Mit Anschuldigungen und Gegenanschuldigungen, Gutachten und Berichten von Spurensicherung und Gerichtsmediziner wogte das Verfahren weitere fünf Tage hin und her. Nach allgemeiner Ansicht war Constantin Demiris vermutlich schuldig.
Napoleon Chotas hob sich seinen Knüller bis zuletzt auf. Dann rief er Spyros Lambrou in den Zeugenstand. Vor Prozeßbeginn hatte Constantin Demiris einen Vertrag unterzeichnet, mit dem er die Hellenic Trade Corporation mit sämtlichen Aktiva auf seinen Schwager übertrug. Einen Tag zuvor hatte er sein Imperium bereits Napoleon Chotas überschrieben, der es aber nur bekommen würde, wenn er, Demiris, freigesprochen würde.
«Herr Lambrou, Sie und Ihr Schwager Constantin Demiris haben sich nie sonderlich gut vertragen, nicht wahr?«
«Ja, das stimmt.«
«Könnte man nicht sogar sagen, daß Sie einander hassen?«
Lambrou sah zu Constantin Demiris hinüber.»Das wäre vielleicht sogar noch untertrieben.«
«Am Tag der Ermordung Ihrer Schwester hat Constantin Demiris der Kriminalpolizei gegenüber ausgesagt, er sei nicht einmal in der Nähe seines Strandhauses gewesen. Er hat weiterhin angegeben, er habe sich um fünfzehn Uhr — also zum Zeitpunkt des Todes Ihrer Schwester — mit Ihnen in Akro-Korinth getroffen. Bei Ihrer polizeilichen Vernehmung haben Sie dieses Treffen abgestritten.«
«Ja, das habe ich getan.«
«Weshalb?«
Spyros Lambrou antwortete nicht gleich. Dann war der Zorn in seiner Stimme unüberhörbar.»Demiris hat meine Schwester wie ein Stück Dreck behandelt. Er hat sie ständig gedemütigt und gequält. Diesmal hat er mich gebraucht, um ein Alibi zu haben. Aber ich wollte ihm keines liefern.«
«Und jetzt?«
«Ich kann nicht länger mit einer Lüge leben. Ich muß einfach die Wahrheit sagen!«
«Haben Sie sich an dem bewußten Nachmittag mit Constantin Demiris in Akro-Korinth getroffen?«
«Ja, das habe ich.«
Ein Aufschrei ging durch den Saal. Delma, der blaß geworden war, stand auf.»Hohes Gericht, ich erhebe Einspruch gegen…«
«Einspruch abgelehnt!«
Der Staatsanwalt sank auf seinen Stuhl zurück. Constantin Demiris hatte sich mit glitzernden Augen vorgebeugt.
«Erzählen Sie uns von diesem Treffen. Haben Sie es vorgeschlagen?«
«Nein. Das Treffen ist Melinas Idee gewesen. Sie hat uns beide reingelegt.«
«Wie reingelegt?«
«Melina hat mich angerufen und behauptet, ihr Mann wolle sich dort oben in meiner Jagdhütte mit mir treffen, um mit mir einen Waffenstillstand zu schließen. Dann hat sie Demiris angerufen und ihm weisgemacht, ich wolle mich aus den gleichen Gründen dort oben mit ihm treffen. Nach unserer Ankunft haben wir festgestellt, daß wir einander nichts zu sagen hatten.«
«Und dieses Treffen hat nachmittags zu der Zeit stattgefunden, als Frau Demiris zu Tode kam?«
«Ja, das stimmt.«
«Von Akro-Korinth zum Strandhaus des Angeklagten fährt man etwa drei Stunden. Das habe ich nachprüfen lassen. «Napoleon Chotas wandte sich an die Geschworenen.»Da Constantin Demiris um fünfzehn Uhr in Akro-Korinth war, kann er unmöglich vor achtzehn Uhr in seinem Strandhaus gewesen sein. «Chotas drehte sich wieder zu Spyros Lambrou um.»Sie stehen unter Eid, Herr Lambrou. Ist das, was Sie soeben ausgesagt haben, die reine Wahrheit?«
«Ja, so wahr mir Gott helfe.«
Die Geschworenen berieten vier Stunden lang. Constantin Demiris beobachtete sie gespannt, als sie in den Saal zurückkamen. Er wirkte blaß und ängstlich. Napoleon Chotas achtete nicht auf die Geschworenen. Er konzentrierte sich auf Demiris, dessen Arroganz und Selbstbewußtsein sich verflüchtigt hatten. Er sah wie ein Mann aus, der den Tod vor Augen hat.
