Endlich! Catherine hielt die Flasche in ihren gefesselten Händen. Sie umklammerte sie, hob beide Arme, ließ sie nach unten fallen und schmetterte die Flasche auf den Betonboden. Aber das Glas blieb heil. Sie versuchte es noch mal. Nichts. Das Thermometer kletterte unablässig. 170 °C! Catherine holte tief Luft und schmetterte die Flasche mit letzter Kraft auf den Beton. Diesmal zersprang sie klirrend. Großer Gott, ich danke dir!
Catherine hielt den abgebrochenen Flaschenhals mit einer Hand umklammert und machte sich daran, ihre Fesseln zu durchschneiden. Die scharfen Glaskanten zerschnitten ihr die Handgelenke, aber sie spürte keinen Schmerz. Und plötzlich waren ihre Hände frei, fetzt die Fuß fesseln!
Das Thermometer stand auf 190 °C. Aus dem Kessel fauchten jetzt armdicke Dampfstrahlen. Catherine kam schwankend auf die Beine. Selbst wenn Atanas die Kellertür nicht verriegelt hatte, würde sie nicht mehr rechtzeitig vor der Explosion aus dem Gebäude kommen.
Catherine rannte zum Kessel hinüber und riß an dem Holzstück, mit dem das Sicherheitsventil blockiert war. Aber es saß unverrückbar fest. 200° C!
Ihr blieben nur noch Sekunden. Sie lief zu der in den Luftschutzkeller führenden zweiten Tür, war mit einem Sprung hindurch und knallte die massive Tür hinter sich zu. Sie warf sich schweratmend auf den Betonboden des riesigen Schutzraums. Sekunden später ließ eine gewaltige Explosion den Raum erzittern. Catherine lag nach Atem ringend im Dunkel und hörte das Brausen der Flammen hinter der brandsicheren Schutzraumtür. Sie war gerettet. Alles war vorüber. Nein, noch nicht. Ich habe noch eine Rechnung offen.
Als die Feuerwehrleute sie eine Stunde später aus den immer noch schwelenden Ruinen führten, war Alan Hamilton da. Catherine warf sich in seine Arme, und er hielt sie an sich gedrückt.
«Catherine… Liebling. Ich hab' solche Angst um dich gehabt! Wie bist du…?«
«Später«, sagte Catherine.»Erst müssen wir Atanas Stavitsch aufhalten!«
33
Die Trauung fand im engsten Familienkreis auf dem Landsitz von Alans Schwester in Sussex statt. Catherines neue Schwägerin erwies sich als liebenswürdige Gastgeberin, die genauso aussah wie auf dem gerahmten Foto auf dem Schreibtisch ihres Bruders. Ihr Sohn besuchte zur Zeit eine Internatsschule. Nach einem geruhsamen Wochenende auf dem Land flogen Catherine und Alan nach Venedig in die Flitterwochen.
Venedig glich einer farbenprächtigen Seite aus einem mittelalterlichen Geschichtsbuch: eine zauberhafte Lagunenstadt aus einer Unzahl Inseln, Kanälen und Brücken. Catherine und Alan Hamilton landeten auf dem Aeroporto Marco Polo nördlich von Venedig, fuhren mit einem Motorboot zur Endhaltestelle am Markusplatz und quartierten sich im Royal Danieli ein — einem schönen alten Hotel in der Nähe des Dogenpalasts.
Vor den Fenstern ihrer mit herrlichen antiken Möbeln eingerichteten Luxussuite breitete sich der Canale Grande aus.
«Was möchtest du als erstes tun?«fragte Alan.
Catherine trat auf ihn zu und umarmte ihn.»Dreimal darfst du raten!«
Sie packten später aus.
Venedig war Balsam auf Catherines Wunden. Sie vergaß ihre grauenhaften Alpträume und die Schrecken der Vergangenheit.
Gemeinsam mit Alan erforschte sie die Stadt. Der nur wenige Meter von ihrem Hotel entfernte Markusplatz war zeitlich Jahrhunderte entfernt. Die Markuskirche, deren Mauern und Gewölbe mit atemberaubenden Fresken und Mosaiken bedeckt waren, war Kathedrale und Kunstgalerie zugleich.
Sie besichtigten den Dogenpalast mit seinen herrlich ausgemalten Zimmern und Sälen und standen auf der Seufzerbrücke, über die in früheren Jahrhunderten Gefangene in den Tod gegangen waren.
