«Sie sieht wie 'ne Vase aus, find' ich.«
«Äh… ja. Diese Vase ist bei den Ausgrabungen in Knossos im Thronsaal entdeckt worden. Wie Sie sehen, zeigen die Darstellungsfragmente das Einfangen eines Stiers mit einem Netz. Im Altertum wurden Opfertiere mit Netzen gefangen, damit ihr geweihtes Blut nicht vorzeitig vergossen wurde, was
«Wieviel ist sie wert?«unterbrach Rizzoli ihn.
«Schätzungsweise zehn Millionen Dollar.«
Der Amerikaner runzelte die Stirn. »Dafür?«
«Allerdings! Sie stammt schließlich aus der spätminoischen Periode um dreitausend vor Christus.«
Rizzoli sah sich im Saal um, in dem Dutzende von Vitrinen standen.
«Ist alles dieses Zeug so wertvoll?«
«Nein, nein — nur die wirklichen Altertümer. Sie geben uns Aufschluß über das Leben der alten Zivilisationen und sind natürlich unersetzlich. Kommen Sie, ich möchte Ihnen noch etwas zeigen.«
Tony folgte Korontzis in den nächsten Saal. Dort blieben sie vor einer Eckvitrine stehen.
Viktor Korontzis zeigte auf eine Vase.»Sie gehört zu unseren größten Schätzen: eines der frühesten Beispiele für den
Symbolismus phonetischer Zeichen. Dieser Kreis mit dem Kreuz ist die Figur des Ka, eines der frühesten Schriftzeichen, mit dem der Mensch den Kosmos symbolisiert hat. Es gibt insgesamt nur
Das ist doch scheißegal!» Wieviel ist sie wert?«
Der kleine Mann seufzte.»Das Lösegeld eines Königs.«
Als Tony Rizzoli an diesem Vormittag das Museumsgebäude verließ, gingen ihm Zahlen durch den Kopf, die seine kühnsten Träume überstiegen. Durch einen phantastischen Glückszufall war er auf eine Goldmine gestoßen. Er hatte ein Maultier gesucht — und statt dessen den Schlüssel zu einer wahren Schatzkammer gefunden.
Die Gewinne aus dem Heroingeschäft mußten durch sechs geteilt werden. Niemand war dämlich genug zu versuchen, die Familie reinzulegen — aber diese Sache mit den Altertümern war etwas völlig anderes. Gelang es ihm, so etwas aus Griechenland hinauszuschmuggeln, war das ein Nebenerwerb, dessen Gewinne allein ihm gehörten. Rizzoli hatte allen Grund, in Hochstimmung zu sein. Jetzt muß ich mir nur noch überlegen, wie ich den Fisch ködere. Die Suche nach einem Maultier hat Zeit bis später.
An diesem Abend lud Tony Rizzoli seinen neuen Freund in den etwas anrüchigen Nachtclub Mostroph Athena ein, dessen attraktive Hostessen nach der Show zur Unterhaltung der Gäste zur Verfügung standen.
«Was halten Sie davon, wenn wir zwei Miezen mitnehmen und uns ein bißchen amüsieren?«schlug Rizzoli vor.
«Ich müßte heim zu meiner Familie«, wandte Korontzis ein.»Außerdem kann ich mir so was leider nicht leisten.«
«He, Sie sind mein Gast! Ich kriege großzügige Spesen. Kostet mich keinen Cent.«
Rizzoli sorgte dafür, daß eines der Mädchen Korontzis mit auf ihr Zimmer nahm.
«Kommen Sie denn nicht mit?«fragte der kleine Mann.
«Ich hab' noch was zu erledigen«, behauptete Tony.»Fahren Sie ruhig voraus. Alles ist schon geregelt.«
Am nächsten Morgen erschien Tony Rizzoli wieder im Museum, in dessen Sälen sich Touristen drängten, um die antiken Schätze zu bewundern.
