Lastwagen an aus felsigen Hügeln austretenden Flammenzungen vorbei. Diese Flammen brannten Tag und Nacht und fackelten die austretenden giftigen Gase ab.
J. J. Mclntyre hatte Demiris die Wahrheit gesagt. Das Essen war schlecht, die Unterkünfte waren elend, und abends gab es keinerlei Unterhaltung. Noch schlimmer war, daß Demiris das Gefühl hatte, alle Poren seines Körpers wären mit Sandkörnern verstopft. Die Wüste lebte, und niemand konnte ihr entrinnen. Der Sand drang in die Hütte, durch seine Kleidung und in seinen Körper, bis er glaubte zu verzweifeln. Aber es sollte alles noch schlimmer kommen.
Der Schamal brach los. Einen Monat lang heulten Tag für Tag Sandstürme mit einer Intensität über das Lager hinweg, die einen
Mann zum Wahnsinn treiben konnte.
Demiris starrte durch einen Türspalt seines Barasti in die wirbelnden Sandschwaden hinaus.»Sollen wir etwa dort draußen arbeiten?«
«Da hast du verdammt recht, Charlie-Boy! Du bist hier nicht auf Kur!«
Überall um sie herum wurde Öl entdeckt. Aus Abu Hadriya, aber auch aus Quatif und Haradh meldete man neue Funde, und die Arbeiter mußten Überstunden machen.
Zu den Neuankömmlingen im Lager gehörten ein englischer Geologe und seine Frau. Henry Potter war Ende Sechzig und seine Frau Sybil Anfang Dreißig. In jeder anderen Umgebung hätte Sybil Potter als durchschnittlich aussehende, übergewichtige Frau mit hoher, schriller Stimme gegolten. Aber in Fadhili war sie eine atemberaubende Schönheit. Da Henry Potter ständig unterwegs war, um neue Öllagerstätten zu erkunden, blieb seine Frau viel allein.
Der junge Demiris wurde ihr zugeteilt, um ihr beim Einzug zu helfen und die Eingewöhnung zu erleichtern.
«Dies ist das elendste Nest, das ich in meinem Leben gesehen habe«, jammerte Sybil Potter schrill.»Henry schleppt mich ständig in schreckliche Gegenden wie diese hier. Ich weiß überhaupt nicht, warum ich das immer wieder mitmache.«
«Ihr Mann leistet sehr wichtige Arbeit«, erklärte Demiris ihr.
Sie betrachtete den attraktiven jungen Mann abschätzend.»Mein Mann leistet nicht auf allen Gebieten das, was er leisten sollte. Verstehst du, was ich meine?«
Demiris verstand nur allzugut.»Nein, Ma'am.«
«Wie heißt du?«
«Demiris, Ma'am. Constantin Demiris.«
«Wie nennen deine Freunde dich?«
«Costa.«
«Nun, Costa, ich glaube, wir werden sehr gute Freunde werden. Jedenfalls haben wir nichts mit diesen Bimbos gemeinsam, nicht wahr?«
«Bimbos?«
«Du weißt schon — mit diesen Ausländern.«
«Ich muß weiterarbeiten«, sagte Demiris.
In den Wochen darauf erfand Sybil Potter ständig Gründe, um den jungen Mann zu sich zu rufen.
«Henry ist seit heute morgen unterwegs«, erklärte sie ihm.»Wieder zu seiner blöden Bohrerei. «Sie fügte kokett hinzu:»Er sollte mehr zu Hause bohren.«