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Catherine bewegte sich durch das ungewohnte Gedränge und staunte über die durch die Straßen hastenden Menschenmassen, deren Stimmen sich in einer lauten Kakophonie über sie ergossen. Nach der Einsamkeit und der Stille des Klosters erschien ihr alles unwirklich. Sie schlenderte zur Plaka, der Athener Altstadt, mit ihren verwinkelten Gassen, kleinen alten Häusern, Cafes und weiß verputzten größeren Gebäuden. Irgendein Instinkt, den sie nicht verstand, aber auch nicht zu unterdrücken versuchte, wies ihr den Weg.

Sie kam an einer Taverne vorbei, von deren Dachterrasse aus man die Stadt überblicken konnte, und blieb stehen, um sie anzustarren.

An diesem Tisch habe ich schon einmal gesessen. Jemand hat mir eine griechische Speisekarte in die Hand gedrückt. Wir sind zu dritt gewesen.

Was möchtest du essen? haben sie gefragt.

Bestellt ihr bitte für mich? Ich habe Angst, ich könnte den Wirt bestellen.

Sie haben gelacht. Aber wer sind» sie «gewesen?

Ein Kellner näherte sich ihr. »Boro na sas?«

«Ojchi, efcharisto.«

Kann ich Ihnen helfen? Nein, danke.

Woher habe ich das gewußt? Bin ich eine Griechin?

Catherine hastete weiter und hatte jetzt das Gefühl, von irgend jemandem geführt zu werden. Sie schien genau zu wissen, wohin sie gehen mußte.

Alles erschien ihr vertraut und doch wieder nicht. Großer Gott, dachte sie, ich werde verrückt! Ich habe Halluzinationen. Sie kam an einem Cafe Treflinkas vorbei, das vage Erinnerungen in ihr wachrief. Irgend etwas hatte sich dort ereignet, irgend etwas Wichtiges. Aber sie wußte nicht, was es gewesen war.

Sie ging durch die belebten Gassen weiter und bog an der Voukourestiou nach links ab. Auch an die eleganten Geschäfte in dieser Straße erinnerte sie sich. Hier habe ich früher oft eingekauft.

Als sie die Straße überqueren wollte, kam eine blaue Limousine um die Ecke geschossen und verfehlte sie nur um Haaresbreite.

Sie erinnerte sich an eine Stimme, die ihr erklärte: Hier scheinen alle so zu fahren. Den Übergang zum Auto haben wir Griechen noch nicht geschafft. Im Herzen sind wir Eselstreiber geblieben. Wollen Sie uns Griechen verstehen lernen, müssen Sie statt Reiseführern die alten Tragödien lesen. Wir sind von großartigen Leidenschaften, starken Eifersüchten und tiefer Trauer erfüllt und haben noch nicht gelernt, sie mit zivilisiertem Benehmen zu kaschieren.

Wer hat das zu mir gesagt?

Ein Mann, der ihr eilig entgegenkam, starrte sie an. Er ging langsamer, und seine Miene schien zu besagen, daß er sie wiedererkannte. Er war groß und schwarzhaarig, und Catherine glaubte zu wissen, daß sie ihn noch nie gesehen hatte. Und trotzdem…

«Hallo. «Der Mann schien sich über diese Begegnung sehr zu freuen.

«Hallo. «Catherine holte tief Luft.»Kennen Sie mich?«Er nickte grinsend.»Natürlich kenne ich Sie. «Catherine Alexander fühlte ihr Herz jagen. Endlich würde sie die Wahrheit erfahren! Aber wie konnte sie auf einer belebten Straße einen Unbekannten fragen:»Wer bin ich?«

«Können… können wir irgendwo miteinander reden?«schlug sie vor.

«Ja, das sollten wir.«

Catherine war dicht davor, in Panik zu geraten. Das Rätsel ihrer

Identität sollte nun endlich gelöst werden. Trotzdem hatte sie schreckliche Angst. Was ist, wenn ich die Wahrheit besser nicht hören solltet Wenn ich irgendwas Schreckliches getan habe?

Der Mann führte sie zur nächsten Taverne.»Ich freue mich sehr. Sie getroffen zu haben«, versicherte er ihr.

Catherine schluckte trocken.»Ja, ich auch.«

Ein Kellner wies ihnen einen Tisch an.

«Was möchten Sie trinken?«fragte der Mann.

Sie schüttelte den Kopf.»Danke, nichts.«

Es gab so viele Fragen! Wo soll ich nur anfangen?