«Meine Damen und Herren Geschworenen, sind Sie zu einem Urteilsspruch gelangt?«fragte der Vorsitzende Richter.
Der Geschworenensprecher stand auf.»Ja, Hohes Gericht. Der Angeklagte ist nicht schuldig.«
Im Saal brach ein Tumult aus. Die Zuhörer schrieen durcheinander; manche klatschten Beifall, andere protestierten lautstark.
Constantin Demiris strahlte übers ganze Gesicht. Er atmete tief durch, stand auf und ging zu Napoleon Chotas hinüber.»Leon, du hast es geschafft!«sagte er.»Ich schulde dir viel!«
Chotas sah ihm in die Augen.»Jetzt nicht mehr. Ich bin sehr reich, und du bist sehr arm. Komm, das muß gefeiert werden!«
Demiris schob den Rollstuhl mit dem kleinen Anwalt durchs Gewühl, an den herandrängenden Reportern vorbei und auf den Parkplatz hinaus. Napoleon Chotas deutete auf eine in der Nähe der Einfahrt geparkte schwere Limousine.»Mein Wagen steht dort drüben.«
Constantin Demiris schob ihn zur Fahrertür.»Hast du keinen Chauffeur?«
«Ich brauche keinen. Ich habe den Wagen so umrüsten lassen, daß ich ihn selbst fahren kann. Hilf mir hinein.«
Demiris sperrte die Fahrertür auf und hob Chotas hinter das Lenkrad. Er klappte den Rollstuhl zusammen und legte ihn in den Kofferraum. Danach setzte er sich neben Napoleon Chotas.
«Du bist noch immer der beste Straf Verteidiger der Welt«, behauptete Constantin Demiris.
«Ja. «Chotas legte den ersten Gang ein und fuhr an.»Was hast du jetzt vor, Costa?«
«Oh, ich komme schon irgendwie zurecht«, antwortete Demiris vorsichtig. Mit zehn Millionen Dollar Startkapital kann ich mein Imperium neu aufbauen. Demiris lachte vor sich hin.»Spyros wird verdammt sauer sein, wenn er merkt, wie du ihn reingelegt hast.«
«Aber er kann nichts dagegen machen«, versicherte Chotas ihm.»Mit dem Vertrag, den er unterzeichnet hat, bekommt er eine völlig mittellose Firma.«
Sie fuhren auf die Berge zu. Constantin Demiris beobachtete, wie Chotas die Hebel bediente, die Kupplungs-, Brems- und Gaspedal ersetzten.»Du kommst erstaunlich gut damit zurecht.«
«Was man braucht, das lernt man auch«, antwortete Chotas.
Sie fuhren eine schmale, steile Bergstraße hinauf.
«Wo fahren wir hin?«
«Ich habe dort oben ein kleines Haus. Wir trinken ein Glas Champagner miteinander, und ich lasse dich mit einem Taxi in die Stadt zurückbringen. Weißt du, Costa, ich habe mir meine Gedanken gemacht. Über alles, was passiert ist… Noelle Pages Tod — und Larry Douglas' Tod. Und über den armen Stavros. Dabei ist es nie um Geld gegangen, stimmt's?«Chotas sah kurz zu Demiris hinüber.»Immer nur um Haß. Um Haß und Liebe. Du hast Noelle geliebt, nicht wahr?«
«Ja«, antwortete Constantin Demiris.»Ich habe Noelle geliebt.«
«Ich habe sie auch geliebt«, sagte Napoleon Chotas.»Das hast du nicht geahnt, stimmt's?«
Demiris starrte ihn überrascht an.»Nein, davon hab' ich nichts gewußt.«
«Und trotzdem habe ich dir geholfen, sie zu ermorden. Das habe
ich mir nie verziehen. Hast du dir selbst vergeben, Costa?«
«Sie hat verdient, was sie bekommen hat.«
«Ich glaube, daß wir letztendlich alle verdienen, was wir bekommen. Ich muß dir übrigens noch etwas erzählen. Dieser Brandanschlag…seit der Nacht, in der mein Haus abgebrannt ist, leide ich entsetzliche Schmerzen. Die Ärzte haben versucht, mich wieder zusammenzuflicken, aber das ist ihnen nicht wirklich gelungen. Ich war zu schwer verletzt. «Er gab Gas. Die Reifen quietschten, als der Wagen eine Haarnadelkurve nahm. Tief unter ihnen wurde das Ägäische Meer sichtbar.
«Tatsächlich sind meine Schmerzen so schlimm«, sagte Chotas,»daß ich das Leben nicht mehr lebenswert finde. «Er beschleunigte weiter.
«Langsamer!«forderte Demiris ihn auf.»Du fährst viel zu…«