Sie besuchten Kirchen und Museen und einige der vorgelagerten Inseln. Sie fuhren nach Murano, um die Glasbläser zu bewundern, und sahen auf der Insel Burano Frauen beim Spitzenklöppeln zu. Sie nahmen das Motorboot zur Insel Torcello und dinierten auf der Insel Giudecca im wundervollen Garten des Hotels Cipriani.
Der Garten erinnerte Catherine an den Klostergarten, und sie dachte daran, wie einsam sie dort gewesen war. Und sie sah über den Tisch hinweg ihren Liebsten an und dachte: Lieber Gott, ich danke dir.
Gegen Ende ihrer Hochzeitsreise ging an einem Freitag überraschend ein starkes Gewitter los.
Catherine und Alan flüchteten sich völlig durchnäßt in ihr Hotel. Danach standen sie am Fenster und sahen in den Wolkenbruch hinaus.
«Das mit dem Regen dort draußen tut mir leid, Mrs. Hamilton«, sagte Alan.»Die Prospekte haben Sonnenschein versprochen.«
Catherine lächelte.»Was für ein Regen? Ich bin so glücklich, Alan.«
Blitze zuckten über den Himmel, und der fast gleichzeitige Donner war ohrenbetäubend laut. Bei Catherine weckte er die Erinnerung an ein anderes Geräusch: die Kesselexplosion.
Sie drehte sich zu Alan um.»Sollte heute nicht das Urteil verkündet werden?«
Er zögerte.»Ja. Ich habe nichts davon gesagt, weil…«
«Nein, das ist in Ordnung. Ich möchte es wissen.«
Alan nickte, nachdem er sie prüfend gemustert hatte.»Du hast recht.«
Catherine sah ihm zu, wie er ans Radio trat und das Gerät anstellte. Er suchte die Skala ab, bis er die BBC-Nachrichten gefunden hatte.
….. darauf hin ist der Ministerpräsident heute zurückgetreten. Er will jedoch versuchen, eine neue Koalitionsregierung zu bilden. «Im Lautsprecher knackte es immer wieder, und die Stimme des Nachrichtensprechers schwankte.
«Das kommt von diesem verdammten Gewitter«, stellte Alan fest.
Der Ton wurde erneut lauter.»In Athen ist der Prozeß gegen den Großreeder Constantin Demiris vor wenigen Minuten mit der Urteilsverkündung zu Ende gegangen. Zur allgemeinen Überraschung der Prozeßbeobachter wurde der Angeklagte
Das Radio verstummte.
Catherine runzelte die Stirn.»Wie… wie könnte das Urteil gelautet haben?«
Ihr Mann nahm sie in die Arme und sagte:»Das hängt davon ab, ob man an Happy-Ends glaubt.«
Epilog
Fünf Tage vor Beginn der Verhandlung gegen Constantin Demiris sperrte ein Aufseher seine Zellentür auf.
«Besuch für Sie.«
Constantin Demiris hob den Kopf. Außer seinem Verteidiger hatte er bisher keinen Besuch empfangen dürfen. Er weigerte sich, Neugier erkennen zu lassen. Diese Schweinehunde behandelten ihn wie einen gewöhnlichen Kriminellen. Aber er würde ihnen nicht die Befriedigung verschaffen, Gefühle zu zeigen. Er folgte dem Aufseher den Korridor entlang in ein kleines Besprechungszimmer.
«Dort drinnen.«
Demiris betrat den Raum und blieb an der Tür stehen. Vor ihm saß ein schwerbehinderter alter Mann in einem Rollstuhl. Das Gesicht unter seinem weißen Haar war ein grausiges Flickwerk aus verbrannten und vernarbten Hautstücken. Seine Lippen waren für ewig zu einem gräßlichen Lächeln verzerrt. Demiris brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, wer der Besucher war. Dann wurde er aschfahl.»Mein Gott!«
«Ich bin kein Gespenst«, sagte Napoleon Chotas.»Komm nur rein, Costa.«
Demiris fand seine Stimme wieder.»Aber das Feuer…«
«Ich bin aus dem Fenster gesprungen und habe mir das Rückgrat gebrochen. Mein Butler hat mich fortgeschafft, bevor die Feuerwehr kam. Ich wollte nicht, daß du erfährst, daß ich mit dem Leben davongekommen war. Ich hatte nicht die Kraft, den Kampf gegen dich fortzusetzen.«
«Aber… die Polizei hat einen Toten gefunden.«
«Das war mein Hausmeister.«
Demiris sank auf einen Stuhl.»Ich… ich bin froh, daß du lebst«, sagte er mit schwacher Stimme.