Korontzis führte den Amerikaner in sein Büro. Er errötete tatsächlich.»Ich… ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen für letzte Nacht danken soll, Tony. Sie… es ist wunderbar gewesen!«
Tony Rizzoli winkte lächelnd ab.»Wozu hat man schließlich Freunde, Viktor.«
«Aber ich kann mich doch nicht revanchieren!«
«Das erwarte ich auch nicht«, erklärte Rizzoli ihm ernsthaft.»Sie gefallen mir. Ich bin gern mit Ihnen zusammen. Übrigens findet heute in einem der Hotels eine kleine Pokerpartie statt. Ich spiele mit. Hätten Sie vielleicht auch Interesse?«
«Danke. Ich würd' gern mitmachen, aber…» Er zuckte mit den Schultern.»Ich lass' lieber die Finger davon.«
«Seien Sie kein Spielverderber! Vergessen Sie Ihre Geldsorgen. Ich schieße Ihnen den Einsatz vor.«
Korontzis schüttelte den Kopf.»Sie sind schon zu großzügig zu mir gewesen. Sollte ich verlieren, könnte ich Ihnen das Geld nicht zurückzahlen.«
Tony Rizzoli grinste.»Wer redet denn von verlieren? Das Ganze ist 'ne abgekartete Sache.«
«Abgekartete Sache? Ich… das verstehe ich nicht, fürchte ich.«
«Mein Freund Otto Dalton hat diesen Abend organisiert und hält die Bank«, erklärte Rizzoli ihm ruhig.»In Athen gibt's ein paar reiche amerikanische Touristen, die gern pokern, und Otto und ich wollen bei ihnen absahnen.«
Korontzis starrte ihn mit großen Augen an.»Absahnen? Soll das heißen, daß Sie… daß Sie betrügen wollen?«Er fuhr sich mit der
Zungenspitze über die Lippen.»So was hab' ich noch nie gemacht.«
Rizzoli nickte mitfühlend.»Okay, ich verstehe. Falls Sie Gewissensbisse haben, sollten Sie die Finger davonlassen. Ich hab' mir nur gedacht, daß Sie dabei ohne viel Mühe zwei- bis dreitausend Dollar kassieren könnten.«
Viktor Korontzis riß die Augen noch weiter auf.»Zwei- bis dreitausend Dollar?«
«Klar doch. Mindestens.«
Der kleine Mann fuhr sich erneut mit der Zungenspitze über die Lippen.»Ich… ich… ist das nicht gefährlich?«
Tony Rizzoli lachte.»Wenn's das wäre, war' ich nicht dabei, stimmt's? Die Sache ist ein Kinderspiel. Als >Künstler< ist Otto unerreicht. Er gibt Ihnen jede beliebige Karte von oben, von unten oder aus der Mitte. Obwohl er schon seit Jahren so arbeitet, ist er noch nie erwischt worden.«
Korontzis saß da und starrte den Amerikaner an.
«Wieviel… wieviel würde ich brauchen, um mitspielen zu können?«
«Ungefähr fünfhundert Dollar. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag. Die Sache ist so einfach, daß ich Ihnen die fünfhundert leihe, und falls Sie das Geld doch verlieren, brauchen Sie's nicht mal zurückzuzahlen.«
«Das ist sehr großzügig von Ihnen, Tony. Warum… warum tun Sie das für mich?«
«Ganz einfach«, antwortete Rizzoli im Brustton tiefster Überzeugung.»Wenn ich einen anständigen, fleißigen Mann wie Sie sehe, dessen verantwortliche Stellung als Kurator in einem der wichtigsten Museen der Welt vom Staat nicht mal soweit gewürdigt wird, daß er ein ordentliches Gehalt kriegt, und der Mühe hat, seine Familie zu ernähren — nun, das geht mir ehrlich gesagt gegen den Strich, Viktor. Wie lange liegt Ihre letzte Gehaltserhöhung schon zurück?«
«Hier… hier gibt's keine Gehaltserhöhungen.«
«Da haben wir's! Hören Sie mir mal gut zu. Sie haben die Wahl, Viktor. Sie können sich heute abend von mir einen kleinen Gefallen tun lassen, damit Sie ein paar tausend Dollar verdienen und für 'ne ganze Weile besser leben können. Oder Sie können bis ans Ende Ihrer Tage weiter von der Hand in den Mund leben.«
«Ich… ich weiß nicht recht, Tony. Ich bin kein Mensch, der…«
Tony Rizzoli stand auf.»Gut, ich verstehe. Ich bin wahrscheinlich in ein, zwei Jahren wieder in Athen — vielleicht können wir uns dann mal zusammensetzen. Hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Viktor. «Er ging zur Tür.
Korontzis traf seine Entscheidung.»Warten Sie doch! Ich… ich möchte heute abend mitkommen.«
Er hatte angebissen.»He, das ist großartig!«sagte Tony Rizzoli.»Ich freue mich wirklich, Ihnen ein bißchen helfen zu können.«
Viktor Korontzis zögerte.»Verzeihen Sie, aber ich möchte sichergehen, daß ich Sie richtig verstanden habe. Sie haben gesagt, daß ich die fünfhundert Dollar nicht zurückzuzahlen brauche, falls ich sie verliere?«
«Stimmt!«bestätigte Rizzoli.»Aber Sie können gar nicht verlieren. Dafür sorgt mein Freund Otto.«
«Und wo soll gespielt werden?«
«Zimmer vierhundertdreißig im Hotel Metropol. Um zweiundzwanzig Uhr. Sagen Sie Ihrer Frau, daß Sie Überstunden machen müssen.«
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