Mit einem Schlag erloschen die Scheinwerfer. Diffus und grau kämpften sich die gewöhnlichen Lampen des Studios durch den scheinbaren Nebel.»Schluß!«rief Horst.»Einpacken! Genug für heute!«
Natascha kam durch das Geraschel der Seidenpapiere und das Rascheln der Kartons heran. Sie trug den geliehenen Pelzmantel und die Rubinen-Ohrringe.»Ich konnte nicht anders«, sagte sie.»Ich habe sie behalten für heute abend. Morgen schicke ich sie zurück. Ich habe das schon öfter getan. Der blonde junge Mann weiß Bescheid. Sie sind herrlich.«
«Und wenn du sie verlierst?«
Sie sah mich an, als hätte ich zur falschen Zeit eine obszöne Be merkung gemacht.»Sie sind versichert«, erwiderte sie.»Van Cleef und Arpels haben alles versichert, was sie uns leihen.«»Gut«, sagte ich rasch, um nicht, wie oft in solchen Situationen, den Kleinbürger an den Kopf geworfen zu bekommen.»Das entscheidet über die Strategie des Abends. Wir werden im Pavil lon essen.«
«Wir brauchen nicht viel essen, Robert! Ich hatte ja schon das Steak-Tartar.«
«Wir werden essen, wie es Betrügern und Falschmünzern zu kommt— besser als kleinbürgerliche Fürsten.«
Wir gingen zu Tür.»Guter Gott«, sagte Natascha.»Da ist ja der Rolls, den hatte ich ganz vergessen!«
Ich blieb wie angewurzelt stehen.»Mit Fraser drin?«fragte ich mißtrauisch.
«Natürlich nicht. Er ist heute abgereist. Er hat mir gesagt, er würde den Wagen heute abend hierher schicken, weil es doch wahrscheinlich spät würde. Ich habe es vergessen.«
«Schicke ihn weg.«
«Aber Robert. Jetzt ist er doch da. Wir sind doch schon öfter damit gefahren. Es ist doch nichts dabei!«
«Es ist mein kleinbürgerliches Blut, das aufschäumt«, erwiderte ich.»Früher war das anders. Jetzt liebe ich dich und bin Klein kapitalist. Ich bin in der Lage, ein Taxi zu bezahlen.«
«Paßt es nicht zu Betrügern und Falschmünzern, den Rolls zu nehmen?«
«Es ist sehr verlockend, ich kann darüber nicht sofort entschei den. Nehmen wir ein Taxi, um von vornherein jede Reue zu vermeiden. Es ist ein angenehmer Abend, klirrend vor Frost. Sag dem Chauffeur, wir wollten einen Waldlauf machen oder Spazierengehen.«
«Wenn du willst«, sagte sie zögernd und machte einen Schritt.»Halt«, erwiderte ich.»Ich habe es mir überlegt. Verzeih mir, Natascha. Was dir Spaß macht, ist wichtiger als die von der Salzsäure der Eifersucht getränkte Moral. Steigen wir ein!«
Sie saß wie ein fremdartiger Vogel neben mir.»Ich habe mein Make-up nicht abgeschminkt«, erklärte sie.»Es hätte zu lange gedauert, und ich wäre zu hungrig geworden. Außerdem hat man bei Horst im Studio keine Ruhe dazu. Man verschmiert alles, wischt es dann mit Goldcream ab und kommt heraus wie ein gerupftes Huhn.«
«Du siehst nicht aus wie ein gerupftes Huhn«, sagte ich.»Du siehst aus wie ein hungriger Paradiesvogel, der sich verflogen hat. Oder wie die zum Opfer geschmückte Jungfrau eines unbe kannten Stammes in Timbuktu oder Haiti. Frauen können gar nicht verändert genug aussehen. Ich bin ein altmodischer Be wunderer der Frau als etwas, das hergeflogen ist aus Dschungel und Urwald, und ich bin ein Feind der Frau als gleichberechtigter Kameradin und Geschäftspartnerin.«
«Ein Barbar also!«
«Ein hoffnungsloser Romantiker.«
«Bin ich dir barbarisch genug? Falsche, künstliche Wimpern, ein Film-Make-up, geraubte Juwelen, eine neue Frisur und ein ge liehener Pelzmantel? Ist das genug für deinen Falschmünzer- Charakter?«
Ich lachte. Sie wußte nichts von meinem falschen Namen und meinem falschen Paß und hielt alles nur für einen Scherz.»Horst hat mir einen Vortrag gehalten, der viel weiter geht. Von Frauen und von Politikern. Darin kommen sogar falsche Busen, Zähne, Haare und Hintern vor.«
«Auch bei Politikern?«
«Bei Politikern sogar falsche Überzeugungen. Falsche Busen auch, an denen man Krokodilstränen vergießen kann. Wir sind noch lange nicht am Ende. Warte, bis ich mit falschem Geld zahle!«
«Tun wir das nicht immer?«
Ich nahm ihre Hand.»Wahrscheinlich. Aber man sollte Ge schäftspraktiken stets für das Höchste halten. Im Altertum hatte die Lüge noch nichts Minderwertiges an sich, sondern war gleich bedeutend mit der Klugheit. Denke an den listenreichen Odys seus. Wie schön ist es, hier zu sitzen mit dir, unter den vielen Lichtern, umgeben von Kellnern mit Plattfüßen, und dann zu sehen, wie du ein Sirloinsteak verschlingst. Ich bete dich an, Na tascha, aus vielen Gründen. Ein sehr wichtiger ist, daß du so gerne ißt, in einem Zeitalter, wo Diät Trumpf ist, und dies auf einer satten Rieseninsel zwischen zwei Ozeanen und dem Hunger der Welt. Die Frauen hier fürchten sich schon vor einem Salat blatt, sie essen wie Kaninchen, während ganze Kontinente hun gern. Du aber hast den Mut, mit geschärftem Steakmesser einem tüchtigen Chateaubriand zuleibe zu rücken. Es ist ein Vergnü gen, dich essen zu sehen. Bei ändern Frauen gibt man einen Haufen Geld aus, sie stochern etwas auf ihrem Teller herum und lassen alles stehen. Vor Wut erwürgt man sie dann in einer dunklen Allee. Du aber…«
«Welche anderen Frauen?«unterbrach Natascha.