«Sie sind sehr schön«, sagte der Mann.»Unsere Begegnung ist ein Wink des Schicksals, finden Sie nicht auch?«

«Ja. «Vor Aufregung zitterte sie beinahe. Sie holte tief Luft.»Ich… Wo haben wir uns kennengelernt?«

Er winkte ab.»Ist das wichtig, Manarimou? In Paris, in Rom, beim Rennen, auf einer Party. «Er griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand.»Du bist hübscher als alle, die ich je hier gesehen habe. Was kostet es bei dir?«

Catherine starrte ihn an. Sie verstand nicht gleich, was er meinte, aber dann sprang sie entsetzt auf.

«He, was hast du plötzlich? Ich zahle, was du…»

Catherine wandte sich abrupt um, verließ fluchtartig das Lokal und hastete die Straße entlang. Erst nach der nächsten Ecke ging sie wieder langsamer. In ihren Augen standen Tränen der Erniedrigung.

Dann kam sie an einer Taverne vorbei, in deren Fenster ein Schild mit der Aufschrift MADAME PIRIS — WAHRSAGERIN hing. Catherine blieb wie angewurzelt stehen. Ich kenne Madame Piris. Hier bin ich schon einmal gewesen. Sie hatte wieder Herzklopfen, weil sie spürte, daß hinter diesem dunklen Torbogen der Anfang vom Ende ihres Lebensmysteriums lag. Sie öffnete die Tür und trat ein. Ihre Augen brauchten einige Sekunden, um sich an das Halbdunkel des höhlenartigen Raums zu gewöhnen. Die Einrichtung bestand aus einer vertraut wirkenden Eckbar und einem Dutzend Tische mit hochlehnigen Stühlen. Ein Kellner kam auf sie zu und sprach sie auf griechisch an.

«Kalimera.«

«Kalimera. Pu ine Madame Piris?«

«Madame Piris?«

Sie nickte wortlos.

Der Kellner deutete auf einen freien Tisch in einer Ecke des Lokals, und Catherine nahm daran Platz. Alles war genau so, wie sie es in Erinnerung hatte.

Eine ganz in Schwarz gekleidete Griechin, deren hageres Gesicht nur noch aus Ecken und Kanten zu bestehen schien, kam an den Tisch geschlurft.

«Was kann ich…?«Sie brachte ihren Satz nicht zu Ende, sondern starrte Catherine mit weitaufgerissenen Augen an.»Ich habe Sie schon einmal gesehen, aber Ihr Gesicht Sie holte erschrocken tief Luft.»Sie sind zurückgekommen!«

«Sie wissen, wer ich bin?«fragte Catherine gespannt.

Aus dem Blick der Greisin sprach blankes Entsetzen.»Nein! Sie sind tot! Gehen Sie! Gehen Sie fort!«

Catherine stieß einen leisen Klagelaut aus und glaubte zu spüren, wie ihre Nackenhaare sich sträubten.»Bitte… Ich möchte nur…«

«Gehen Sie, Mrs. Douglas!«

«Ich muß wissen, wer…«

Die Greisin schlug ein Kreuz, wandte sich ab und schlurfte eilends davon.

Catherine blieb einen Augenblick zitternd sitzen, bevor sie sich aufraffte und hastig das Lokal verließ. Die Stimme in ihrem Kopf folgte ihr auf die Straße. Mrs. Douglas!

Und dann war es, als öffne sich eine Schleuse. Vor ihrem inneren Auge standen plötzlich Dutzende von grell beleuchteten Szenen: eine unkontrollierbare Folge bunter Kaleidoskopbilder.

Ich bin Mrs. Catherine Douglas, und mein Mann heißt Larry, Ein gutaussehender Mann. Ich sehe deutlich sein Gesicht. Ich habe ihn bis zum Wahnsinn geliebt, aber irgendwas ist schiefgegangen. Irgendwas…

Das nächste Bild zeigte ihr, wie sie Selbstmord zu begehen versuchte und in einem Krankenhaus aufwachte.

Catherine blieb stehen, weil sie Angst hatte, ihre Beine könnten versagen, ließ aber zu, daß weitere Bilder ihr Inneres überfluteten.

Ich habe viel getrunken, weil ich Larry verloren habe. Aber dann kehrt er zu mir zurück. Wir sitzen im Cafe Treflinkas, und Larry sagt: Ich weiß, wie gemein ich zu dir war. Ich will alles wiedergutmachen,

Cathy. Ich liebe dich. Ich habe niemals eine andere wirklich geliebt. Du mußt mir noch eine Chance geben. Wie würde dir eine zweite Hochzeitsreise gefallen, Cathy? Ich kenne einen hübschen kleinen Ort, in den wir fahren könnten. Er liegt bei loannina…

Die jetzt vor ihrem inneren Auge erscheinenden Bilder waren grauenerregend.

Larry und ich sind auf einem Gipfel, um den düstere Nebelschwaden ziehen, und er kommt mit ausgestreckten Armen auf mich zu, um mich in die Tiefe zu stoßen. In diesem Augenblick kommen Touristen vorbei. Ich bin gerettet.