«Irgendwelche! Schau dich um! Dieses herrliche Restaurant ist voll davon. Sie essen Salat und trinken Kaffee und machen den
Männern ganz einfach deswegen Szenen, weil sie vor Hunger wütend werden. Das ist die einzige Wut, deren sie fähig sind. Im Bett sind sie dann Wesen, gegen die eine Holzlatte eine Viper ist. Während du…«
Sielachte.»Genug!«
«Ich hatte nicht die Absicht, da in Details zu gehen, Natascha. Ich war noch bei einer Ode auf deinen prachtvollen Appetit.«
«Ich weiß, Robert. Ich habe es auch nicht erwartet. Ich weiß aber auch, daß du gerne Oden und Hymnen anstimmst, wenn du an etwas ganz anderes denkst.«
«Was?«fragte ich überrascht.
«Ja«, sagte sie.»Du Falschmünzer und Doppeldenker und Schwindler! Ich frage nicht, was dir im Magen liegt und was du vergessen willst, aber ich weiß es. «Sie strich zärtlich über meine Hand.»Wir leben in einer exaltierten Zeit, wie? Da müssen wir manches größer oder kleiner machen, um durchzukommen. Ist es nicht so?«
«Vielleicht«, erwiderte ich vorsichtig.»Aber wir brauchen es gar nicht selbst zu tun, die verdammte Zeit tut es für uns.«
Sie lachte.»Glaubst du nicht, daß wir es tun, um das bißchen Persönlichkeit hochzuhalten, das die Zeit sonst plattwalzen würde?«
«Du wirst mir unheimlich! Wohin sind wir plötzlich gekommen? Du bist auf einmal eine Sphinx und ein sprechender Amazonas- Papagei geworden. Und dazu noch mit deinen glühenden Juwe len und der Kriegsbemalung. Ein Orakel von Delphi im Urwald von Sumatra. Oh, Natascha!«
«Oh, Robert! Du Mann der vielen Worte! Ich glaube sie nicht, aber ich höre sie gerne. Weißt du nicht, wie unnötig sie sind? Frauen lieben hilflose Männer, das ist ihr wohlgehütetes Ge heimnis.«
«Eine Falle, um andere hilflos zu machen.«
Sie erwiderte nichts. Es war sonderbar, wie fremdartig sie immer noch wirkte mit den paar künstlichen Hilfsmitteln, von denen ich doch wußte. Wie leicht man zu betrügen ist und wie gerne man glaubt, dachte ich, und ich sah sie an und wünschte, wir wären allein.»Ich rede vieles daher, und ich verstehe nichts von Frauen«, sagte ich schließlich.»Aber ich bin glücklich mit dir. Es mag auch sein, daß ich etwas verberge, und es mag sein, daß ich aus all dem Elend, dem man zwar nicht entrinnen kann und von dem ich hier nur ein schattenhaftes Echo spüre, einen Fetzen Glück für mich behalten will, für mich, der niemandem etwas wegnimmt, der auf niemanden schießt und der keinen bestiehlt — das alles mag sein, Natascha, aber es hat trotzdem nichts da mit zu tun, weil es keine Folge davon ist, sondern für sich be steht, so wie die Steine an deinen Ohren nichts mehr zu tun haben mit der Schwärze und dem Drude der Erde, der sie ent stammen und die sie gemacht hat. Sie sind da, und ich bin glüdc- lich mit dir. Das war eine lange Erklärung für einen einfachen Satz, und du mußt sie mir verzeihen, denn schließlich bin ich, wenn auch nur ein gewesener Journalist, dennoch ein Mann der Worte, der mit Worten sogar Geld verdient hat. So etwas ver gißt man nicht so leicht.«